263 |
9.Auferstehung und Himmelfahrt. |
9.Resurrection and Ascension. |
263 | Nur bis zu dem Punkte, wo der Engel den Frauen, die am Morgen nach dem Sabbath mit ihren Specereien sich nach dem Grabe begeben hatten, die Auferstehung des Herrn meldet und ihnen den Auftrag gibt, sie sollten den Jüngern die Nachricht bringen, daß ihnen der Auferstandene nach Galiläa vorangehen werde — nur bis hieher ist uns im Marcusevangelium das Gefüge des Urberichts erhalten (C. 16, 1—7) — alles Folgende (V. 8—20) ist eine verwirrte Zusammenhäufung von Zügen und Stichworten, die der Ueberarbeiter des Urberichts dem Lukasevangelium und der Apostelgeschichte, so wie den Schriften des Matthäus und Johannes entlehnt hat.
Während Matthäus uns das Gefüge des Urberichts noch verräth, wenn er schreibt (C. 28, 8): „und schnell herausgehend mit Furcht und großer Freude liefen sie dahin, um es seinen Jüngern zu melden”, schreibt der Compilator des gegenwärtigen Marcusevangeliums (V. 8): „und herausgehend flohen sie von dem Grabe, denn Zittern und Furcht war sie angekommcn”, be- denkt er also nicht, daß die Botschaft des Engels die Frauen vielmehr mit freudiger Sicherheit erfüllen mußte — ja, treibt er diese ungehörige Voraussetzung von der Furcht der Frauen so weit, daß er sie in ihrem Schrecken und Entsetzen den Auftrag des Engels nicht einmal ausführen läßt. |
Only up to the point where the angel informs the women, who had gone to the grave with their spices on the morning after the Sabbath, of the Lord’s resurrection and gives them the task of bringing the news to the disciples, that the risen one will go ahead of them to Galilee – only up to this point is the structure of the original report preserved for us in the Gospel of Mark (Mark 16:1-7) – everything that follows (v. 8-20) is a confused compilation of features and keywords that the reviser of the original report borrowed from the Gospel of Luke, the Acts of the Apostles, as well as the writings of Matthew and John.
While Matthew still reveals the structure of the original report to us when he writes (Matt. 28:8): “And they departed quickly from the sepulchre with fear and great joy; and did run to bring his disciples word,” the compiler of the present Gospel of Mark (v. 8) writes: “And they went out quickly, and fled from the sepulchre; for they trembled and were amazed: neither said they any thing to any man; for they were afraid.” He does not consider that the message of the angel must have filled the women with joyful certainty – indeed, he takes this improper assumption of the women’s fear so far that he does not even let them carry out the angel’s mission in their terror and dismay. |
263/264 | In jener Botschaft des Engels hat er die Wendung des Urberichts erhalten, die darauf hinweist, daß der Auferstandene den Seinigen nur in Galiläa erscheint, und nachdem er ihnen seine letzten Aufträge gegeben, gen Himmel gehoben wird — und er folgt nachher der spätern Voraussetzung, namentlich der Darstellung des Lukasevangeliums, wonach Jesus in Jerusalem den Scinigen erscheint und seine letzten Befehle gibt. | In that message of the angel, he received the phrase from the original report that indicates that the risen one will only appear to his own in Galilee, and after giving them his final instructions, he will be lifted up to heaven – and he later follows the later assumption, especially the depiction in the Gospel of Luke, according to which Jesus appears to his own in Jerusalem and gives his final commands. |
264 | Die Botschaft des Engels hat er endlich überflüssig gemacht, wenn er durch den Vorgang des Matthäus und des Vierten sich dazu bestimmen läßt, die Maria Magdalena, der Jesus zuerst erschien, zum Mittelglied zu machen, durch welches den Jüngern die Kunde von der Auferstehung zukam.
Daß übrigens Jesus von der Maria Magdalena sieben Teufel ausgetrieben hatte, hat er aus der Schrift des Lukas (C. 8, 2) erfahren, und daß die Jünger unter andern Wunderkräften auch die Kraft des Zungenredens und die Macht haben sollten, Schlangen aufzuheben, lehrte ihn die Apostelgeschichte und das Beispiel des Paulus (Apostelgesch. 28, 3—6). |
Finally, he made the message of the angel redundant when he allowed himself, through the accounts of Matthew and the Fourth Gospel, to make Mary Magdalene, to whom Jesus first appeared, the intermediary through whom the news of the resurrection came to the disciples.
Moreover, he learned from the Gospel of Luke (Luke 8:2) that Jesus had cast out seven demons from Mary Magdalene, and he learned from the Acts of the Apostles and the example of Paul (Acts 28:3-6) that among other miraculous powers, the disciples also had the power of speaking in tongues and the ability to pick up snakes. |
——– | ——– | |
264/265 | Wenn der Engel des Urberichts den Frauen versichert, dort, in Galiläa, wohin der Herr den Jüngern vorangehen werde, würden sie ihn sehen, wie er ihnen gesagt habe (Marc. 46, 7), so hat er die allgemeinen Worhersagungen Jesu von seinem Leiden, Tod und seiner Auferstehung im Sinne und weiß er noch Nichts von jener bestimmten Ankündigung Jesu, er werde den Jüngern nach seiner Auferstehung nach Galiläa vorangchen — d. h. von jener Ankündigung, durch welche Matthäus (C. 26, 32) das Wort Jesu über das feige Benehmen, welches die Jünger in der Nacht seiner Gefangennehmung beweisen würden, und die vermessene Betheuerung Petri, er wenigstens würde Stand halten, von einander getrennt und die ihm der Compilator des Marcusevangeliums (C. 14, 28) nachgeschrieben hat. Auch Lukas wußte von dieser Vorausverkündigung noch nichts und läßt die beiden Engel, die die Frauen im Grabgewölbe finden, sich auch nur, wenn auch diel zu ausführlich, auf die allgemeinen Vorhcrsagungen Jesu von seinem Leiden, Tod und von seiner Auferstehung beziehen — dagegen mußte er den Auftrag des Engels des Urberichts, der sich auf die Wiedervereinigung Jesu mit den Seinigen in Galiläa bezieht, unterdrücken und seine Abhängigkeit von einem Bericht, in welchem die Erwähnung Galiläa’s einen bedeutsamen Jncidenzpunkt bezeichnet, verräth nur noch jene unpassende Weitschweifigkeit, mit der die beiden Engel die Frauen auffordern (C. 24, 7), sie sollten sich erinnern, wie der Herr ihnen, als er noch in Galiläa war, sagte, daß des Menschensohn überantwortet werden u. s. w. — endlich auferstehen muß. | When the angel of the original report assures the women that they will see the risen Lord in Galilee, where he will go ahead of the disciples as he had told them (Mark 16:7), he has in mind Jesus’ general predictions of his suffering, death, and resurrection, and he knows nothing yet of Jesus’ specific announcement that he will go before the disciples to Galilee after his resurrection – that is, of that announcement that Matthew (Matt. 26:32) uses to separate Jesus’ words about the cowardly behavior the disciples would show on the night of his arrest and Peter’s arrogant assertion that he would at least stand his ground. This announcement was written down separately by the compiler of the Gospel of Mark (Mark 14:28). Luke also knew nothing of this early proclamation and has the two angels the women find in the tomb refer only, albeit somewhat excessively, to Jesus’ general predictions of his suffering, death, and resurrection. However, he had to suppress the order of the angel of the original report, which referred to the reunion of Jesus with his own in Galilee. His dependence on an account in which the mention of Galilee marks a significant incident is revealed only by that inappropriate verbosity with which the two angels urge the women to remember (Luke 24:7) how the Lord told them, while he was still in Galilee, that the Son of Man must be delivered up, etc., and finally rise again. |
265 | Lukas hatte ändern müssen, weil er der Anschauung folgt, die die Wiedervereinigung Jesu mit den Seinigen in Jerusalem geschehen läßt. Diese neue Anschauung, die ihm bereits gegeben war und der auch Justinus folgte *), combinirte er mit der Erzählung von dem Zusammentreffen Jesu mit den beiden Jüngern auf dem Wege nach Emmaus und stellt er durch diese Combination nur in ihrer Unangemessenheit bloß, da es nun klar her- vortritt, wie ungehörig es ist, wenn diese Erscheinungen des Herrn, mögen sie auch heimlich seyn, doch mitten unter seinen Gegnern auf einem öffentlichen Wege bei Jerusalem und in der Stadt selbst geschehen. Die einzig paffende Localität war vielmehr die Zurückgezogenheit Galiläa’s. | Luke had to make changes because he follows the view that Jesus’ reunion with his own took place in Jerusalem. He combined this new view, which had already been given to him and which Justin also followed *, with the story of Jesus’ encounter with the two disciples on the road to Emmaus, and through this combination he reveals only in its inappropriateness, since it now becomes clear how inappropriate it is for these appearances of the Lord, even if they are secret, to occur in the midst of his opponents on a public road near Jerusalem and in the city itself. The only appropriate location was rather the seclusion of Galilee. |
265* | *) Dial. c. Tryph. p. 271 | *) Dial. Trypho ch. 51 |
265/266 | Die Mehrzahl der Erscheinungen ist höchstwahrscheinlich ein Ueberfluß, der auch erst später dem Urbericht aufgeladen ist — er stört, weil er den Auferstandenen, den es nach seinem himmlischen Sitz zur Rechten des Vaters hindrängt, viel zu turbulent in den irdischen Wechsel der Zeit und des Orts hineinzieht. | The majority of the appearances is most likely an addition that was loaded onto the original report later – it is disturbing because it drags the risen one, who is seated at the right hand of the Father in heaven, far too tumultuously into the earthly changes of time and place. |
266 | Unmöglich können wir annehmen, daß der Schöpfer des Urberichts die Sache schon so ungehörig ins Sinnliche gezogen hat, daß der Auferstandene, dessen Erscheinung vielmehr nur eine übernatürliche und augenblicklich vorübergehende seyn kann, um den Zweifel der Jünger zu widerlegen, sich betasten, sein Fleisch und seine Knochen beföhlen läßt und zu demselben Zweck endlich vor ihren Augen vom Fisch und Honigseim ißt. Lukas hat diese neue Wendung nicht erfunden, sie war ihm vielmehr, wie wiederum Justinus*) beweist, bereits gegeben.
Unmöglich konnte auch der Schöpfer des Urberichts im Stande seyn, die ganze Anlage seines Werks in dem Grade zu beleidigen oder zu verläugnen, daß er Jesum jetzt erst oder jetzt wieder, als hätte er es vorher noch nicht genügend oder vollständig gethan, aus der Schrift die Nothwendigkeit seines Leidens beweisen ließ. In seinen apostolischen Denkwürdigkeiten hatte Justinus diese neue, ungehörige Wendung vorgefunden**), Urlukas nahm sie aus seinen Quellen auf (C. 24, 27. 32), und wenn er wie Tertullian bestimmt angibt, im Eingang dieser Wendung den Herrn sich darauf berufen läßt, was er früher zu den Jüngern gesprochen habe***), so hat er dießmal wie auch sonst gehandelt, nur halb geändert, und der Compilator des gegenwärtigen Lukasevangeliums hat recht daran gethan, wenn er die Berufung auf die Weissagungen der Propheten wiederherstellte †). |
It is impossible to assume that the creator of the original report had already brought the matter so inappropriately into the sensual realm that the risen one, whose appearance can only be supernatural and fleeting, appears to be touched, allows his flesh and bones to be felt, and finally eats fish and honeycomb in front of the disciples’ eyes to refute their doubts. Luke did not invent this new turn; rather, as Justin once again proves *), it had already been given to him.
It is also impossible for the creator of the original report to offend or deny the entire structure of his work to such an extent that he now, as if he had not done it sufficiently or completely before, proves from the scriptures the necessity of Jesus’ suffering. In his Apostolic Memoirs, Justin had found this new, inappropriate turn **), and Luke took it from his sources (Luke 24:27, 32). And when he, as Tertullian specifically states, has the Lord in this turn refer to what he had previously said to the disciples***), he acted, as he did at other times, only partially changed, and the compiler of the present Gospel of Luke was right to restore the reference to the prophecies of the prophets †). |
266* | *) a. a. O. **) Apol. II, 86. ***) V. 25. ἐλάλησεν ὑμῖν †) ἐλάλησαν οἱ προφῆται. |
*) ibid **) First Apology ch. 67 ***) V. 25 [actually Luke 24:6] ἐλάλησεν ὑμῖν †) ἐλάλησαν οἱ προφῆται. [=Luke 24:25] |
267 | Was endlich den Schluß von der Schrift des Urlukas betrifft, so haben wir denselben in der Kritik der Apostelgeschichte von der Zuthat des späteren Ueberarbeiters bereits abgesondert. | Finally, regarding the conclusion of the Gospel of Luke, we have already separated it from the later additions made by the overworker in our criticism of the Acts of the Apostles. |
——– | ——– | |
267 | An der Stelle, wo die Frauen zusehen, wie der Leichnam Jesu beigesetzt wird, und wo nun sogleich das Weitere folgen müßte, daß sie am Morgen nach dem Sabbath zum Grabe gingen, wird der Bericht des Matthäus durch die Verhandlungen der Priester mit Pilatus unterbrochen (C. 27, 62 — 66) und nachher, wenn die Priester vom Landpfleger wirklich die militärische Bewachung des Grabes ausgewirkt haben, damit es den Jüngern nicht möglich würde, den Leichnam Jesu zu stehlen und das Gerücht von seiner Auferstehung auszusprengen, trennen ihre Verhandlungen mit den entlaufenen Soldaten nicht nur die Notiz, daß die Weiber sich aufmachten, um den Jüngern die frohe Botschaft zu bringen, von dem Folgenden (C. 28, 8 — 16), sondern sie sind auch daran schuld, daß die Frauen den Jüngern die Botschaft gar nicht bringen.
Die Wache muß wieder entfernt werden; sie verstößt gegen die Anlage und Voraussetzung des Urberichts — kein Ungläubiger darf Zeuge der Auferstehung seyn. |
At the point where the women witness the burial of Jesus’ body and where the story should immediately continue with their visit to the tomb on the morning after the Sabbath, Matthew’s account is interrupted by the proceedings of the priests with Pilate (Matthew 27:62-66). Later, when the priests actually obtained the military guard of the tomb from the governor, so that the disciples would not be able to steal Jesus’ body and spread rumors of his resurrection, their proceedings with the escaped soldiers not only separate the note that the women set out to bring the joyful news to the disciples from what follows (Matthew 28:8-16), but they are also responsible for the fact that the women do not bring the message to the disciples at all.
The guard must be removed again; it violates the structure and assumption of the original report – no unbeliever may be a witness to the resurrection. |
267/268 | Aber auch kein Gläubiger. Matthäus hat das Mysterium profanirt und viel zu peinlich vor das sinnliche Auge gerückt, wenn er in demselben Augenblicke, als die Frauen beim Grabe anlangen, den Engel vom Himmel kommen, den Stein vom Grabe wälzen und sich auf denselben setzen läßt (C. 28,2) — doch es ist ihm nicht einmal gelungen, er hat den mysteriösen Hergang doch nicht wirklich als einen sinnlichen Verlauf sichtbar machen können — die Frauen sehen doch nicht das Mysterium — wenn der Engel, als seine Herabkunft den Wächtern und Frauen Schrecken einflößte, die letzteren anredet und ihnen meldet: „er ist auferstanden”, so setzt er die Auferstehung als schon vergangen voraus, d. h. siegt der Urbericht über die spätere Aenderung. | But also, no believer should be a witness. Matthew profaned the mystery and made it too painfully visible to the senses when he has the angel come down from heaven, roll the stone away from the tomb, and sit on it at the very moment the women arrive at the grave (Matthew 28:2) – yet he did not even succeed, he could not really make the mysterious event visible as a sensory process – the women do not see the mystery – when the angel, as his descent frightened the guards and women, addresses the latter and tells them: “he has risen,” he assumes the resurrection has already taken place, that is, the original report triumphs over the later alteration. |
268 | Justinus wußte nur von einer jüdischen Sage und Verläumdung, wonach die Jünger den Leichnam ihres Meisters aus dem Grabgewölbe gestohlen und dann den Leuten vorgeredet hätten, er sey auferstanden und gen Himmel gefahren *); in seinen apostolischen Denkwürdigkeiten hatte er aber noch kein Erzählungsstück vorgefunden, welches zur ausdrücklichen Widerlegung dieser Sage und Verläumdung bestimmt war.
Auch nur ein störender Ueberfluß ist es endlich, wenn Jesus den Frauen, als sie zu den Jüngern nach Hause eilen, begegnet und ihnen nochmals denselben Auftrag gibt, den ihnen schon der Engel gegeben hatte, wonach sie die Jünger zur Zusammenkunft in Galiläa bestellen sollten (V. 7. 10). |
Justin knew only of a Jewish legend and slander according to which the disciples had stolen the body of their master from the tomb and then told people that he had risen and ascended to heaven*). In his Apostolic Memoirs, however, he had not yet found a narrative specifically designed to refute this legend and slander.
It is also only an intrusive surplus when Jesus meets the women again as they run to the disciples’ home and gives them the same instruction that the angel had already given them, that they should tell the disciples to meet in Galilee (verse 7, 10). |
268* | *) Dial. c. Tryph. p. 335 | *) Dial. Trypho ch. 108 |
——– | ——– | |
268 | Der Vierte las also in seinen Quellenschriften von einem Zusammentreffen Jesu mit den Weibern, das Lukasevangelium lieferte ihm die wichtige Notiz, daß Petrus, als die Frauen mit ihrer Nachricht von der Engelsbotschaft zurückkamen, nach dem Grabe lief und daselbst die linnenen Tücher allein liegen sah, und er bewährte sich wiederum als den Meister der Gestaltung, als er diese Vorarbeiten zu seinem neuen plastischen Gebilde benutzte. | Therefore, in his source scriptures, the Fourth Gospel read about Jesus meeting with the women, and the Gospel of Luke provided him with the important note that when the women returned with their message from the angel’s announcement, Peter ran to the tomb and saw the linen cloths lying there alone. He once again proved himself as the master of composition when he used these preliminary works for his new plastic image. |
268/269 | Um die Einheit des Interesses zu bewahren, läßt er nur Eine von den Frauen, die Maria Magdalena, am Morgen nach dem Grabe gehen; da er als der vollendete historische Bildner den Werth der allmähligen Entwicklung kannte, laßt er die Maria zunächst nur bemerken, daß der Stein vom Grabe hinweg war, und mit dieser beunruhigenden Entdeckung sogleich davoneilen; nur den Petrus und den Lieblingsjünger des Herrn wollte er nach dem Grabe schicken, Maria Magdalena darf daher nur zu diesen beiden laufen und muß sie durch die unmotivirte Vermuthung, man habe den Herrn aus dem Grabe genommen, allarmiren. Petrus, der im Lukasevangelium allein nach dem Grabe läuft, muß den Lieblingsjünger zum Genossen erhalten, damit ihr Lauf ein Wettlauf wird, und der unbekannte Jünger den Petrus schlägt, indem er zuerst am Grabe ankommt, hineinkuckt und das Leinenzeug liegen sieht; Petrus muß aber doch auch Etwas Besonderes haben, ins Grab hineingehen und die ungeheure Entdeckung machen, daß das Schweißtuch an einem besondern Ort zusammengewickelt da lag, damit der Sieg des Lieblingsjüngers durch die Größe des Nebenbuhlers bedeutender werde — der Unbekannte geht nun auch ins Grab und sieht und glaubt, während Petrus seinen Fund nicht zu würdigen wußte. | To maintain the unity of interest, he only allows one of the women, Mary Magdalene, to go to the grave on the morning after the crucifixion. As the consummate historical creator, he knew the value of gradual development and thus has Mary initially only notice that the stone has been removed from the tomb, and then immediately hurry away with this disturbing discovery. Only Peter and the beloved disciple are to be sent to the grave, so Mary Magdalene can only run to them and alarm them with the unmotivated suspicion that someone has taken the Lord out of the tomb. Peter, who in the Gospel of Luke runs to the grave alone, must have the beloved disciple as a companion so that their run becomes a race, and the unknown disciple beats Peter by arriving at the grave first, looking inside, and seeing the linen lying there. However, Peter must also have something special, so he goes into the tomb and makes the incredible discovery that the sweat cloth was neatly folded in a special place, to make the beloved disciple’s victory more significant through the size of his rival. The unknown disciple then also goes into the tomb, sees, and believes, while Peter did not know how to appreciate his discovery. |
269/270 | Maria Magdalena steht (C. 20, 11) auf einmal wieder beim Grabe — denn sie muß die beiden himmlischen Gestalten des Lukas sehen, der Herr muß ihr erscheinen und der Vierte will sich wiederum als den Meister der ins Sinnlose verschwebenden Darstellung bewähren. Indem Maria den Engeln ihren Schmerz darüber äußert, daß man ihren Herrn hinweggenommen habe, sieht sie sich um, erblickt sie Jesum, den sie für den Gärtner des Gartens hält, den der Vierte erst geschaffen hat, erkennt sie ihn erst, als er sie mit ihrem Namen ruft, und erhält sie von ihm die abwehrende Weisung: „rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht zum Mater aufgestiegen”, ohne daß sie etwas gethan hat, worauf sich diese zurückweisende Antwort beziehen könnte. Der Vierte glaubte, Maria würde sich selbst und der Leser sie ohne Weiteres als eine jener Frauen des Matthäus betrachten und erkennen, die an Jesus herantreten und ihn anbeten, indem sie seine Füße umfassen. | Maria Magdalena suddenly appears again at the tomb (C. 20, 11) – because she must see the two heavenly figures of Luke, the Lord must appear to her, and the Fourth Gospel once again proves itself as the master of representations that fade into meaninglessness. As Maria expresses her grief to the angels that her Lord has been taken away, she looks around, sees Jesus, whom she mistakes for the gardener of the garden that the Fourth Gospel has created, and only recognizes him when he calls her by name. He then gives her the rejecting instruction: “Do not touch me, for I am not yet ascended to my Father,” without her having done anything to warrant this rejecting response. The Fourth Evangelist believed that Mary would be recognized by herself and the reader as one of those women in Matthew who approach Jesus and worship him by grasping his feet. |
270 | Indem nun Jesus am Abend desselben Tages den Jüngern erscheint, zeigt er ihnen wie der Jesus des Lukas die Wundenmale seines Leibes, ohne daß ein Grund dazu gegeben war, und muß Thomas, der dießmal nicht zugegen war, den Unglauben, den die Jünger des Lukas alle sich zu Schulden kommen ließen, allein übernehmen, und acht Tage darauf durch die Betastung des Leibes Jesu, die in der Schrift des Lukas allen Jüngern freigegeben war, widerlegt werden.
Eine höchst unpassende Anordnung! Der Zweifler tritt auf, nachdem die Jünger bei der ersten Erscheinung des Herrn das Geschenk des heiligen Geistes und die (dem Matthäusevangelium nachgebildete) Belehnungsurkunde erhalten hatte, die ihnen die Kraft und Vollmacht der Sündenvergebung übertrug! |
As Jesus appears to the disciples on the evening of the same day, he shows them, like the Jesus of Luke, the wounds on his body without any apparent reason, and Thomas, who was not present this time, has to take the disbelief that the disciples of Luke all had to their account. And eight days later, this disbelief is refuted by the touching of Jesus’ body, which was permitted to all disciples in the scripture of Luke.
Such an arrangement is highly inappropriate! The doubter appears after the disciples have received the gift of the Holy Spirit and the (modeled after the Gospel of Matthew) certificate of investiture, which conveyed to them the power and authority to forgive sins, during the first appearance of the Lord! |
——– | ——– | |
270/271 | Handelt es sich nun noch um die Frage, von wem das letzte Capitel des vierten Evangeliums herrühre, nachdem die letzten Verse des vorhergehenden (C. 20, 30. 31) mit dem Anspruch, das Ganze zu schließen, dazwischengetreten sind, so ist es mir auch jetzt noch wie vor zehn Jahren unmöglich, den Thatbestand zu verkennen, daß Diction und Wortvorrath dieses Capitels und des vorhergehenden Evangeliums, ein Paar Wendungen und Worte, die auch der Angst des Erfinders ihren Ursprung verdanken können und von dem neuen Gegenstand gegeben sind, vollkommen übereinstimmen. Auch die Kunst der Geschichtschreibung, d. h. die Virtuosität der Unschönheit und Häßlichkeit ist dieselbe; für das Zusammentreffen Jesu mit den Jüngern am See Genezareth sind die Berichte des Lukasevangeliums vom Fischzug Petri und von dem Mahl des Auferstandenen in gleicher Weise benutzt, wie der Vierte auch sonst die synoptischen Berichte zu benutzen wußte — die Frage des Auferstandenen, der am Ufer steht und den Jüngern in ihrem Schiffe zuruft (C. 21, 5): „Kinder, habt ihr Nichts zu essen?” ist ein eben so roher Schrei, der aus dem Bericht des Lukas herüber- klingt und nur hier (Luk. 24, 41) motivirt ist, wie im ganzen vierten Evangelium die Wendungen der synoptischen Berichte sich als schreiende Dissonanzen geltend machen — der Wettstreit Petri und des Lieblingsjüngers entspricht dem Wettlauf, den beide nach dem Grabe machen — selbst das Testimonium endlich, welches der Schluß dieses letzten Capitels dem Lieblingsjünger als Verfasser des ganzen Evangeliums ausstellt (V. 24: „und wir wissen, daß sein Zeugniß wahr ist”), stimmt mit dem Testimonium, welches der Vierte sich selber ausgestellt hat (C. 19, 25: „und wahrhaftig ist sein Zeugniß und er weiß, daß er wahr spricht”), fast wörtlich überein. | If we are still discussing the question of who wrote the last chapter of the fourth Gospel, after the last verses of the previous chapter (Chapter 20, 30-31) have interjected with the claim to conclude the whole, I still cannot ignore the fact, as I could not ten years ago, that the diction and vocabulary of this chapter and the previous Gospel, a pair of phrases and words that can also owe their origin to the anxiety of the inventor and are given by the new subject, correspond perfectly. The art of historiography, that is, the virtuosity of ugliness and unpleasantness, is also the same; for the encounter of Jesus with the disciples at the Sea of Galilee, the accounts of the Gospel of Luke on Peter’s catch of fish and on the meal of the risen one are used in the same way, as the Fourth Gospel knew how to use the synoptic accounts in general. The question of the risen one standing on the shore and calling out to the disciples in their boat (Chapter 21, 5): “Children, do you have any fish?” is just as crude a cry that echoes over from Luke’s account and is only motivated here (Luke 24, 41), as in the whole of the fourth Gospel the phrases of the synoptic accounts make themselves felt as glaring dissonances – even the testimony finally, which the conclusion of this last chapter ascribes to the beloved disciple as author of the whole Gospel (Verse 24: “And we know that his testimony is true”), almost literally corresponds to the testimony which the Fourth Gospel has given to himself (Chapter 19, 25: “Now there stood by the cross of Jesus his mother, and his mother’s sister, Mary the wife of Cleophas, and Mary Magdalene. When Jesus therefore saw his mother, and the disciple standing by, whom he loved, he saith unto his mother, Woman, behold thy son! Then saith he to the disciple, Behold thy mother! And from that hour that disciple took her unto his own home”). |
271 | Sind wirklich zwei Hände bei der Abfassung des vierten Evangeliums thätig gewesen, so haben sie sich in der Bildung dieses letzten Capitels vereinigt — d. h. wenn wir uns zu guter Letzt, nachdem unser Beweis vom späten Ursprung des vierten Evangeliums vollkommen durchgeführt ist, also in einer an sich unbedeutenden Frage doch noch zu einer Hypothese, ja, zur ersten Hypothese verstehen sollen, so könnten wir nur die Vermuthung aufstellen, daß der Vierte, d. h. der Verfasser des ganzen Evangeliums, in diesem letzten Capitel, zumal im Testimonium der Schlußverse, sich von einer zweiten Hand hat unterstützen lassen. | The author argues that if two hands were really at work in composing the fourth Gospel, they must have united in forming this last chapter. In other words, if we want to entertain a hypothesis about the involvement of two authors in the fourth Gospel, despite the evidence presented in the author’s previous arguments suggesting its late origin, we could only speculate that the author of the whole Gospel received support from a second hand in composing this final chapter, especially in the testimonial of the closing verses. |
272 | Was endlich noch die Frage betrifft, wer der ungenannte Schooßjünger und Verfasser des vierten Evangeliums seyn solle, so werden wir den angemessenen Ort für die Beantwortung der^ selben erst erreichen, wenn wir zur Prüfung der ältesten kirchlichen Behauptungen über den Ursprung unserer jetzigen Evangelien überhaupt gelangen. Für jetzt haben wir es nur noch mit den Evangelien selbst und ihrem gegenseitigen Verhältniß zu thun und werden wir an dem Ergebniß unserer Untersuchung sich noch die bedeutendsten Wendungen der neuern Apologetik brechen lassen. | The question of who the unnamed disciple and author of the fourth gospel might be will only be addressed in the appropriate place, which will be when we come to examine the oldest ecclesiastical claims regarding the origin of our current gospels in general. For now, we are only concerned with the gospels themselves and their mutual relationship, and we will not be swayed by the most significant arguments of modern apologists in our investigation. |
——– | ——– |
Neil Godfrey
Latest posts by Neil Godfrey (see all)
- Palestinians, written out of their rights to the land – compared with a new history - 2024-10-15 20:05:41 GMT+0000
- The Gospels Versus Historical Consciousness - 2024-10-13 00:48:41 GMT+0000
- “They are Messianic Jewish supremacists, racists, of the worst kind” - 2024-10-07 20:24:10 GMT+0000