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3.Die Bergpredigt. |
3.The Sermon on the Mount. |
86/87 | Wir kommen zu einem Wendepunkt. Es wird sich zeigen, ob diejenige Schrift, auf welche die Geschichtsdarstellung des Lukas und Matthäus zurückweist und die im Einzelnen wie im Ganzen des Pragmatismus mit dem jetzigen Marcusevangelium*) übereinstimmen mußte, die erste Composition der evangelischen Geschichte war, oder ob ihr Verfasser historische Versuche vorfand, die er benutzte. | We come to a turning point.It will be seen whether that scripture to which the historical account of Luke and Matthew refers back, and which in detail as well as in the whole of pragmatism must agree with the present Gospel of Marcuse*), was the first composition of evangelical history, or whether its author found historical attempts which he used. |
86* | *) sofern dasselbe nämlich von den Ausähen befreit wird, die sich als Interpolationen zu erkennen geben und über deren Ursprung erst später zu verhandeln ist. | *) inasmuch as the same is freed from the seeds that reveal themselves as interpolations and whose origin is to be discussed only later. |
87 | Es wird sich zeigen, daß Lukas und Matthäus gemeinsame Quellen benutzten, denen sie einen großen Theil der von ihnen mitgetheilten Reden Jesu entlehnten — es wird sich aber auch vollends entscheiden, ob Matthäus zu gleicher Zeit das Evangelium des Lukas benutzt hat. | It will be shown that Luke and Matthew used common sources from which they borrowed a large part of the sayings of Jesus which they communicated – but it will also be fully determined whether Matthew used Luke’s Gospel at the same time. |
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87 | Der Anlaß der Bergpredigt. | The occasion of the Sermon on the Mount. |
87/88 | Wie kam Matthäus dazu, seinen Jesus, der sogleich, nachdem er die ersten vier Jünger berufen hatte, ganz Galiläa durchzieht, predigt und jegliche Krankheit unter dem Volke heilt und Wiederum, als sein Ruf in ganz Syrien ausgegangen war und man allerlei Kranke zu ihm brächte, auch diese alle heilt und mit dem Gefolge einer großen Volksmenge aus Galiläa, der Dekapolis, aus Jerusalem, Judäa und dem Lande jenseits des Jordan im Lande einherzieht — wie kam er dazu, diesen Jesus, ״als er die Haufen sah”, auf einen Berg steigen und an die Jünger die Rede halten zu lassen, die durch diese Localität die Bergpredigt geworden ist? Wie konnte es dem Evangelisten nur möglich seyn, diesen Sprung aus der weitesten Allgemeinheit in die bestimmteste Einzelnheit zu machen? Die Haufen waren schon lange Zeit um Jesum — er hat Alles gethan, was er mit ihnen thun konnte — er hat gelehrt, ihre Kranken geheilt — er hat sie langst schon in seinem Gefolge — wie kann er also jetzt erst (C. 5, 1.), ״als er sie sah”, auf den Berg steigen? Er hat sie bereits längst gesehen, wenn also ihr Anblick für ihn ein Grund war, auf den Berg zu steigen, so hätte er längst oben seyn müssen — oder Wenn er mit ihnen bisher in jeglichem Verkehr gestanden hatte, so durste ihr Anblick ihn nicht auf den Berg treiben. | How did Matthew come to have Jesus, who immediately after calling the first four disciples, go through all Galilee, preach and heal every sickness among the people, and again, when his call had gone out into all Syria and all kinds of sick people were brought to him? heals all these also, and goes about the country with the retinue of a great multitude from Galilee, from the Decapolis, from Jerusalem, Judea, and the country beyond Jordan – how did he come to have this Jesus, ״when he saw the multitudes’, ascend a mountain and deliver to the disciples the discourse which by this locality has become the Sermon on the Mount? How was it possible for the evangelist to make this leap from the broadest generality to the most definite particularity? The multitudes had already been around Jesus for a long time – he had done everything he could with them – he had taught, he had healed their sick – he had already had them in his entourage for a long time – so how could he only now (C. 5, 1.), ״when he saw them’, ascend the mountain? He has long since seen them, so if the sight of them was a reason for him to climb the mountain, he should have been up there long ago – or if he had been in all intercourse with them so far, the sight of them would not have driven him up the mountain. |
88 | Ihr Anblick trieb ihn aber auf den Berg, oben hält er an die Jünger seine Rede — und doch heißt es zum Schluß (C. 7, 28.): ״als er die Rede vollendet hatte, erstaunte das Volk über seine Lehre”?
Wie kam Matthäus zu diesem Widerspruch? Wie war es ihm möglich, am Schluß ein Auditorium vorauszusetzen, welches er im Anfang ausgeschlossen hatte? Wie kann er am Ende das Volk zugegen seyn lasten, dem Jesus gerade entgehen wollte, als er auf den Berg stieg? |
But the sight of them drove him up the mountain, up there he gives his speech to the disciples – and yet it says at the end (C. 7, 28.): ״When he had finished speaking, the people were amazed at his teaching’?
How did Matthew come to this contradiction? How was it possible for him to presuppose an audience at the end which he had excluded at the beginning? How can he have the people present at the end, whom Jesus wanted to avoid when he climbed the mountain? |
88/89 | Den Rückzug Jesu auf den Berg kennt er aus der Schrift des Marcus. Dieser berichtet nämlich, daß Jesus, als die Pharisäer und Anhänger des Bestehenden die Gefahr merkten, mit Welcher die Kühnheit seines Auftretens ihre Herrschaft bedrohte, und als sie demnach mit einander sich gegen ihn verschworen, mit seinen Jüngern an den See entwich, und als auch hieher die Leute aus Galiläa, Judäa, Jerusalem, Jdumäa und von jenseits des Jordan, ja auch die Bewohner der Umgegend von Tyrus und Sidon ihm folgten und die Kranken, derer er Viele heilte, ihn ordentlich anfielen, um ihn zu berühren, diesem Andrang sich endlich entzog und aus den Berg stieg, wo er nur diejenigen zu sich berief, die er in diesem Augenblick zu seinen beständigen Begleitern und zu Aposteln bestimmte (Marc.3,7—14). Hier ist der Uebergang von der weiten Scene zur beschränk- teren vollkommen natürlich und der Punkt, wo Jesus sein Verhältnis zur Menge abbrechen konnte, deutlich bezeichnet: — erst thut er Alles, was er thun konnte und wollte, und dann entweicht er, als es ihm zu viel ward — erst heilt er viele Kranke, um aber eine völlige Erschöpfung zu vermeiden, besteigt er den Berg. Hier hat endlich auch die Erwählung der Zwölfe ihren bedeutungsvollen Anlaß: — sie sollen Jesu in gleicher Weise Genossen und Helfer werden wle die Siebenzig, die Moses berief, demselben die Last, unter der er fast erlag, erleichtern sollten *). | He knows Jesus’ retreat to the mountain from the writing of Mark. He reports that Jesus, when the Pharisees and the followers of the established things noticed the danger with which the boldness of his appearance threatened their rule, and when they conspired with one another against him, escaped with his disciples to the lake, and when the people of Galilee, Judea, Jerusalem, Judea and from beyond the Jordan also came there, even the inhabitants of the region of Tyre and Sidon followed him, and the sick, of whom he healed many, attacked him in order to touch him, he finally withdrew from this urge and went out of the mountain, where he called to himself only those whom he at that moment appointed to be his constant companions and apostles (Marc. 3,7 -14). Here the transition from the broad scene to the more restricted one is completely natural and the point where Jesus could break off his relationship to the crowd is clearly marked: – first he does everything he could and wanted to do and then he escapes when it became too much for him – first he heals many sick people, but in order to avoid a complete exhaustion he climbs the mountain. Here, finally, the election of the Twelve has its significant reason: – they are to become comrades and helpers to Jesus in the same way as the Seventy, whom Moses called to lighten the burden under which he almost succumbed *). |
89* | *) 4. Mos. 11, 11-17. Vergl. 2. Mos. 18, 14-26. | *) Numbers 11, 11-17, compare Edodus 18, 14-26. |
89 | Wohl! Matthäus hat sich Versehen und für das Motiv, welches den Rückzug auf den Berg herbeiführt und erklärt, kein Auge gehabt. Woher kommt aber die Rede und am Schluß derselben die Anwesenheit des Volks, dem Jesus gerade entgehen wollte, als er auf den Berg stieg?
Lukas hat ihn auf den Gedanken gebracht, daß Jesus jetzt eine Rede halten müsse, Lukas hat es ihm möglich gemacht, daß im Widerspruch mit seiner eigenen Voraussetzung das Volk dennoch die Rede hörte. |
Well! Matthew made a mistake and did not have an eye for the motive that brought about and explained the retreat to the mountain. But where does the speech come from, and at the end of it the presence of the people, which Jesus wanted to avoid when he climbed the mountain?
Luke gave him the idea that Jesus had to give a speech now, Luke made it possible for him that in contradiction to his own presupposition the people nevertheless heard the speech. |
89/90 | Nachdem dieselben Collisionen vorgefallen waren, die in der Schrift des Marcus die Verschwörung der Obern des Volks herbelkührten, begibt sich der Jesus des Lukas — nicht erst an das freie Seeufer, sondern sogleich auf einen Berg, wo er nach der Gewohnheit, die ihm in der Schrift des Lukas eigen ist, während der Nacht betet und am Morgen die Zwölfe beruft. Darnach steigt er mit denselben in die Ebene herab und hier begegnet ihm — nein! begegnet ihm nicht, sondern erscheint mit so wunderbarer Plötzlichkeit, daß der Evangelist sogar das ZeitWort hinzuschreiben Vergißt, weiches zur Anmeldung dieser Erscheinung erforderlich war, dieselbe Menge aus allen umgränzenden Ländern, die in der Schrift des Marcus den Herrn vor seinem Entweichen beschäftigte, Jesus heilt die Kranken, der ganze Volkshaufe sucht ihn zugleich zu berühren, um der Heilkraft willen, die von ihm ausging, und in dieser Lage, in demselben Augenblick hebt er seine Augen auf über seine Jünger und hält er die folgende große Rede, die nun allerdings auch das Volk hören konnte (Luk. 6, 12—20. 7, 1.). | After the same collisions had occurred, which in the writing of Mark caused the conspiracy of the rulers of the people, the Jesus of Luke – does not first go to the free shore of the lake, but immediately to a mountain, where he prays during the night according to the habit, which is peculiar to him in the writing of Luke, and calls the twelve in the morning. Then he descends with them into the plain, and here he meets him – no! but appears with such marvellous suddenness that the evangelist even forgets to add the word of time, which was necessary for the announcement of this apparition, the same crowd from all the surrounding countries which in the writing of Mark occupied the Lord before his escape, Jesus heals the sick, the whole crowd seeks to touch him at the same time, for the sake of the healing power that emanated from him, and in this situation, at the same moment, he lifts up his eyes over his disciples and delivers the following great speech, which now, however, the people could also hear (Luk. 6, 12-20. 7, 1.). |
90 | Diesen Bericht mußte Matthäus im Auge haben, wenn es ihm möglich werden sollte, am Schluß einer Rede, die anfangs nur für die Jünger bestimmt war, auch das Volk als anwesend Vorauszusetzen. Lukas hat diese Predigt zuerst mit der Erwäh- lung des Jüngerkreises in Verbindung gesetzt — er allein brächte Matthäus auf den Gedanken, sie sogleich an die Beru- fung der vier ersten Jünger anzuknüpfen. Marcus und Lukas — Beide trieben den Matthäus auf den Berg, da er aber in diesem Augenblick die Berufung der Zwölfe auf dem- selben noch nicht erfolgen lassen konnte, so benutzte er ihn als Lehrkanzel, die der Herr bestieg, um die folgende Rede zu halten.
Lukas hat übrigens auch schon Unglück gehabt, als er die Menge, deren Anforderungen und Andrängen den Jesus des Marcus auf den Berg trieben, zum Auditorium machte, welches den Herrn unten in der Ebene erwartete und seine Rede zu hören bekam. Er hat nicht bedacht, daß ein andrängender Haufe, der den wunderkräftigen Arzt zu berühren suchte, nicht die Ruhe hatte, die der Prediger verlangt und die zur Samm- lung des eigenen Gemüths nothwendig ist. |
Matthew must have had this report in mind if he was to be able to assume that the people were present at the end of a sermon that was initially intended only for the disciples. Luke first connected this sermon with the mention of the circle of disciples – he alone would have given Matthew the idea to connect it with the first four disciples. Mark and Luke – Both drove Matthew to the mountain, but since he could not yet have the calling of the twelve on it, he used it as a teaching pulpit, which the Lord climbed to deliver the following speech.
Luke, by the way, had already had misfortune when he made the crowd, whose demands and urgings drove the Jesus of Mark up the mountain, the auditorium which awaited the Lord down on the plain and heard his speech. He did not consider that a throng of people who wanted to touch the miraculous doctor did not have the peace and quiet that the preacher demanded and which was necessary for the gathering of his own mind. |
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90 | Die Seligpreisungen. | The Beatitudes. |
90/91 | Neun Seligpreisungen folgen in der Darstellung des Mal- thäus C. 5, 3—12 auf einander — zu viel schon für den Fall, daß sie Ein Thema variirten, Einen Gegensatz hätten, m Einer Richtung vorschritten — mehr als zu viel, wenn der Verfasser Ein Thema durchzuführen glaubte und Satze neben einander ge- stellt hat, die nach verschiedenen Richtungen auseinandergehen. | Nine Beatitudes follow each other in the account of Matthew C. 5, 3-12 – too much already in the case that they varied a theme, had a contrast, proceeded in one direction – more than too much if the author believed to carry out a theme and placed sentences next to each other that diverge in different directions. |
91 | Er hat sich in der That versehen. Einige dieser Seligpressungen, diejenigen gerade, deren reiner Bau sie zu jener jubelnden Zuspitzung macht, in der z. B. die Durchführung eines musikalischen Satzes ihre melodiöse Vollendung erhält, wenden sich an die Entbehrenden und Zerschlagenen, die denen, welche die Herrschaft und Gewalt besitzen, als die Leidenden gegenüberstehen, und versichern sie der künftigen Vergeltung, die ihnen für das Leiden des Augenblicks einen ewigen Lohn verschaffen wird. ״Selig sind, die da Leid tragen, lautet der zweite Satz (V.4) denn sie sollen getröstet werden” — ״selig nennt der achte Satz, der (V. 10) dem Schluß unmittelbar vorhergeht, diejenigen, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr”; ja, der Schlußsatz, der dem Thema den letzten Vollendeten Ausdruck geben will und zu dessen Klarheit und Tonfülle die vorhergehenden Seligpreisungen nur die wiederholten Ansätze bilden, beschreibt mit einer mächtigen Anschwellung des Tons das Leiden der Gedrückten und läßt dem Jubel über die Vergeltung, die ihnen im Himmel bereitet ist, den vollen, siegesgewissen Lauf: ״selig seyd ihr, triumphirt dieser Schlußsatz V. 11, 12, wenn euch die Leute um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden jederlei Uebels wider euch, so sie daran lügen, — freuet euch und jauchzet, euer Lohn im Himmel ist viel, denn also verfolgten sie die Propheten, die vor euch waren.” | He was indeed wrong. Some of these beatitudes, especially those whose pure construction makes them that exultant climax, in which, for example, the development of a musical movement receives its melodic perfection, are addressed to the deprived and brokenhearted, who stand opposite those who possess dominion and power as the suffering ones, and assure them of the future retribution that will provide them with an eternal reward for the suffering of the moment. ״Blessed are they who mourn,’ reads the second sentence (v.4 ) for they shall be comforted” – ״blessed is the name of the eighth sentence which (v. 10) immediately precedes the conclusion, those who are persecuted for righteousness’ sake, for theirs is the kingdom of heaven”; indeed, the final sentence, which seeks to give the theme its final completed expression and to whose clarity and fullness of tone the preceding beatitudes form only the repeated beginnings, describes with a mighty swelling of tone the suffering of the oppressed and gives full, victorious vent to the exultation over the retribution prepared for them in heaven: ״blessed be ye, triumphant this Final clause vv. 11, 12, when men revile you for my sake, and persecute you, and speak all manner of evil against you, when they lie against you, – rejoice and exult, your reward in heaven is much, for so they persecuted the prophets that were before you.” |
91/92 | Zu jenen allmähligen Anschwellungen, in denen sich die reine Melodie des Schlußsatzes ankündigt, verhalten sich aber die andern Seligpreisungen, lindestens ausgedrückt, gleichgültig — d. h. der Schlußsatz ist in der Darstellung des Matthäus nicht Wirklich vorbereitet, da ihm Ansätze vorangeben, die ihn durchaus nicht im Sinne haben, und diejenigen Vorstufen, die wirklich zu ihm hinfübren, sind durch den fremden Zwischenbau versperrt. | The other Beatitudes, however, are, at least to put it mildly, indifferent to those gradual swellings in which the pure melody of the final sentence is announced – that is, the final sentence is not really prepared in Matthew’s presentation, since it is preceded by beginnings that do not have it in mind at all, and those preliminary stages that really lead to it are blocked by the foreign intermediate structure. |
92 | In dem Spruche von den Friedfertigen (V. 9) ist des Ge« gensatzes der Welt nicht gedacht, der Preis der Barmherzigen (V. 7) denkt an ihn nicht, — diejenigen, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit (V. 6), die da reines Herzens sind, brauchen als solche durchaus nicht unter dem Druck der Welt zu leiden, und geistlich arm (V. 3) können auch die Reichen, die Machtbader, die weltlich Glücklichen seyn.
Auch der Gedanke der Vergeltung, die den Leidtragenden, Verfolgten und Geschmähten im himmel zu Theil werden soll, fehlt in den Sprüchen, in denen des Gegensatzes der Welt nicht gedacht wird oder in denen derselbe keine Stätte findet. Zwar sollen die geistlich Armen das Himmelreich erhalten, die Sanftwüthigen das Erdreich besitzen, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, satt werden, die Barmherzigen Barmherzigkeit erlangen, die reines Herzens sind, Gott schauen, die Friedfertigen Kinder Gottes heißen, aber alle diese Güter, die ihnen zu Theil werden sollen, sind überhaupt nur der Lohn, der ihnen für ihre Friedfertigkeit, Herzensreinheit, Barmherzigkeit, Sanftmuth, geistliche Armuth zu Theil wird — der Lohn, der auf ihr Verhalten zu Gott und ihr gütiges Benehmen gegen die Welt gesetzt ist — aber nicht die Vergeltung, die ihnen für ihre Leiden unter dem Druck der Welt zu Theil werden soll. |
In the saying about the peacemakers (v. 9), the opposition of the world is not considered, the prize of the merciful (v. 7) does not think of it, – those who hunger and thirst for righteousness (v. 6), who are pure in heart, do not need to suffer under the pressure of the world, and the spiritually poor (v. 3) can also be the rich, the power-badgers, the worldly fortunate.
The idea of retribution, which is to be granted in heaven to those who suffer, are persecuted and reviled, is also missing in the Proverbs, in which the opposition of the world is not thought of or in which it finds no place. It is true that the spiritually poor shall receive the kingdom of heaven, the meek shall possess the earth, those who hunger and thirst for righteousness shall be filled, the merciful shall obtain mercy, the pure in heart shall see God, the peacemakers shall be called children of God, are only the reward they receive for their peaceableness, purity of heart, mercy, gentleness, spiritual poverty – the reward that is set on their conduct towards God and their kind behaviour towards the world – but not the retribution they are to receive for their suffering under the pressure of the world. |
92/93 | Die Verwirrung des Ganzen erreicht endlich ihren Gipfel, wenn im Schlußsatz, der die oorangeheuden Ansätze zu ibrer reinen Vollendung führen sollte, plötzlich eine Richtung eingeschlagen wird, die ihnen durchaus fremd war. Die sieben ersten Seligpreisungen bezogen sich auf Alle überhaupt, die der Güter des Himmelreichs werth sind — auch die achte lautete noch ganz allgemein: ״selig sind die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr” — wenn nun aber die Verfolgten und Geschmähten im Trost des Schlußsatzes (V. 12) darauf verwiesen werden, daß die Propheten dasselbe Schicksal hatten, ja, wenn die Propheten — ״die vor euch gewesen sind” — ausdrücklich als ihre Vorgänger bezeichnet werden, so müs- sen diejenigen, die im Gedanken des gemeinsamen Schicksals ih- ren Trost finden sollen, mit den Propheten auch dieselbe Auf« gäbe durchzuführen haben. Sie sind die Apostel. | The confusion of the whole finally reaches its peak when in the final sentence, which should lead the oorangeheuden beginnings to their pure perfection, a direction is suddenly taken which was completely foreign to them. The first seven Beatitudes referred to all who are worthy of the goods of the kingdom of heaven – the eighth was also still quite general: ״blessed are those who are persecuted for righteousness’ sake, for theirs is the kingdom of heaven’ – but when the persecuted and reviled are now referred to in the consolation of the final sentence (v. 12), they are told that they will be persecuted and reviled. 12) that the prophets had the same fate, indeed, if the prophets – ״who were before you’ – are expressly called their predecessors, then those who are to find comfort in the thought of the common fate must also have to carry out the same “task” with the prophets. They are the apostles. |
93 | Die Apostel ausschließlich. Nirgends auch nur der leiseste Wink, daß die prophetische Aufgabe jedes Gläubigen in dem Schlußsatz vorausgesetzt werde — nirgends die leiseste Spur eines ״gewissermaaßen” — nirgends ein Fingerzeig, der dem Leser andeutete, er solle über den nächsten Sinn der Worte in das Gebiet einer entfernten Analogie überschwcifen und daran denken, wie jeder Christ gewissermaaßen als Prophet in die feindliche Welt eintrete — nirgends die Möglichkeit einer Aus- flucht — statt dessen die bestimmte und zwingende Wendung, die allein zu den Aposteln führt — zu den Aposteln, deren Ernen- nung und Belehnung mit ihrer geschichtlichen Aufgabe Matthäus noch nicht einmal berichtet hat.
Es bleibt dabei: — er hat sich von der Richtung, in wel- eher die vorhergehenden Seligpreisungen voranschrilten, ablenken lassen und der Zug, der ihn zu den Aposteln führte, war so gewaltig, daß er sogleich darauf die Sprüche folgen läßt, die rein und allein die geschichtliche Stellung der Apostel schildern. ״Ihr seyd das Salz der Erde, — ihr seyd das Licht der Welt” (V. 13. 14). |
The apostles exclusively. Nowhere is there even the slightest hint that the prophetic task of every believer is presupposed in the final sentence – nowhere the slightest trace of a ״surely’ – nowhere a hint that suggests to the reader that he should go beyond the next meaning of the words into the realm of a distant analogy and think about how every Nowhere the slightest trace of a ״certainly’ – nowhere a hint that suggests to the reader that he should go beyond the next meaning of the words into the realm of a distant analogy and think of how every Christian in a certain sense enters the hostile world as a prophet – nowhere the possibility of an evasion – instead the definite and compelling turn that leads only to the apostles – to the apostles whose appointment and entrustment with their historical task Matthew has not even reported.
The fact remains: -he has allowed himself to be distracted by the direction in which the preceding Beatitudes were heading, and the train that led him to the apostles was so powerful that he immediately follows it with the sayings that describe purely and solely the historical position of the apostles. ״You are the salt of the earth, – you are the light of the world’ (v. 13. 14). |
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94 | Auch Lukas beginnt seine Rede mit Seligpreisungen, aber es find nur vier, so daß die Anschwellung des Tons und der bewegtere Rhythmus, womit die vierte beginnt, an einem Punkte eintritt, wo der Leser die vorbereitenden Ansätze noch übersehen kann und die vorhergehenden Durchführungen des Thema’s noch gegenwärtig hat, so daß die letzte volle Entwicklung des Grundgedankens wirklich den beabsichtigten Eindruck macht.
In allen vier Gliedern wird derselbe Gedanke durchgeführt — handelt es sich wirklich von der Vergeltung, die den Leidenden gewiß ist. Wenn es zuletzt heißt (C. 6, 22.): ״selig seyd ihr, so euch die Menschen hassen, und wenn sie euch ausschließen und schmähen und euern Namen als einen bösen verwerfen”, so ist auch die Einheit der Subjecte bewahrt und ist immer noch von denselben die Rede, die vorher als die Armen, Hungernden und Weinenden selig gepriesen wurden. Heißt es endlich in der zweiten Hälfte des Schlußsatzes (V. 23): ״freut euch alsdann und frohlocket, denn sehet, euer Lohn ist groß im Himmel, denn dergleichen thaten ihre Väter den Propheten auch”, so fehlt der Zusatz, den erst Matthäus eingeschoben hat, jener Zusatz: ״die vor euch waren”, der durch die Bestimmtheit der Subjecte, die er voraussetzt, die ausschließliche Beziehung auf die Apostel verlangt, und folgen auch nicht die Sprüche über das Salz der Erde und das Licht der Welt, die die Ausschließlichkeit dieser Beziehung befestigen. Hier im Schlußsatz des Lukas sind vielmehr die Propheten nur der auserwählte Theil des Volks, dem die ganze übrige Masse schon mit derselben Feindseligkeit gegenüberstand wie jetzt den Gläubigen. |
Luke also begins his discourse with beatitudes, but there are only four, so that the swelling of the tone and the more agitated rhythm with which the fourth begins occurs at a point where the reader can still overlook the preparatory beginnings and still has the previous development of the theme present, so that the last full development of the basic idea really makes the intended impression.
The same idea is carried out in all four sections – it is really about the retribution that is certain for those who suffer. When it finally says (C. 6, 22.): ״ Blessed are you when men hate you, and when they exclude you and revile you and reject your name as evil’, the unity of the subjects is also preserved and the same are still spoken of who were previously praised as the poor, the hungry and the weeping. Finally, in the second half of the final sentence (v. 23) it says: ״Rejoice then and be glad, for behold, your reward is great in heaven, for their fathers also did the same to the prophets”, the addition that Matthew first inserted, that addition: ״those who were before you’, is missing, which, by the definiteness of the subjects which it presupposes, demands the exclusive relation to the apostles, and neither do the sayings about the salt of the earth and the light of the world follow, which strengthen the exclusiveness of this relation. Here, in Luke’s final sentence, the prophets are rather only the chosen part of the people, towards whom all the rest of the masses already stood with the same hostility as now towards the believers. |
94/96 | Matthäus hat die ursprüngliche Struktur des Schlußsatzes nicht zu würdigen gewußt — er wußte auch Nichts davon, daß der Schriftsteller, der diesen Satz zuerst gebildet, sein Gefügt und seine Stichworte dem A. L. entlehnt hat. ״Also thaten auch eure Vater”, sagte Moses in einer Strafrede*) — ״also thaten ihre Vater den Propheten”, sagt Jesus, indem er die Leiden der Gläubigen als etwas Natürliches bezeichnen will — der Kompilator Matthäus sah dagegen nicht mehr, daß die- ser allgemeine Ausdruck: ״also thaten auch ihre Väter” zu dem Gedanken führt, daß das, was die Gläubigen erfahren, im Lauf der Welt begründet ist, er erwähnt der Väter nicht und setzt unnöthigerweise statt des allgemeinen Ausdrucks ״also thaten sie”, die Bestimmtheit, die ihm allein im Kopfe liegt: ״also verfolgten sie die Propheten, die vor euch waren.” Wo dagegen sein Vorgänger eine ausdrucksvolle Bestimmtheit her- vorgebracht hat — so in der ersten Hälfte des Schlußsatzes: ״wenn sie euch hassen und aus stoßen und euch schmähen und euern Namen verwerfen um des Menschen Sohnes willen” – da setzt er seine abgeplattete Bestimmtheit, ״wenn sie euch schmähen und verfolgen”, weiß er Nichts davon, daß jener Con- trast des Leidens um Gottes willen und des unausbleiblichen Triumphs dem Buch des Iesaias (C. 66, 5) wörtlich entlehnt ist, weiß er nicht, daß die Ausstoßung aus der verweltlichten Gemeinde dem Kontrast seine wahre Spannung gibt, versteht er demnach auch nicht, was der ursprüngliche Satz: ״wenn sie euern Namen als einen bösen verwerfen” zu bedeuten hatte, und fügt er zu seiner Verflachung: ״wenn sie jegliches Uebels von euch reden”, sogar noch den müssigen und schleppenden Zusatz: ״so sie daran lügen”. Demjenigen, der den Preis der Leidenden, Ausgestoßenen und Gebrandmarkten zuerst ausarbeitete, konnte es nicht in den Sinn kommen, daß er seine Leser durch einen so aufdringlichen Zusatz an die Unschuld jener Leidenden erin- nern müsse. Dieselbe verstand sich von selbst. | Matthew did not appreciate the original structure of the final sentence – he also knew nothing of the fact that the writer who first formed this sentence borrowed his composition and his key words from the A. L. ״Also did your fathers,’ said Moses in a speech on punishment*) – ״also did their fathers the prophets,’ says Jesus, wanting to designate the sufferings of the faithful as something natural – the compiler Matthew, on the other hand, no longer saw that this general expression: The compiler Matthew, on the other hand, did not see that the general expression: ״so also their fathers’ leads to the thought that what the believers experience is founded in the course of the world, he does not mention the fathers and unnecessarily puts instead of the general expression ״so they did’, the definiteness which alone is in his mind: ״so they persecuted the prophets who were before you. ” Where, on the other hand, his predecessor brought forward an expressive definiteness – as in the first half of the final clause: ״if they hate you and cast you out and revile you and reject your name for the Son of man’s sake’ – there he puts his flattened definiteness, ״if they revile you and persecute you’, he knows nothing of the fact that that con- trast of suffering for God’s sake and of inevitable triumph is taken literally from the book of Isaiah (C. 66, 5), he does not know that the expulsion from the worldly church gives the contrast its true tension, so he does not understand what the original sentence: ״If they reject your name as an evil one’ means, and to its flattening he adds: ״If they speak any evil of you’. even the tiresome and tedious addition: ״so they lie about it”. It could not have occurred to him who first worked out the price of the suffering, the outcast and the branded that he should have to remind his readers of the innocence of those sufferers by such an obtrusive addition. This was self-evident. |
95* | *) 4. Mos. 32, 7 οὕτως ἐποίησαν οἱ πατέρες ὑμῶν; Luk. 6, 23. κατὰ ταὐτὰ ἐποίουν τοῖς προφήταις οἱ πατέρες αὐτῶν | *) Numbers. 32, 7 οὕτως ἐποίησαν οἱ πατέρες ὑμῶν; Luke 6, 23 κατὰ ταὐτὰ ἐποίουν τοῖς προφήταις οἱ πατέρες αὐτῶν |
96 | Matthäus hat aber noch mehr gethan. Er bat nicht nur die ursprüngliche Struktur der Seligpreisungen zerstört, den Rhythmus in Verwirrung gebracht, den Gang der Melodie un- terbrochen, bedeutungsvolle Wendungen eingeknickt, ausdrucksvolle Züge abgeplattet — er hat sogar den Grundgedanken des Gan- zen nicht verschont und ihn in gleicher Weise entstellt, wie er die Form, die derselbe von seinem Schöpfer erhalten, gefährlich beschädigt hat.
Ursprünglich, d. h. in der Gestalt, in der sie uns im Lukasevangelium entgegentreten, waren nämlich die Seligpreisungen Nichts mehr und Nichts weniger als der revolutionäre Angriff des christlichen Princips auf eine Voraussetzung, die die durchgehende Grundlage des Zudenthums bildete, so wie auf die Macht des Weltreichs, deren Druck die neue Sammlung des Gemüths, die den Aufgang des Christenthums bezeichnete, zum Theil hatte erzeugen helfen, aber auch zugleich zusammenpreßte, irritirte und zu ihrer allumfassenden Erweiterung trieb. Ja, nicht nur der Angriff — sie waren schon die Vollendung der Revo- lution, der Sieg, und ihr Jubel feiert den Umsturz der weltlichen Voraussetzung des Zudenthums und der gesummten Weltmacht, deren Hohn und Stolz an dem neuen Reichthum der Gedrückten und Ausgeschlossenen seine Widerlegung fand. Laßt dem Unglück immerhin seinen Lauf, das ist der ur- sprüngliche Sinn dieser Seligpreisungen, laßt es die Welt verwüsten und Alles mit Verzweiflung erfüllen — das Unglück ist der Anfang des Heils und die Verzweiflung der Quell des Trostes — je größer die Zerscblagenheit, um so größer unser Werth, um so sicherer ist uns der himmlische Schatz. |
But Matthew has done even more. He not only destroyed the original structure of the Beatitudes, confused the rhythm, interrupted the course of the melody, bent meaningful turns, flattened expressive features – he even did not spare the basic idea of the whole and distorted it in the same way as he dangerously damaged the form it received from its creator.
Originally, i.e. in the form in which they appear to us in the Gospel of Luke, the Beatitudes were nothing more and nothing less than the revolutionary attack of the Christian principle on a presupposition that formed the continuous basis of the covenant, as well as on the power of the world empire, the pressure of which had partly helped to produce the new gathering of the mind that marked the rise of Christianity, but at the same time also squeezed, irritated and drove it to its all-embracing expansion. Yes, not only the attack – they were already the completion of the revolution, the victory, and their jubilation celebrates the overthrow of the worldly prerequisite of the Zudenthum and the hummed world power, whose scorn and pride found its refutation in the new wealth of the oppressed and excluded. Let misfortune take its course, that is the original meaning of these beatitudes, let it devastate the world and fill everything with despair – misfortune is the beginning of salvation and despair the source of consolation – the greater the disasters, the greater our value, the more certain we are of the heavenly treasure. |
96/97 | Mögen die Diener des alten Gesetzes immerhin unsers Elends und Jammers spotten — lasset sie sich der Harmonie erfreuen, die ihr Gesetz zwischen dem innern Werth und dem äußern Wohlergehen hinstellen will — ihre trügerische Harmonie wird doch in der Disharmonie verklingen, die letzt das Weltgesetz geworden ist — die Disharmonie ist unsere Regel, unser Gesetz. | Let the servants of the old law mock our misery and woe – let them enjoy the harmony that their law wants to set up between inner value and outer well-being – their deceptive harmony will nevertheless fade away in the disharmony that has ultimately become the law of the world — disharmony is our rule, our law. |
97 | Laßt den Herrschern und Bevorrechteten den Hohn, mit dem sie auf euch herabsehen, nachdem sie euch unglücklich gemacht, ausgestoßen und aus dem Genuß ihrer Gesellschaft, aus dem Schutze ihres gesetzlichen Verbandes vertrieben haben — wohl euch, daß ihr mit den Bevorzugten dieser Welt Nichts mehr gemein habt — im Himmel wartet eurer die Gemeinschaft, die größer, mächtiger, reicher ist.
Die Kühnheit dieser Voraussetzung, daß die Armen wegen ihrer Armuth, die Hungernden wegen ihres Hungers, die Gedrückten wegen ihrer Bedrängnisse, die Ausgestoßenen wegen ihrer Verworfenheit der Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens sind und in ihrer Armuth und Gedrücktheit den Quell ihrer Seligkeit besitzen, hat Mathäus gelähmt, ja vollständig vernichtet, als er die Armen des Lukas in diejenigen verwandelte, die ״im Geiste” arm sind. Den Anstoß, den ihm die Schroffheit jener Voraussetzung zu enthalten schien, glaubte er zu beseitigen, indem er jenen Zusatz hinzufügte und damit dem Leser zu verstehen gab, daß die Armuth, die den Menschen werthvoll und des Himmelreichs theilhaftig mache, geistig zu verstehen sey — auf die Frage, was nun diese geistig zu fassende Armuth eigentlich sey, würde er eben so wenig eine bestimmte Antwort geben können als die spätern Ausleger, die sich vergeblich bemüht haben, den unbestimmten Anklang, den derEvange- list durch seine Combination erzeugt hat, zu einem wirklich bestimmten Geoanfen fortzuführen. |
Let the rulers and the privileged have the scorn with which they look down upon you, after they have made you unhappy, expelled you and driven you from the enjoyment of their society, from the protection of their legal association – good for you that you no longer have anything in common with the privileged of this world – in heaven the community awaits you which is greater, more powerful, richer.
The boldness of this premise, that the poor because of their poverty, the hungry because of their hunger, the oppressed because of their afflictions, the outcast because of their depravity, are the object of divine benevolence and possess in their poverty and oppression the fountain of their blessedness, paralysed, indeed completely destroyed, Mathew when he transformed Luke’s poor into those who are poor ״in spirit’. He believed that he could remove the objection that the abruptness of this premise seemed to him to contain by adding this addition and thus giving the reader to understand that poverty, which makes man valuable and worthy of the kingdom of heaven, is to be understood spiritually – in answer to the question, what this spiritual poverty actually is, he would be just as unable to give a definite answer as the later commentators, who have endeavoured in vain to develop into a really definite geoanfen the indeterminate appeal which the Evangelist has produced by his combination. |
97/98 | Mag aber das Spiel des Gegensatzes, zu dem Matthäus den Anlaß gegeben, wie jedes Spiel des Contrastes zu noch so interessanten Wendungen führen, mag es die erbaulichsten Betrachtungen veranlassen — es bleibt doch dabei, daß seine Combination nur eine zufällige, keine ursprüngliche Gedankenstimmung, nicht frei geschaffen ist — vor Allem bleibt die Hauptsache, daß er in einen fremden Typus seinen Contrast eingefügt hat. | But no matter how interesting the play of contrast, to which Matthew gave the occasion, may lead, like every play of contrast, to the most edifying reflections – it remains the case that his combination is only an accidental one, not an original mood of thought, not freely created – above all, the main thing remains that he has inserted his contrast into an alien type. |
98 | Wenn es gewiß ist, daß jener christliche Jubel über die Nichtigkeit des weltlichen Scheins, der sich in dem zweiten Korintherbrief C. 6, 4—10 mit der Kraft der subjectiven Empfindung äußert, in den Seligpreisungen des Lukasevangeliums seine erste evangelische Gestaltung erhalten hat, so fragt es sich doch noch, ob Lukas dieser ursprüngliche Former war. | If it is certain that that Christian exultation over the vanity of worldly appearances, which expresses itself in the Second Epistle to the Corinthians C. 6, 4-10 with the power of subjective feeling, received its first evangelical form in the Beatitudes of Luke’s Gospel, it is still questionable whether Luke was this original former. |
98/99 | Die Antwort kann nur verneinend ausfallen. In der Schrift des Lukas folgen nämlich auf die Seligpreisuugen vier entsprechende Weherufe über die Reichen, Vollen, Lachenden und über die, von denen Jedermann wohl redet, aber diese Wehe’s sind matt, prosaisch, können sich mit der Kraft der Seligpreijungen nicht messen, sind diesen viel zu geometrisch genau nachgebildet, als daß sie zu eigner Bedeutungsich erbeben könn- ten, und haben in der Kirche auch in der That niemals beson- deres Ansehen erlangt. Die Fülle des Schlußsatzes ferner, in welchen die Seligpreisungen auslaufen, hat etwas Abschließendes, beweist, daß mit diesem Jubel das Thema erschöpft seyn soll, und schließt die matte Wiederaufnahme des Thema’s in den Weherufen sogar aus. Auf die Weherufe folgt endlich V. 27— 36 eine große Ausführung über die Nothwendigkeit der Feindesliebe — wenn dieselbe auch allerdings ein neues Thema ist und die Feinde, deren Herrschaft und Bosheit in den Seligpreisungen als das Bestehende und im Weltlauf Begründete vorausgesetzt wird, vielmehr als hilfsbedürftig den Gläubigen gegenüberstellt, so könnte doch allenfalls, freilich immer nur ein sehr entfernter Zusammenhang mit den Seligpreisungen hergestellt werden, wenn die Weherufe gestrichen werden. Seyd ihr auch gepreßt und gedrückt — so könnte dieser Zusammenhang zur Noth gedacht werden, — leidet ihr auch unter dem Druck der Welt, so sage ich euch doch: liebt eure Feinde, thut denen wohl, die euch hassen! — aber jeder Gedanke an Zusammenhang muß aufgegeben werden, wenn unmittelbar vorher, V. 26, in dem letzten Weherufe diejenigen unglücklich genannt werden, von denen Jedermann wohl redet, d. h. wenn des Drucks und der Verfolgung mit keinem Wort gedacht war. | The answer can only be in the negative. In Luke’s writing, the Beatitudes are followed by four corresponding woes about the rich, the full, the laughing and about those of whom everyone speaks, but these woes are dull, prosaic, cannot measure up to the power of the Beatitudes, are far too geometrically exact an imitation of the latter to be able to shake to their own significance, and in fact have never attained special renown in the Church. The fullness of the final sentence, in which the Beatitudes end, has something concluding about it, proves that the theme is to be exhausted with this exultation, and even excludes the muted resumption of the theme in the prophecies. Finally, the prophecies are followed by a great elaboration on the necessity of loving one’s enemies (vv. 27-36) – even if this is a new theme and the enemies, whose dominion and wickedness is assumed in the Beatitudes to be the existing and justified in the course of the world, are rather confronted with the believers as being in need of help, it would still be possible to establish a very distant connection with the Beatitudes if the prophecies were deleted. If you are also pressed and oppressed – this connection could be thought of as a necessity, – if you also suffer under the pressure of the world, then I say to you: love your enemies, do good to those who hate you! – But every thought of connection must be abandoned when immediately before, v. 26, in the last cry of woe, those are called unhappy of whom everyone speaks well, i.e. when pressure and persecution were not thought of at all. |
99 | Dieser Mangel an Zusammenhang beweist, daß Lukas nicht der ursprüngliche Schöpfer war. Er fand in einer seiner Quellen die Seligpreisungen vor — seine Quelle lieferte ihm auch die folgende Ausführung V. 27 —36, in welcher die Feinde nicht als herrschend und die Gläubigen als darbend und ausgeschloffen, sondern jene als bedürftig, diese als mittheilend von dem Ihrigen einander gegenüberstehen — beide Gruppen von Sprüchen stellte er nebeneinander und die Verwirrung des Ueberganges von der ersten zur zweiten hat er wahrscheinlich selbst erst verursacht, indem er den Seligpreisungen die entsprechenden Weherufe nach schickte.
Matthäus benutzte dieselbe Quelle, aus der Lukas schöpfte, höchstwahrscheinlich noch andere, in denen das Thema bereits mehrfach variirt war, die ursprüngliche Ausführung des Thema’s und die spätern Variationen warf er zusammen, der Vorgang des Lukas bestimmte ihn, seine Bergpredigt mit den Seligpreisungen zu eröffnen, und sein eigenes Ungeschick verhalf ihm zu jenen störenden Zusätzen und Veränderungen, zu jenen Entdeckungen, deren Ruhm ihm durchaus nicht geschmälert werden soll. |
This lack of context proves that Luke was not the original creator. He found the Beatitudes in one of his sources – his source also provided him with the following version, vv. 27-36, in which the enemies are not opposed to each other as ruling and the faithful as suffering and excluded, but the former as needy and the latter as sharing what they have – he placed both groups of sayings next to each other and probably caused the confusion of the transition from the first to the second himself by sending the corresponding prophecies after the Beatitudes.
Matthew used the same source from which Luke drew, most probably others in which the theme had already been varied several times, he threw the original execution of the theme and the later variations together, Luke’s process determined him to open his Sermon on the Mount with the Beatitudes, and his own clumsiness helped him to make those disturbing additions and changes, those discoveries whose fame should not be diminished at all. |
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100 | Das Salz der Erde. | The salt of the earth. |
100 | Auch der Ruhm, daß er an die Seligpreisungen, die sich an die Gläubigen überhaupt richten, V. 13—16 die beiden Sprüche über die Bedeutung der Apostel angefügt hat, ist ihm bereits gesichert.
Es würde vergeblich seyn, zwischen den Seligpreisungen der Leidenden und dem Spruch über die hohe Würde der Aposiel, zwischen Sprüchen, die die Leiden unter dem Drucke der Welt zum Gegenstand haben, und dem Preis der Apostel wegen ihrer hohen Bestimmung auch nur den Schein eines Zusammenhangs herzustellen; von Sprüchen, die den Gläubigen wegen ihres Leidens selig preisen, giebt es keinen unmittelbaren Uebergang zu einem Abschnitt, in welchem die thätige Beziehung der Apostel zur Welt, das Belebende, Anregende und Durchdringende ihrer Wirksamkeit geschildert wird. Oder wollte man in der Warnung, man solle das Salz nicht dumm werden lassen, den Punkt sehen, an welchen der vorhergehende Preis der Leidenden und Verfolgten anknüpfen könne, wollte man daher den Gedan- ken, daß diejenigen, von denen die Völker die Würze bekommen sollen, durch die Furcht vor zeitlichen Verfolgungen ihre Kraft nicht schwächen dürfen, zum Mittelglied zwischen den vorherge- henden Sprüchen und dieser Warnung machen, so wäre auch das noch ein ungehöriger Uebergang, da vielmehr nur die ruhigen und glücklichen Zeiten für das Salz gefährlich zu werden pflegen. |
The glory of his having added the two sayings about the importance of the apostles to the beatitudes addressed to the faithful in general, vv. 13-16, is already secured for him.
It would be in vain to establish even a semblance of a connection between the beatitudes of the suffering and the saying about the high dignity of the apostles, between sayings which have as their object the sufferings under the pressure of the world and the praise of the apostles because of their high destiny; There is no direct transition from sayings that praise the faithful for their suffering to a passage in which the active relationship of the apostles to the world, the enlivening, stimulating and penetrating nature of their activity, is described. Or if one wanted to see in the warning that one should not let the salt become dull the point to which the preceding praise of the suffering and persecuted could be connected, if one therefore wanted to make the idea that those from whom the nations are to receive the seasoning must not weaken their strength through fear of temporal persecutions the middle link between the preceding sayings and this warning, then this would also be an improper transition, since rather only the calm and happy times tend to become dangerous for the salt. |
100/101 | In der Schrift des Lukas steht der Spruch vom Salz auch nicht in seinem angemessenen Zusammenhang. Als einmal dem Herrn viel Volks nachfolgte, wandte er sich um und sagte er, daß nur derjenige, der Alles, was er hat, aufgiebt, zu ihm kommen könne (C. 14, 25—27); nachdem er sodann an dem Bilde dessen, der einen Thurm bauen will und zuerst die Kosten überschlägt, so wie des Königs, der erst seine Kräfte zähst und abmißt, ehe er einen Krieg beginnt, die Nothwendigkeit der Ue- berlegung und Berechnung nachgewiesen, kommt er (V. 34. 35) zu dem Ausruf: ״ein schön Ding, das Salz!” und zu der Warnung, man solle dasselbe nicht dumm werden lassen, da es dann zu Nichts mehr, auch zu dem niedrigsten Dienste nicht tauge. | In Luke’s writing, the saying about salt is also not in its proper context. When once the Lord was followed by many people, he turned and said that only he who gives up all that he has can come to him (C. 14, 25-27); then, after demonstrating the necessity of deliberation and calculation by the image of one who wants to build a tower and first estimates the cost, like the king who first toughens and measures his forces before he begins a war, he comes (v. 34. 35) to the exclamation: ״a beautiful thing, salt! and to the warning that it should not be allowed to become stupid, since then it is no longer fit for anything, not even for the lowest service. |
101 | Das Aufgeben des Eignen aber, da es nur das persönliche Verhältniß des Einzelnen zum Himmelreich betrifft, was hat es mit dem Salz und dessen ätzender und erfrischender Kraft, — einer Kraft zu thun, die sich nur im Verhältniß zu Andern äußert? Die Entsagung und Verzichtleistung auf alles Eigene, was hat sie mit der Ueberlegung und Behutsamkeit Gemeinsames, die im Bilde vom König, der in den Krieg ziehen, und vom Besitzer, der einen Thurm bauen will, empfohlen wird? Lukas freilich glaubt den besten Zusammenhang zu bilden, wenn er vom Gebot der Entsagung ohne Weiteres zu der Anempfehlung der Behutsamkeit übergeht — er glaubt so fest an das Vorhandenfeyn des Zusammenhangs, daß er am Schluß dieser Anempfehlung mit einem ״also” — ״also auch ein jeglicher unter euch, der nicht entsagt Allem, was er hat, kann nicht mein Jünger seyn” (V- 33) — an jenes Gebot wieder anknüpft und dann ohne Weiteres an diese Rekapitulation seinen Preis des Salzes anschließt — allein die Entsagung, die der Jünger Jesu leisten muß, schließt vielmehr jede Ueberlegung und Behutsamkeit aus und mit dieser Ueberlegung und Abschätzung der eignen Kräfte hat die erfrischende Kraft des Salzes so wenig Gemeinsames, wie mit der Verzichtleistung auf den theuersten Besitz. | But the giving up of what is proper, since it concerns only the personal relation of the individual to the kingdom of heaven, what has it to do with salt and its corrosive and refreshing power, – a power which expresses itself only in relation to others? The renunciation of all that is one’s own, what does it have in common with the deliberation and caution recommended in the image of the king who goes to war and the owner who wants to build a tower? Luke, of course, believes that he makes the best connection when he passes from the commandment of renunciation to the recommendation of prudence without further ado – he believes so firmly in the existence of the connection that he ends this recommendation with an ״also’ – ״also every one of you who does not renounce all that he has, cannot be my disciple” (v. 33) – and then follows this recapitulation with his price of salt without further ado – the renunciation that the disciple of Jesus must make excludes all deliberation and caution, and the refreshing power of salt has as little in common with this deliberation and assessment of one’s own strength as it does with the renunciation of the most precious possession. |
101/102 | Lukas hat verschiedene Sprüche aus seinen -Quellen zusammengerafft und sogar aus dem Anfang der Rede Jesu: ״wer zu mir kommt”, unglücklich genug den Anlaß zur ganzen Rede gebildet: Jesus muß uncherziehen, sich umblicken und zum Volke, welches ihm nachfolgte, über die Wichten seiner Nachfolger sprechen. | Luke has gathered together various sayings from his -sources, and even from the beginning of Jesus’ speech: ״He who comes to me”, unhappily enough formed the occasion for the whole speech: Jesus must uneducate, look around, and speak to the people who followed him about the fate of his followers. |
102 | Und Marcus? Auch er hat den Preis des Salzes. Als sein Jesus den Züngern wegen ihres Streits über den gegenseitigen Vorrang einen Verweis gab und bei dieser Gelegenheit auf das Aergerniß zu sprechen kam, welches der Mensch an seiner eigenen Person finden könne, als er demnach gebot, man solle das Glied, welches der Grund des Aergernisses sey, lieber abthun, als mit dem Gliede sich in das ewige Feuer werfen lassen, da fährt er fort (C. 9, 49): ״denn jeder muß mit Feuer gesalzen werden und jedes Opfer wird mit Salz gesalzen” — da kommt er endlich zum Preis des Salzes (V. 50): ״ein schönes Ding ist das Salz!” und fordert er die Jünger auf: ״habet Salz in euch und Frieden unter einander!”
Salz und Frieden! Salz, das aufregende und erfrischende! und Frieden, den beruhigenden und besänftigenden! Welche Combination! Also Marcus ist doch auch nicht immer Meister! Statt zu gestalten hat er diesmal so mechanisch combinirt wie Matthäus und Lukas fast immer zu combiniren pflegen. Er hat den Frieden mit dem Salz zusammengestellt, um die Rede auf ihren Anlaß — den Streit der Jünger untereinander — endlich wieder zurückzuführen. |
And Mark? He too has the price of salt. When his Jesus rebuked the disciples because of their dispute about mutual priority and took this opportunity to speak of the offence that a man could find in his own person, when he therefore commanded that the member which was the cause of the offence should rather be cut off than be cast with the member into the eternal fire, he continues (C. 9, 49): ״for everyone must be salted with fire and every sacrifice is salted with salt’ – then he finally comes to the price of salt (v. 50): ״for everyone must be salted with fire and every sacrifice is salted with salt’. He finally comes to the price of salt (v. 50): ״A beautiful thing is salt!” and he urges the disciples: ״Have salt in yourselves and peace among yourselves!”
Salt and peace! Salt, the exciting and refreshing! and peace, the soothing and calming! What a combination! So Mark is not always a master after all! Instead of shaping, this time he has combined as mechanically as Matthew and Luke are almost always wont to combine. He has combined the peace with the salt in order to finally lead the speech back to its cause – the quarrel between the disciples. |
102/103 | Der Preis des Salzes hat mit diesem Anlaß und dem eigentlichen Verweis, der im Spruch von der Selbsterniedrigung enthalten ist (V. 35), Nichts zu thun. Aber auch der Spruch vom Aergerniß, an welchen der Gedanke von der Nothwendigkeit des Salzes sogar als das Begründende angeknüpft wird, bietet keine Seite dar, nicht einmal einen Anklang, der auf den folgenden Spruch vom Salz Hinwiese. Weil das ewige Hollen- feuer so eben erwähnt war, soll der Spruch: ״denn Jeder muß mit Feuer gesalzen werden” an seinem Platze seyn? Weil in diesem Spruch das Bild vom Feuer und das vom Salz in eine unklare Verbindung zusammengebracht sind, — darum soll es sich von selbst verstehen, daß nun der Spruch über die Nothwendig- keit und Vortrefflichkeit des Salzes folgen darf? Und ״Jeder” muß mit Feuer gesalzen werden? Etwa jeder der Verdammten? Gleichsam als ein Opfer, das der göttlichen Gerechtigkeit dar- gebracht wird, wie nach dem Gesetz jedes Opfer mit Salz ge- würzt wurde? Allein dann müßte das Subject erst diese Be- stimmtheit erhalten haben, müßte es heißen: jeder von ihnen, jeder von diesen, die im ewigen Feuer schmachten, müßte der Gedanke, daß sie ein Opfer für Gott seyen, erst vorbereitet, motivirt und sodann ausdrücklich aufgestellt seyn, muß es endlich zuvor möglich gemacht seyn, daß das Höllenfeuer mit seiner rei- nen und perpetuirlichen Dual und das Salz mit seiner reini- gendcn, erfrischenden und belebenden Kraft als gleich und ebenbürtig neben einander gestellt, ja zu Einem Bilde zusam- mengewirrt werden können. | The price of salt has nothing to do with this occasion and the actual reference contained in the saying about self-abasement (v. 35). But even the saying about trouble, to which the idea of the necessity of salt is even attached as the justifying factor, offers no side, not even an allusion, that points to the following saying about salt. Because the eternal fire of the fireplace has just been mentioned, should the saying: ״because everyone must be salted with fire’ be in its place? Because in this saying the image of fire and that of salt are brought together in an unclear connection, – therefore it should go without saying that the saying about the necessity and excellence of salt may now follow? And ״Everyone’ must be salted with fire? Every one of the damned? As it were as a sacrifice offered to divine justice, as according to the law every sacrifice was seasoned with salt? But then the subject would first have to have received this specificity, it would have to be said: Each of them, each of these who languish in eternal fire, the thought that they are a sacrifice for God must first have been prepared, motivated and then expressly established, it must finally first have been made possible that the hellfire with its pure and perpetual duality and the salt with its purifying, refreshing and invigorating power can be placed next to each other as equal and equal, yes, swirled together into one image. |
103/104 | Also Jeder! Vielleicht wirklich Jeder? Nicht bloß Jeder der Verbannten? Mit Feuer muß Jeder gesalzen werden, durchs Feuer muß Jeder hindurchgehen — sey es durchs Höl- lenfeuer, sey es durchs Feuer der Selbstverläugnung? Immer noch ein Ding der Unmöglichkeit! Dann müßten in dem Satze: ״jeder muß mit Feuer gesalzen werden” zwei specifisch verschiedne Feuer, als wären sie Eines und dasselbe, zusammengefaßt seyn. Unmöglich! das Höllenfeuer läutert nicht und hat als ein ewiges nicht die Bestimmung der Läuterung, wäh- rend das Feuer, welches denjenigen, der sich in sein Element begiebt, zu einem Gott wohlgefälligen Opfer macht, belebt und erneuert und sogar dem erfrischenden Salz gleich gesetzt Wird. | So everyone! Maybe really everyone? Not just everyone of the exiles? Everyone must be salted with fire, everyone must pass through the fire – be it through the fire of wood, be it through the fire of self-denial? Still an impossibility! Then in the sentence: ״everyone must be salted with fire’ two specifically different fires would have to be combined, as if they were one and the same. Impossible! Hell-fire does not purify and, as an eternal fire, does not have the purpose of purification, whereas fire, which makes the one who enters its element a sacrifice pleasing to God, revives and renews and is even equated with refreshing salt. |
104 | Doch wenn wir selbst das Unding zugeben wollten, daß in dieser Confusion der Bilder und Wendungen, bei dieser gedankenlosen Begründung des vorhergehenden Spruchs von der Tilgung der Aergernisse irgend ein Gedanke — etwa der Gedanke von der Nothwendigkeit der Läuterung seinen Ausdruck erhalten habe, so erreicht die Confusion nun erst ihren höchsten Grad, wenn in der zweiten Hälfte des Spruchs (V. 50) das Salz wegen seiner Vortrefflichkeit gerühmt und die Forderung gestellt wird, man solle es ja immer kräftig und frisch erhalten. Vorher, wenn es mit dem Feuer der Selbstverläugnung gleich gestellt wurde, wirkte es innerlich, war seine Wirkung die Befreiung des Menschen von den Aergernissen, die er in sich selbst findet — jetzt hingegen wirkt es nach außen, ist es die anregende Kraft besonderer Persönlichkeiten, die auf Andere Einfluß üben und deren Lebensgeister erfrischend beleben. | But even if we were to admit the absurdity that in this confusion of images and turns of phrase, in this thoughtless justification of the preceding saying about the eradication of aversions, some thought – such as the thought of the necessity of purification – had found expression, the confusion only reaches its highest degree when, in the second half of the saying (v. 50), salt is praised for its excellence and the demand is made that it should always be kept strong and fresh. Before, when it was equated with the fire of self-denial, it worked inwardly, its effect was the liberation of man from the annoyances he finds in himself – now, however, it works outwardly, it is the stimulating power of special personalities who exert an influence on others and refresh their spirits. |
104/105 | Ein Schriftsteller, der frei aus dem Eignen arbeitet, ist schlechterdings unfähig dazu, Bilder und Wendungen, die nach den verschiedenartigsten Richtungen auseinandergehen, zusammen- zuwerfen, so daß kein Bild zu seinem natürlichen Verlauf kommt, keine Wendung zu dem Ziele gelangt, welches sie beabsichtigt. Die Sprache hat schon als bloßes Element, in dem sich der Schriftsteller bewegt — d. h. wenn wir von der Herrschaft absehen, die der künstlerische Former über sie ausübt — eine so sicher wirkende Kraft, daß sie Wendungen, die nicht wirklich vor- bereitet sind, verschmäht, Wendungen, auf die sie der Zug der Gedanken gebracht hat, auch zu Ende führt, das Bild, dessen sie bedarf, wenigstens in den Umrissen zeichnet. Der Schrift- steller brauch noch gar kein Künstler zu sein — die eigne Kraft des Elements, in dem er arbeitet, trägt ihn doch und wenn er seine Zwecke auch nicht zu wirklichen Kunstgestaltcn auszubildcn vermag, so schieben sie ihn doch vorwärts und geben sie ihm Kraft ihres eignen Dranges die Form an die Hand, die ihnen wenigstens eine nothdürftige Ausführung sichert. | A writer who works freely from his own ideas is utterly incapable of throwing together images and turns of phrase that diverge in the most diverse directions, so that no image comes to its natural course, no turn of phrase reaches the goal it intends. Language, as a mere element in which the writer moves – i.e., if we disregard the dominion that the artistic formator exercises over it – already has a power that works so surely that it spurns turns that are not really prepared, completes turns that the train of thought has brought it to, draws the picture it needs, at least in outline. The writer does not yet need to be an artist – the inherent power of the element in which he works carries him, and even if he is not able to form his purposes into real artistic shapes, they nevertheless push him forward and, by virtue of their own urge, give him the form that ensures them at least a makeshift execution. |
105 | Von dieser Kraft des Elements ist in dem Spruche des Marcus über das Feuer und Salz keine Spur zu finden — es fehlt die Triebkraft eines ursprünglichen Zwecks — darum schwindet jede Ahndung des Zusammenhangs und kann auch nicht einmal von der nolhdürftigsten Ausführung eines wirklichen Ge- dankens die Rede seyn.
Auch Marcus also hatte Quellen, denen er dießmal Bilder und Wendungen entlehnte, ohne das Motiv, welches zu ihnen führte, und ohne den Abschluß, den sie forderten, in seine Schrift zugleich mit aufzunehmen. Es ging ihm dießmal, wie sonst fast immer dem Lukas und Matthäus, die Kraft verließ ihn für einen Augenblick und er war nicht im Stande, fremde schriftstellerische Arbeiten, von denen er abhängig war, angemessen und ohne seine Abhängigkeit zu verrathen, in seinen Plan einzufügen. Sein Plan war eben dießmal schwach und in der That so unglücklich angelegt, daß er nur in der Wirrniß einer haltlosen Dissonanz endigen konnte. Dieser Abschnitt, der an dem Rangstreit der Jünger und ihrer Zurechtweisung sein durchgehendes Interesse haben soll, ist überhaupt, wie sich später zeigen wird, eine der schwächsten Parthieen seines Werkes. |
There is no trace of this power of the element in the speech of Mark about fire and salt – the driving force of an original purpose is missing – that is why every sense of the connection disappears and there cannot even be any talk of the most meagre execution of a real thanks.
Mark, too, had sources from which he borrowed images and phrases this time, without at the same time including in his writing the motive that led to them and the conclusion they demanded. This time, as was almost always the case with Luke and Matthew, his strength left him for a moment and he was unable to integrate other authors’ works, on which he was dependent, into his plan appropriately and without betraying his dependence. His plan was weak at this point and in fact so unhappily conceived that it could only end in the confusion of a groundless dissonance. This section, which is supposed to be interested in the disciples’ dispute over rank and their rebuke, is one of the weakest parts of his work, as will be shown later. |
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105 | Das Licht der Welt. | The light of the world. |
105/106 | Matthäus — Matthäus allein hat dem Preis des Salzes und des Lichts die ausschließliche Beziehung auf die Jünger gegeben — er allein hat die Apostel als das Salz der Erde nnd das Licht der Welt gepriesen. | Matthew – Matthew alone has given the price of salt and light the exclusive relation to the disciples – he alone has praised the apostles as the salt of the earth and the light of the world. |
106 | Doch nickt Er! Hätte er diesen Preis der Apostel zuerst gebildet, so würde er ihn nicht an Sprüche, deren allgemeine Haltung die Beziehung auf die Gläubigen überhaupt gebietet, angefügt, würde er so nicht geschrieben haben, als Ware jener Preis und diese Beschreibung von der Stellung der Gläubigen überhaupt die Ausführung eines einzigen, eines und desselben Gedankens.
Er hat das Verschiedene erst zusammengebracht, beides vorgefunden und namentlich den Preis der Apostel derselben Quellensckrift entlehnt, die Petri Binde- und Lösegewalt (C. 18, 18) auf alle zwölf Apostel übertragen und den Zwölfen die Aussieht eröffnet hatte, daß sie einst auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten würden (C. 19, 28). Ursprünglich hat das Lob des Salzes die anregende und erfrischende Kraft im Auge, die die Gläubigen überhaupt besitzen und die sie in ihrem Verband als Gemeinde auf die schaal und matt gewordene Welt einwirken lassen; — ursprüng- lich waren die guten Werke der Gläubigen überhaupt dasjenige, was vor der Welt leuchten sollte, als Zeugniß der Kraft, mit der sie der himmlische Vater beschenkt hatte. |
Yet He nods! If he had formed this price of the apostles first, he would not have added it to sayings whose general attitude commands the relationship to the faithful in general, he would not have written as if that price and this description of the position of the faithful in general were the execution of a single, one and the same thought.
He first brought the different things together, found both and especially borrowed the praise of the apostles from the same source scripture, which had transferred Peter’s power of binding and loosing (C. 18, 18) to all twelve apostles and had opened up to the twelve the prospect that they would one day sit on twelve thrones and judge the twelve tribes of Israel (C. 19, 28). Originally, the praise of the salt had in mind the stimulating and refreshing power that the believers possessed in general and which, in their association as a congregation, had an effect on the world that had become stale and dull; – originally, the good works of the believers in general were that which was to shine before the world as a testimony of the power with which the heavenly Father had endowed them. |
106/107 | Justinus hat uns aus seinen apostolischen Denkwürdigkeiten diesen Spruch in seiner ursprünglichen Einfachheit aufbewahrt: ״es leuchten aber eure guten Werke vor den Leuten, damit sie sehen und euern Vater im Himmel bewundern”*) — Matthäus hat das Licht in den Spruch gebracht, well er vorher (C. 5, 14. 15) die Sprüche von dem Licht aufgesührt hatte, von denen er glaubte, daß sie mit dieser Aufforderung im strengsten Zusammenhang ständen — er hat in die Aufforderung selbst eine matte und schleppende Zweckbestimmung gebracht, wenn er das Gebot: ״so leuchte euer Licht vor den Leuten” aus dem Zwecke erklärt: ״damit sie eure guten Werke sehen” — er hat
dadurch den wirklichen Zweck, den das Gebot im Auge hat, daß nämlich die Leute durch den Anblick zur Bewunderung des himmlischen Vaters fortgerissen werden sollen, viel zu weit zurückgeschoben. |
Justinus has preserved this saying in its original simplicity from his Apostolic Memoirs: ״But your good works shine before men, that they may see and admire your Father which is in heaven. Matthew has brought light into the saying, since he had previously (C. 5, 14. 15) touched on the sayings about light, which he believed to be in the strictest connection with this exhortation – he has brought into the exhortation itself a dull and sluggish purpose, when he explains the commandment: ״So let your light shine before men’ from the purpose: ״So let your light shine before men’.
purpose: ״so that they may see your good works” – He has thereby pushed back far too far the real purpose of the commandment, namely that people should be drawn away to the admiration of the heavenly Father by the sight of it. |
106/107 | Justinus hat uns aus seinen apostolischen Denkwürdigkeiten diesen Spruch in seiner ursprünglichen Einfachheit aufbewahrt: ״es leuchten aber eure guten Werke vor den Leuten, damit sie sehen und euern Vater im Himmel bewundern”*) — Matthäus hat das Licht in den Spruch gebracht, well er vorher (C. 5, 14. 15) die Sprüche von dem Licht aufgesührt hatte, von denen er glaubte, daß sie mit dieser Aufforderung im strengsten Zusammenhang ständen — er hat in die Aufforderung selbst eine matte und schleppende Zweckbestimmung gebracht, wenn er das Gebot: ״so leuchte euer Licht vor den Leuten” aus dem Zwecke erklärt: ״damit sie eure guten Werke sehen” — er hat dadurch den wirklichen Zweck, den das Gebot im Auge hat, daß nämlich die Leute durch den Anblick zur Bewunderung des himmlischen Vaters fortgerissen werden sollen, viel zu weit zurückgeschoben. | Justin has preserved for us from his Apostolic Memoirs this saying in its original simplicity: ״But let your good works shine before men, that they may see and admire your Father which is in heaven’*) – Matthew has brought light into the saying, since he had previously (C. 5, 14. 15) touched upon the sayings about light, which he believed to be in the strictest connection with this exhortation. — he has brought into the exhortation itself a dull and dragging purpose, when he explains the commandment: ״so let your light shine before men’ from the purpose: ״so that they may see your good works’. – He has thereby pushed back far too far the real purpose of the commandment, namely that people should be drawn away to the admiration of the heavenly Father by the sight of it. |
106* | *) Apol. II. 62. ἵνα βλέποντες θαυμάζωσι τὸν πατέρα ὑμῶν τὸν ἐν τοῖς οὐρανοῖς. | *) 1 Apol. 16.2 ἵνα βλέποντες θαυμάζωσι τὸν πατέρα ὑμῶν τὸν ἐν τοῖς οὐρανοῖς. |
107 | Es war schon ein Versehen von ihm, daß er diesem Spruch, der sich auf die Gläubigen überhaupt bezieht, den Preis der Apostel voranstellte — die Ueberfülle hat er aber noch störender gemacht, indem er zwischen diesen Preis der Apostel und die Aufforderung, die allen Gläubigen gilt, ein Paar Sprüche stellte, die die Bestimmung des Lichts zum Leuchten beschreiben. Zn dem Preis der Apostel: ״ihr seyd das Licht der Well” handelt es sich nicht um die Bestimmung, sondern wird das Factum einfach hingestellt — die Aufforderung an die Gläubigen denkt nicht daran, daß das Licht seiner Natur nach leuchten muß und daß man es nicht unter dem Scheffel stellen werbe, sondern sie hat nur das Interesse, die Bewunderung der Welt auf den himmlischen Vater zu lenken. | It was already an oversight on his part that he prefaced this saying, which refers to the believers in general, with the praise of the apostles – but he made the overabundance even more disturbing by placing between this praise of the apostles and the exhortation that applies to all believers a pair of sayings that describe the purpose of the light to shine. The Apostles’ Praise: ״You are the Light of the Well’ is not about the purpose, but simply states the fact – the exhortation to the faithful does not consider that the light must shine by its nature and that it should not be hidden under a bushel, but is only interested in directing the admiration of the world to the heavenly Father. |
107/108 | Dieser Spruch von der Bestimmung des Lichts zum Leuchten hat überhaupt den Evangelisten Unglück gebracht. Nicht unter den Scheffel oder unter die Bank stellt man das Licht, sondern auf den Leuchter, sagt Jesus in der Schrift des Marcus (C. 4, 21) und mit dem Zusatz: ״damit die Eintretenden das Licht sehen” in der Schrift des Lukas (E. 8, 16) zu den Jüngern, als er ihnen auf ihre Bitte die Parabel vom Säemann gedeutet hatte; — der einzig mögliche Zweck des Spruchs in dieser Umgebung könnte daher nur der seyn, den Jüngern zu insinuiren, daß sie von ihren Fähigkeiten bei Anhörung der Parabeln Gebrauch machen sollten — wie dürftig aber und ungelenk würde in diesem Falle der Spruch seyn — welche weitläufige und pomphafte Anstalten würde der gemacht haben, der zu diesein Zweck den Spruch zuerst gebildet hätte, falls es ihm möglich gewesen wäre, zum Behuf eines so dürftigen Zwecks diesen grandiosen Anlauf zu nehmen. Allerdings würde dieser Sinn der Tendenz des ganzen Abschnitts, in dem er eine wichtige Wendung bildet, entsprechen, da der Vortrag der Parabeln nach der Ansicht des Marcus nur den Zweck hatte, die Jünger in der Auffassung und Deutung derselben zu üben und sie auf ihre bevorrechtete Stellung im Vergleich mit dem unfähigen und unverständigen Volke aufmerksam zu machen — allein auch hier werden wir sehen, war Marcus schwach geworden und hat er sich so weit versehen, daß er einem Spruch, der doch offenbar die Bestimmung der Lichtbringer, Andern voranzuleuchten und den Lebensweg zu erhellen, hervorhebt, diese beschränkte und zugleich gequälte Beziehung auf die Schuldigkeiten gab, die die Jünger gegen sich selbst zu erfüllen hätten. Lukas, so viel können wir für jetzt bestimmen, fand dieses Versehen in seiner Quellenschrift bereits vor. | This saying about the light being destined to shine has brought misfortune to the evangelists. One does not put the light under a bushel or under the bench, but on the lampstand, says Jesus in the writing of Mark (C. 4, 21) and with the addition: ״so that those who enter may see the light’ in the writing of Luke (E. 8, 16) to the disciples when, at their request, he had interpreted to them the parable of the sower; – the only possible purpose of the saying in this environment could therefore only be that of insinuating to the disciples that they should make use of their abilities in hearing the parables – but how meagre and clumsy would the saying be in this case – what extensive and pompous arrangements would he have made who first formed the saying for this purpose, if it had been possible for him to take this grandiose approach for the sake of such a meagre purpose. However, this sense would correspond to the tendency of the whole passage, in which it forms an important turn, since the recital of the parables, in the opinion of Mark, had only the purpose of exercising the disciples in the conception and interpretation of them, and of drawing their attention to their privileged position in comparison with the incompetent and unintelligent people – here, too, we shall see, Mark had become weak and had gone so far as to give this limited and at the same time tortured reference to the obligations that the disciples had to fulfil towards themselves to a saying that obviously emphasises the purpose of the light-bringers to illuminate the path of life for others. Luke, as much as we can determine for now, already found this oversight in his source text. |
108/109 | Später läßt Lukas seinen Herrn das Bild von dem Licht, das man nicht unter den Scheffel, sondern aus den Leuchter steckt, noch einmal gebrauchen — bei dieser Gelegenheit aber noch unpassender als in jenem Zwiegespräch mit den Jüngern. Nach der Urschrift, die dem Marcion vorlag und der nach dem ausdrücklichen Zeugniß des Epiphanias der Vergleich mit Jonas und Salomo fehlte, soll nämlich Jesus unmittelbar darauf, nachdem er C. 11, 29. die Forderung derjenigen, die von ihm ein Zeichen sehen wollten, kurz abgewiesen hatte, das Bild vom Licht aufgestellt und jenen Spruch vom innern Licht, welches den ganzen Leib lichte macht, angefügt haben (V. 33 — 35). Wann aber, müssen wir fragen, wann sollen wir zu dem ästhetischen Urtheil, daß jeder Gedanke an Zusammenhang aufhöre, das Recht erhalten, wenn es hier nicht der Fall seyn soll? Wie fremd müssen sich Anlaß und die veranlaßte Aeußerung gegenüberstehen, damit jenes Urtheil als berechtigt erscheine, wenn der Anlaß, den Lukas dem Spruch vom Licht vorangestellt, noch kein unnatürlicher genannt werden soll? Daß das Anzünden des Lichts und sein offenes Aufstecken auf den Leuchter die Offenkundigkeit der Wirksamkeit Jesu bezeichnen solle, hat nicht einmal der Evangelist angedeutet — daß die Leute, wenn sie Etwas von Jesu sehen wollen, sich an sein offen vor Allen ausgebreitetes Wirken halten sollen, hätte vielmehr ausdrücklich gesagt werden müssen, und hätte der Evangelist auch wirklich seinen Herrn aussprechen lassen, wenn er im Stande gewesen wäre, den Anklang an das Offenkundige, den ihm das Bild vom Anzünden und Aufstecken des Lichts zu enthalten schien, auszuarbeiten. Er konnte es nicht, that es nicht, weil es zu schwer war, diesem Gleichniß seine ursprüngliche Tendenz zu nehmen, wonach es sich an die Andern, d. h. an diejenigen richtete, die Jesu gegenüberstanden, an die Gläubigen und für sie die Mahnung enthielt, daß sie ihr Licht nicht verstecken dürfen. | Later Luke lets his Lord use the image of the light that is not put under a bushel but out of a candlestick – on this occasion, however, even more inappropriate than in the dialogue with the disciples. According to the original manuscript, which was available to Marcion and which, according to the explicit testimony of Epiphanius, lacked the comparison with Jonah and Solomon, Jesus is said to have set up the image of light immediately after this, after he had briefly rejected the demand of those who wanted to see a sign from him (C. 11, 29), and to have added the saying about the inner light, which makes the whole body light (v. 33-35). But when, we must ask, when are we to be justified in the aesthetic judgement that every thought of coherence ceases, if this is not to be the case here? How alien must the occasion and the induced utterance be to each other in order for that judgment to appear justified, if the occasion which Luke prefixes to the saying about the light is not yet to be called unnatural? That the lighting of the light and its open attachment to the lampstand should signify the manifestation of Jesus’ activity is not even implied by the evangelist – that the people, if they want to see something of Jesus, should keep to his work, which is openly spread out before all, The evangelist should rather have said this explicitly, and he should really have let his Lord say it, if he had been able to work out the allusion to the obvious that the image of the lighting and putting on of the light seemed to him to contain. He could not, he did not, because it was too difficult to take away from this simile its original tendency, according to which it was addressed to others, i.e. to those who stood opposite Jesus, to the faithful, and contained for them the admonition that they must not hide their light. |
109 | Daß der Spruch vom innern Licht (V. 34 — 36) dem vorausgesetzten Anlaß gleich fremd ist und vielmehr von einer Instanz, die jeder Mensch in sich trägt, von einem höchsten Punkt im Menschen handelt, von dem zuletzt alle Entscheidung ausgeht, brauchen wir kaum zu bemerken. | We hardly need to notice that the saying about the inner light (vv. 34 – 36) is alien to the presupposed occasion and is rather about an instance that every human being carries within himself, about a highest point in the human being from which all decisions ultimately emanate. |
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110 | Das neue Gesetz. | The new law. |
110 | Den großartig angelegten Abschnitt über das neue Gesetz bat Matthäus nicht geschaffen, aber wohl mit einzelnen Aendc- rungen und Zusätzen bereichert, die den Beweis liefern, wie wenig er im Stande war, ein zusammenhängendes Ganze als solches aufzufassen, geschweige denn es zu schaffen.
Daß ein Abschnitt, in weicyem Jesus sein Gesetz zu dem alten, als dessen Erfüllung er es bezeichnet, in Gegensatz stellt, mit den in sich selbst schon zusammenhangslosen Sprüchen vom Licht der Welt und vom Licht der guten Werke nicht zusammenhänge, daß auch mit den Seligpreisungen, in denen nicht das alte und neue Gesetz, sondern das gegenwärtige Leiden der Gläubigen und ihre Vergeltung im Himmel den Gegensatz bildet, kein wirklicher Zusammenhang hergestellt werden kann, bedarf keiner Erwähnung. Wir gehen sogleich dazu über, in dem Abschnitt die Hand des Matthäus nachzuweisen. |
Matthew did not create the grandiose section on the new law, but enriched it with individual additions and supplements that prove how little he was able to conceive of a coherent whole as such, let alone create it.
That a passage in which Jesus contrasts his law with the old, as the fulfilment of which he describes it, cannot be connected with the already incoherent sayings about the light of the world and the light of good works, and that no real connection can be established with the Beatitudes either, in which not the old and the new law, but the present suffering of the faithful and their retribution in heaven form the contrast, needs no mention. We will immediately proceed to prove Matthew’s hand in the passage. |
110/111 | Er nur war im Stande, in den Eingang, in welchem Jesus C. 5, 17 versichert, daß es durchaus nicht seine Bestimmung sey, das Gesetz aufzulösen, sondern daß er gekommen sey, es zu erfüllen, auch die Propheten einzuschieben. Der Schriftsteller, der die gewaltige Structur dieses Abschnittes bildete und mit großer Geistesgewalt den Gegensatz des alten und des neuen Gesetzes aufstellte und festhielt, wußte recht wohl, um was es sich in dieser Ausführung handelte, dachte nur an das Gesetz und war unfähig dazu, durch die Erwähnung der Propheten im Eingänge eine Erwartung zu erregen, die er nicht zu befriedigen beabsichtigte — und nicht befriedigen konnte. Es gab wohl Leute in der Gemeinde, denen der Jesus der Evangelien zurufen konnte: ״meinet nicht, daß ich gekommen bin, das Gesetz aufzulosen — ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen”, aber kein evangelischer Schriftsteller gibt auch nur mit der leisesten Andeutung zu erkennen, daß er der Voraussetzung fähig war, es könnte wohl Mancher auf die Meinung kommen, daß Jesus am Ende die Propheten auflösen wolle. Im Kreise der evangelischen Anschauung und Geschichtsschreibung stand von vorn herein die Voraussetzung fest, daß das Werk Jesu, wie es sich in seinem Leiden, Tod und in der Auferstehung vollendete, die regelrechte Parallele zu der alttestamentlichen Verheißung sey, war man von vorn herein von der Einheit der Erfüllung und der Verheißung in dem Grade überzeugt, daß es Niemandem einfiel, an einen Unterschied von Beiden oder auch nur an die Möglichkeit zu denken, ob nicht vielleicht das Erlösungswerk eine Seite habe, wonach es als die Auslösung der prophetischen Anschauung erscheinen könne. | He was only able to insert the prophets into the passage in which Jesus assured us that it was not His purpose to abolish the law, but that He had come to fulfil it. The writer, who formed the mighty structure of this passage and with great force of mind established and maintained the contrast between the old and the new law, knew quite well what was involved in this execution, thought only of the law and was incapable of arousing an expectation by mentioning the prophets in the introduction, which he did not intend to satisfy – and could not satisfy. There were certainly people in the congregation to whom the Jesus of the Gospels could cry out: ״meinet not that I am come to dissolve the law – I am not come to dissolve, but to fulfil’, but no evangelical writer gives even the slightest hint that he was capable of the presupposition, some might well come to the opinion that Jesus wanted to dissolve the prophets at the end. In the circle of the evangelical view and historiography, the presupposition was clear from the outset that the work of Jesus, as it was accomplished in his suffering, death and resurrection, was the regular parallel to the Old Testament promise, The people were convinced of the unity of the fulfilment and the promise to such an extent that it did not occur to anyone to think of a difference between the two or even of the possibility that the work of redemption might not have a side, according to which it could appear as the release of the prophetic vision. |
111 | Erst Matthäus hat den Eingang zu einem Abschnitt, der nur vom Gesetz handelt, in Verwirrung gebracht, weil ihm die Formel ״das Gesetz und die Propheten” zu geläufig war, als daß er es sich hätte versagen können, indem er das erste Wort Hinschrieb, auch sogleich das zweite hinzuzufügen. | It was Matthew who confused the entrance to a passage that deals only with the Law, because he was too familiar with the formula ״the Law and the Prophets’ to refrain from adding the second word to the first. |
111/112 | Er nur hat zu eben so unnützen Fragen wie gedankenlosen Beantwortungen derselben Anlaß gegeben, als er den Herrn V. 18 sagen ließ: ״bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Strich vom Gesetze untergehn, bis Alles geschehen ist”. Bis Himmel und Erde— also werden sie wirklich vergehen? Aber von einem neuen Himmel und einer neuen Erde ist nachher nicht die Rede. Und wenn Alles geschehen ist? Wie dann? Soll dann das Gesetz fallen? Soll dann manches Jota und mancher Strich unter die Bank geschoben werden können? Matthäus mag die Frage beantworten — er mag die Confusion auflösen, — wenn es ihm möglich ist. Er mag es verantworten, daß er diese schielende Hinweisung auf die künftige Ausführung des Gesetzes in den Eingang verwebt und sogar die Reflexion über diese Ausführung hinaus ins Leere getrieben hat, während in dem ganzen folgenden Abschnitt die Erfüllung des Gesetzes, die Jesus aufstellt und realisirt, in keiner andern Weise an die Zukunft denkt als jedes Gesetz überhaupt d. h. nur insofern, als sie wie jedes Gesetz auch von den Andern ausgeführt seyn will. | He only gave rise to such useless questions as well as thoughtless answers to them, when he let the Lord say v. 18: ״Until heaven and earth pass away, not one jot or tittle of the law will perish, until all is done’. Until heaven and earth – so they will really pass away? But there is no mention of a new heaven and a new earth afterwards. And when everything has happened? How then? Shall the law fall then? Shall it then be possible to put a few iota and a few stroke under the bench? Matthew may answer the question – he may dissolve the confusion, – if it is possible for him. He may be responsible for the fact that he has interwoven this squinting reference to the future execution of the law into the entrance and even driven the reflection beyond this execution into the void, while in the whole of the following passage the fulfilment of the law, which Jesus establishes and realises, thinks of the future in no other way than every law in general, i.e. only in so far as, like every law, it also wants to be executed by others. |
112 | Aber etwas Anderes war der Gedanke der Ewigkeit — der Gedanke, daß vom Gesetz nie auch nur ein Titelchen fallen solle — dieser Gedanke war in dem Spruch ursprünglich ausgedrückt, Lukas hat ihn erhallen, wenn er seinen Herrn sagen läßt (C. 16, 17): ״es ist leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß Ein Strich des Gesetzes falle” — das ist etwas Anderes — das ist richtig — die Unvergänglich keil des Gesetzes und der gleiche, unendliche Werth aller seiner einzelnen Bestimmungen: — darum konnte es sich allein hier handeln, das war allein an seinem Platze. | But something else was the thought of eternity – the thought that from the law never even a little title should fall – this thought was originally expressed in the saying, Luke has it echoed when he lets his Lord say (C. 16, 17): ״It is easier for heaven and earth to pass away than for one stroke of the law to fall’ – that is something different – that is correct – the immortality of the law and the equal, infinite value of all its individual provisions: – that alone could be the issue here, that alone was in its place. |
112/113 | When Matthew found heaven and earth mentioned in his source, he remembered that saying which, in Jesus’ discourse on the last things, contrasted the imperishability of his words with the impermanence of heaven and earth. Heaven and earth will pass away, but my words will not” says the Jesus of Mark C. 13, 31, i.e. what I tell you about my future is more firm than heaven and earth and will be fulfilled; Matthew also read immediately before this saying the assurance of Jesus (Marc. 13, 30) that this generation shall not pass away, ״until all that he hath spoken concerning This assurance of certain success*) he wove unseemly enough into a saying that dealt only with the equal value of all the provisions of the law as well as with the immortality of the whole, and he increased the thoughtless confusion still further by introducing by means of the same formula the incongruous reminder of the fall of heaven and earth**). Thus arose the confusion of his double final date: until heaven and earth pass away and until all things come to pass. | When Matthew found heaven and earth mentioned in his source, he remembered that saying which, in Jesus’ discourse on the last things, contrasted the imperishability of his words with the impermanence of heaven and earth. Heaven and earth will pass away, but my words will not” says the Jesus of Mark C. 13, 31, i.e. what I tell you about my future is more firm than heaven and earth and will be fulfilled; Matthew also read immediately before this saying the assurance of Jesus (Marc. 13, 30) that this generation shall not pass away, ״until all that he hath spoken concerning This assurance of certain success*) he wove unseemly enough into a saying that dealt only with the equal value of all the provisions of the law as well as with the immortality of the whole, and he increased the thoughtless confusion still further by introducing by means of the same formula the incongruous reminder of the fall of heaven and earth**). Thus arose the confusion of his double final date: until heaven and earth pass away and until all things come to pass. |
113* | *) Marc. 13, 30. μέχρις οὖ ταῦτα πάντα γένηται.
Matth. 5, 18. ἕως ἂν πάντα γένηται **) Matth. a. a. O. ἕως ἂν παρέλθῃ ὁ οὐρανὸς κ. τ. λ. |
*) Mark 13, 30. μέχρις οὖ ταῦτα πάντα γένηται.
Matth. 5, 18. ἕως ἂν πάντα γένηται **) Matth. op. cit. ἕως ἂν παρέλθῃ ὁ οὐρανὸς κ. τ. λ. |
113/114 | Während nun nach diesem Vorwort die Erfüllung des Gesetzes und der Gegensatz des alten und neuen Gesetzes sogleich zur Ausführung kommen müßten, folgt erst der Spruch: (Matth. 5, 19) ״wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöset und lehrt die Leute also, wird der Kleinste heißen im Himmelreich, wer es aber thut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich” Wenn aber — in der ursprünglichen Form und nach der ursprünglichen Tendenz des Abschnitts — den Zota’s des Gesetzes eine größere Dauerhaftigkeit, als selbst Himmel und Erde besitzen, zugeschrieben war, so war eben der Schein ihrer Kleinheit und Unbedeutendheit aufgehoben, war ihr unendlicher Werth gesichert, war der Gedanke an jeden Größenunterschied aufgehoben und konnte unmöglich den Augenblick darauf vom ״kleinsten Gebote” gesprochen werden. Das kühne Wort, daß selbst das Iota unendlich werthvoll sey, soll vielmehr zu dem Gedanken führen, daß es im Gesetz Nichts gebe, was nur für ein Jora und einen Nebenstrich gehalten werden könne — es soll daraus Hinweisen, daß in jedem Glied des Organismus die Seele des Ganzen wirke und gegenwärtig sey — eine Kühnheit, die durch die prosaische Vor- aussetzung, daß es wirklich ״kleinste Gebote” gebe, gelähmt, ja vollständig widerrufen wird. | Whereas according to this preface the fulfilment of the law and the contrast between the old and the new law would have to be carried out immediately, the following saying follows: (Matth. 5, 19) ״Whoever therefore shall destroy one of these least commandments, and shall teach men so, shall be called least in the kingdom of heaven. If, however, in the original form and according to the original tendency of the passage, the zota’s of the law are ascribed a greater permanence than even heaven and earth possess, than even heaven and earth possess, then the appearance of their smallness and insignificance was removed, their infinite value was assured, the thought of any difference in size was removed, and it was impossible to speak of the ״smallest commandment’ the moment after. The bold word that even the iota is infinitely valuable is rather intended to lead to the thought that there is nothing in the law that can only be taken for an iora and a by-line – it is intended to indicate from this that in every member of the organism the soul of the whole works and is present – a boldness that is paralysed, indeed completely revoked, by the prosaic presupposition that there really are ״smallest commandments. even completely revoked. |
114 | Der Spruch rührt nicht von dem Meister her, der das großartige Gebäude dieses Abschnitts aufführte — Matthäus fand ihn anderwärts — wahrscheinlich in derselben Umgebung, in welcher er die Anweisung fand, man solle (C. 23, 2. 3.) halten und thun, was die Schriftgelehrten sagen, die auf Mose’s Stuhl sitzen.
Einem fremden Zusammenhang ist auch der folgende Spruch entlehnt V. 20: ״denn ich sage euch, es sey denn eure Gerechtigkeit besser denn die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen”. Wenn so streng wie in den einzelnen Sätzen dieses Abschnitts das alte und neue Gesetz, die Gesetzgebung Moses und die des Messias einander gegenüber gestellt werden, weun dieser Gegensatz das ausschließliche Interesse bildet, dann ist der Hinblick auf die Gerechtigkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten, die in dem Zu- sammenhang dieses Spruches nur die heuchlerische seyn kann, nicht an seinem Platze — mit andern Worten: ein Schriftsteller, der einen so tief gedachten Plan ausbilden konnte, wie der ist, der dem Abschnitt vom neuen Gesetz zu Grunde liegt, der die Gei- steskraft besaß, die zur Ausführung dieses Plans gehörte, war schlechterdings dazu unfähig, diese unpassende und störende Hin- Weisung auf die Gerechtigkeit der Heuchler in sein Werk einzu- fügen. Der Spruch gehörte ursprünglich einem ähnlichen an, wie der ist, der später, C. 6, 1 beginnt; Matthäus hatte ihn unverändert in seine neue Umgebung versetzt — Justinus hat ihn uns wörtlich eben so lautend aus seinen apostolischen Denk- Würdigkeiten aufbewahrt.*) |
The saying does not come from the master who built the great edifice of this passage – Matthew found it elsewhere – probably in the same environment in which he found the instruction to (C. 23, 2. 3.) keep and do what the scribes say who sit on Moses’ chair.
The following saying, v. 20, is also borrowed from a foreign context: ״Because I say to you, unless your righteousness is better than that of the scribes and Pharisees, you will not enter the kingdom of heaven’. If the old and new law, the legislation of Moses and that of the Messiah, are so strictly contrasted as in the individual sentences of this passage, because this contrast forms the exclusive interest, then the view of the righteousness of the Pharisees and scribes, which in the context of this saying can only be the hypocritical one, is not in its place – in other words: a writer who was able to form a plan as profoundly conceived as the one underlying the passage on the new law, who possessed the strength of mind that was necessary for the execution of this plan, was utterly incapable of including in his work this inappropriate and disturbing reference to the righteousness of the hypocrites. The saying originally belonged to a similar one as that which begins later, C. 6, 1; Matthew had transposed it unchanged into its new environment – Justin has preserved it for us word for word in the same way from his Apostolic Memoirs.*) |
114* | *) Dial. c. Tryph. P. 333 | *) Dial Trypho ch 105 |
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115 | Wir kommen nun zu den Antithesen, in denen das alte und neue Gesetz einander gegenübertreten, und werden sie auch von mehreren Zusätzen und Abschwächungen befreien müssen.
Zunächst setzt Jesus dem Alttestamentlichen: ״du sollst nicht todten, wer aber tödtet, ist des Gerichts schuldig”, sein Wort entgegen, welches schon den, der seinem Bruder zürnt, dem Ge- richt übergibt, den, der zu seinem Bruder ״Dummkopf” sagt, dem Synedrium, wer ihn Narr schilt, dem Höllenfeuer überweist — ein Wort, das ernstlich gemeint, aber mit jenem absichtlichen Ernst hingeftellt ist, der durch seine Uebertreibung sich selbst wie- der auflöst und zu der Idee des sittlichen Verhältnisses führt, deren Unendlichkeit durch seine Uebertreibung der Vorstellung nahe gebracht werden sollte. Matthäus hat diese Antithese schon dadurch geschwächt, daß er zu den Worten: ״wer seinem Bruder zürnt”, den abplattenden, ja sinnlosen Zusatz: ״ohne Grund” — als ob der durch den Bruder selbst veranlaßte Zorn gestattet werden sollte! — hinzugefügt hat. Den Eindruck, den sie machen müßte, hat er aber vollständig paralysirt, indem er ihr zwei Sprüche nach- schickte, die mit der von ihr eingeschlagenen Richtung nichts gemein haben und selbst wieder jeder eine besondere Richtung einschlagen. |
We now come to the antitheses in which the Old and New Law confront each other, and will also have to rid them of several additions and attenuations.
First of all, Jesus adds to the Old Testament: ״ Thou shalt not But whosoever killeth shall be liable to judgment”, which already consigns him who is angry with his brother to judgment, him who calls his brother a fool to the synod, and him who calls him a fool to hell fire – a word that is meant seriously, but with a certain weakening, a word that is meant seriously, but with that deliberate seriousness which, through its exaggeration, dissolves itself and leads to the idea of the moral relationship whose infinity was to be brought close to the imagination through its exaggeration. Matthew has already weakened this antithesis by adding to the words: ״whoever is angry with his brother’ the flattening, addition: ״Without cause’ – as if the anger as if the anger caused by the brother himself should be allowed! – added. However, he completely paralysed the impression she should have made by sending two sayings after her, which have nothing in common with the direction she has taken and which themselves each take a particular direction. |
115/116 | Zuerst der Spruch (E. 5, 23.24): ״wenn du dein Opfer zum Altar bringst und dich daselbst erinnerst, daß dein Bruder Etwas gegen dich hat, so laß dein Opfer vor dem Altar und gehe und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder und dann komm und bringe dein Opfer” — Nichts als der Ausdruck des Gedankens, daß die Versöhnlichkeit höher als aller äußerer Gottesdienst steht und daß der Ausgleichung einer Störung im Verhältniß zu dem Nächsten selbst die Pflichten des Got- tesdienstes nachstehen müssen — also ein Spruch, der seine eigene Zuspitzung, der mit jener Antithese des alten und neuen Gesetzes ursprünglich Nichts zu thun hat und den nur ein unbe- stimmter Anklang und das Stichwort des Bruders an diese Stelle des Matthäusevangeliums gebracht hat. | First the saying (E. 5, 23.24): ״When thou bringest thy sacrifice to the altar, and there remember that thy brother hath aught against thee, leave thy sacrifice before the altar, and go and be reconciled first to thy brother, and then come and offer thy sacrifice” – Nothing but the expression of the thought that reconciliation stands higher than all outward worship and that the duties of worship must take second place to the compensation of a disturbance in the relationship to one’s neighbour – that is, a saying which has its own intensification, which originally has nothing to do with the antithesis of the old and new law and which was only brought to this passage of Matthew’s Gospel by an unattuned allusion and the brother’s cue. |
116 | Der folgende Spruch (V. 25, 26), der die Ausgleichung mit dem Widersacher empfiehlt, so lange man mit ihm noch auf dem Wege zum Richter sey, ist dagegen der Ausdruck jener revolutionären Antipathie, die die Gemeinde in der Zeit ihres ersten Selbstgefühls gegen den positiven Gerichtsstand hatte, und nur durch den äußerlichen Anklang mit dem vorhergehenden Spruch in unmittelbarem Zusammenhang gerathen, weil in bei- den dazu gemahnt wird, man solle seine Schuldigkeit im letzten Augenblick, wo es noch Zeit ist und während man so eben etwas Anderes zu thun im Begriff sey, erfüllen — dieses Andere wird aber in beiden Sprüchen in durchaus ver- schiedenem Sinne hintangestellt — im Spruch vom Opfer wird es der hoh ern Verpflichtung untergeordnet — im Spruch vom Richter soll es schlechthin ausgeschlossen werden. Eben so hat auch die Annahme des äußersten Termins in bei- den Sprüchen eine schlechthin verschiedene Bedeutung: im Spruch vom Opfer soll sie den unendlich höheren Werth der Versohnlichkeit zur Anschauung bringen, da man um ihretwillen selbst das Opfer liegen lassen solle, wenn man schon am Altar stehe — im Spruch vom Richter soll sie nur darauf Hinweisen, daß man noch den letzten Augenblick, ehe man vor dem Nich- ter stehe, zur Befriedigung des Widersachers benutzen solle.
Jetzt steht die erste Antithese rein für sich da und die bei- den andern Sprüche fallen den Quellen wieder anheim, denen sie Matthäus entlehnt hat. |
The following saying (v. 25, 26), which recommends reconciliation with the adversary as long as one is still on the way to the judge, is, on the other hand, the expression of that revolutionary antipathy which the congregation, in the time of its first sense of self, had against the positive state of judgment, and is only directly connected with the preceding saying by its outward appeal, because in both of them one is admonished to fulfil one’s obligation at the last moment, when there is still time and while one is about to do something else – but in both sayings this something else is subordinated in a completely different sense – in the saying of the sacrifice it is subordinated to the obligation – in the saying of the judge it is to be excluded altogether. In the same way, the assumption of the ultimate deadline has a completely different meaning in the two sayings: in the saying of the sacrifice it is supposed to illustrate the infinitely higher value of atonement, since for its sake one should even leave the sacrifice when already standing at the altar – in the saying of the judge it is only supposed to indicate that one should still use the last moment before standing before the adversary for the satisfaction of the adversary.
Now the first antithesis stands purely for itself and the other sayings are returned to the sources from which Matthew borrowed them. |
116/117 | In der Gestalt, in der uns Matthäus den Spruch vom Opfer erhalten hat, steht der richtige, ursprüngliche Bau vor uns. Marcus hat den Bau beschädigt und namentlich die un- entbehrliche Wendung, daß mau selbst das Opfer auf dem Altar im Stich lassen und sogleich zu dem Bruder sich begeben müsse, wenn man im Augenblick, da man seine Pflicht gegen Gott so eben erfüllen wollte, sich der höhcrn Pflicht erinnere, die man gegen den Bruder zu üben habe, — diese schlechthin unentbehrliche Wendung hat er fallen lassen, wenn er seinen Herrn nur sagen lässt (C. 11, 25): ״und wenn ihr stehet und betet, so vergebet, falls ihr Etwas wider Jemand habt” — Marcus hat ferner dem Spruch eine Zuspitzung gegeben, die ihm ursprünglich fremd war, wenn er die Versöhnlichkeit aus dem Grunde empfiehlt, weil sie die himmlische Vergebung für die eigenen Fehler erwerbe (V. 25. 26) — er hat endlich den Spruch in jene selbst schon höchst schadhafte Umgebung gestellt, wo die Verfluchung des Feigenbaumes, die ursprünglich die unausbleibliche Verdorrung des jüdischen Volkslebens sym- bolisiren sollte, in Widerspruch mit diesem Zweck von dem Herrn dazu benutzt wird, an der Kraft seines Worts die Berge ver- setzende Gewalt des Glaubensworts nachzuweisen. | In the form in which Matthew has given us the saying about the sacrifice, the correct, original construction is before us. Mark has damaged the structure and especially the indispensable phrase that one must abandon the sacrifice on the altar and immediately go to the brother, if at the moment when one wanted to fulfil one’s duty towards God, one remembers the higher duty that one has to practise towards the brother, – He has dropped this absolutely indispensable phrase when he only lets his Lord say it (C.11, 25): ״and when you stand and pray, forgive if you have anything against anyone’ – Mark has further given the saying a sharpening which was originally foreign to him, when he recommends reconciliation for the reason that it acquires heavenly forgiveness for one’s own faults (v. 25. 26) – finally, he has placed the saying in that already highly damaging environment where the cursing of the fig tree, which was originally meant to symbolize the inevitable withering away of the Jewish people’s life, is used by the Lord, in contradiction to this purpose, to prove the mountain-setting power of the word of faith by the power of his word. |
117 | Also wieder ein Beweis, daß auch Marcus Quellen hatte und sie zuweilen so ungeschickt benutzte wie Matthäus und Lukas. | So again proof that Mark also had sources and sometimes used them as clumsily as Matthew and Luke. |
117/118 | Den richtigen Bau des Spruchs von der Vermeidung des Gerichts hat uns Irenäus aufbewahrt, wenn er berichtet, dass die Karpokratianer dem Herrn die Parabel zuschreiben: ״wenn du mit deinem Widersacher unterwegs bist, gib dir Mühe von ihm loszukommen, damit er dich nicht dem Richter übergibt und der Richter dem Diener und der Diener dich in das Gefängniß werfe. Wahrlich, ich sage dir: du wirst von bannen nicht heraus- kommen, bis daß du den letzten Heller bezahlest”.*) In seiner unkritischen Weise setzt Irenäus voraus, daß die Evangelien- schrift, in welcher die Karpokratianer ihren Spruch lasen, nur ihnen angehöre: — die Schrift, die den Spruch in dieser Form enthielt, war vielmehr eine der Quellenschriften, die Matthäus und Lukas benutzten. Auch Lukas hat nämlich jenen Spruch mit der erklärenden und deutenden Einleitung ״warum entscheidet ihr aber nicht unter einander, was Recht ist” — aber in der ungehörigen Verbindung mit dem Spruch über die Zeichen der Zeit, C. 12, 56 — 59. — das sicherste Zeichen, daß er ihn mechanisch einer seiner Quellen entlehnt hat. | Irenaeus has preserved for us the correct construction of the saying about the avoidance of judgement when he reports that the Carpocratians ascribe to the Lord the parable: ״When you are on the road with your adversary, take pains to get away from him, lest he hand you over to the judge, and the judge to the servant, and the servant throw you into prison. Verily I say unto thee, thou shalt not come forth from banishment, till thou pay the last farthing”.*) In his uncritical way, Irenaeus assumes that the Gospel Scripture in which the Carpocratians read their saying belongs only to them: – the Scripture which contained the saying in this form was rather one of the source Scriptures used by Matthew and Luke. For Luke also has that saying with the explanatory and interpretative introduction ״but why do you not decide among yourselves what is right’ – but in the unseemly connection with the saying about the signs of the times, C. 12, 56 – 59. – the surest sign that he borrowed it mechanically from one of his sources. |
117* | *) Advers. Haeres. I., 25, 4 | *) Advers. Haeres. 1., 25, 4 |
118 | Die Anweisung: ״gib dir Mühe, daß du von ihm loskommst”, hat Matthäus sogleich in den Anfang seines Spruchs gestellt und durch den vorangesetzten Spruch von der Versöhn- lichkeit sich dazu verleiten lassen, die Ausgleichung des Streits, die in der ursprünglichen Form des Spruchs die einfache Lei- stung der Schuldigkeit war, in wohlwollendes Entgegen- kommen — ״sei wohlgesinnt*) gegen deinen Widersacher” — zu verwandeln. Lukas dagegen hat die gefällige Leichtigkeit des Eingangs: — ״wenn du mit deinem Widersacher unterwegs bist, gib dir Mühe” — durch seine schwerfällige Ueberladung: ״wenn du mit deinem Widersacher zum Fürsten gehst, gib dir unterwegs Mühe”, zerstört. | Matthew placed the instruction: ״try hard to get away from him’ immediately at the beginning of his saying and let himself be tempted by the preceding saying of reconciliation to transform the settlement of the dispute, which in the original form of the saying was the simple laying of the blame, into benevolent accommodation – ״be well-disposed*) against your adversary’. Luke, on the other hand, has destroyed the pleasing lightness of the opening: – ״if thou goest with thine adversary, take pains’ – by his ponderous overload: ״if thou goest with thine adversary to the prince, take pains on the way’. |
118* | *) εὐνοῶν | *) εὐνοῶν |
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118/119 | Die Antithese der verschiedenen Auffassung des Ehebruchs (C. 5, 27. 28): ״ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: du sollst nicht ehebrechen; ich aber sage euch: wer ein Weib an- blickt, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebro-chen in seinem Herzen”, d. h. schon die augenblicklich beim Anblick eines Weibes entstandene Lust ist Ehebruch, den das alte Gesetz nur in der wirklichen Vermischung sieht — diese Antithese ist im Ganzen wohl erhalten, nur daß die Schlußwendung, die der Spruch in einem Citat des Justinus hat: ״wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, hat vor Gott in seinem Herzen schon die Ehe gebrochen” *), gefälliger ist und auf das Tribunal hinweist, vor welchem die Begierde des Herzens schon als die That gilt. | The antithesis of the different conceptions of adultery (C. 5, 27. 28): ״You have heard that it was said to the ancients, Thou shalt not commit adultery; but I say unto you, Whosoever looketh on a woman to lust after her hath committed adultery with her already in his heart’, i.e., already the lust that arises at the sight of a woman is adultery. This antithesis is well preserved on the whole, except that the final turn which the saying has in a quotation from Justin: ״He that looketh on a woman to lust after her hath already committed adultery in his heart before God’ *) is more pleasing and points to the tribunal before which the lust of the heart is already regarded as the deed. |
119* | *) ἤδη ἐμοίχευσε τῇ καρδίᾳ παρὰ τῷ θεῷ. Just. Apol. II., 61. | *) ἤδη ἐμοίχευσε τῇ καρδίᾳ παρὰ τῷ θεῷ. Justin 1 Apology 15.1 |
119 | Aber schwerlich gehört hieher der folgende Spruch (V. 29.30) von dem Auge, das man ausreißen soll, wenn es Einen ärgert, und von der rechten Hand, die man abhauen soll, wenn sie Einem Aergerniß bereitet.
Jene Antithese ist fertig, abgeschlossen — ist zum Extrem fortgeführt; dieser Spruch vom Auge und von der Rechten thut auch nicht im Entferntesten so, als ob ein Gegensatz jener Art vorhergehe — er ist vielmehr eine selbstständige Große, hat sein eignes Interesse und, was die Hauptsache ist, seine eigne Zuspitzung — er schließt sich nämlich in dem Gedanken ab, daß es ״besser ist, einäugig ins Himmelreich einzugehen, als sich mit beiden Augen ins ewige Feuer Werfen zu lassen” — einem Gedanken, der seinen eignen Werth hat, die Gleichgültigkeit des christlichen Gemüthes gegen den ganzen Bereich der Aeußer- lichkeit ausdrückt und an den Ehebruch allein oder vorzugsweise nicht denkt. Nur der Umstand, daß in jener Antithese vom Anblick die Rede war, hat den Spruch, der auch vom Auge handelt, hieher gebracht, aber seine zweite Hälfte, die von der rechten Hand spricht, beweist seine Selbstständigkeit und setzt ihn wieder in seine eigene Größe ein. |
But the following saying (v. 29.30) of the eye, which one should pluck out if it annoys one, and of the right hand, which one should cut off if it causes one trouble, hardly belongs here.
This antithesis is finished, completed – is carried on to the extreme; this saying of the eye and of the right hand does not even remotely act as if a contradiction of that kind preceded it – it is rather an independent great one, has its own interest and, what is the main thing, its own culmination – namely, it concludes in the thought that it is ״better to enter the kingdom of heaven with one eye than to go into eternal fire with both eyes. than to be thrown into the eternal fire with both eyes” – a thought that has its own value, expresses the indifference of the Christian mind to the whole realm of externality, and does not think of adultery alone or preferably. Only the circumstance that in that antithesis the sight was spoken of brought the saying, which also deals with the eye, here, but its second half, which speaks of the right hand, proves its independence and reinstates it in its own greatness. |
120 | Den Schluß beider Sprüche vom rechten Auge und von der rechten Hand hat übrigens Matthäus abgeplattet, wenn er beide mit der allgemeinen Formel enden läßt: ״es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde”; wenn er später in der Schrift des Marcus zu jener Stelle kommt, wo von den Aergernissen die Rede ist (Marc. 9, 43—47. Matth. 48, 8. 9), entlehnt er ihm den richtig gebildeten Schluß: ״es ist dir besser, daß du einäugig in das Himmelreich eingehest, denn daß du zwei Augen habest und in das Höllenfeuer geworfen werdest.”
Justinus hat wiederum die leichtere und gefälligere Wendüng: ״denn mit beiden (Augen) dich in das ewige Feuer werfen zu lassen” *) — er citirt den Spruch vom reckten Auge in demselben Augenblick, indem er den Spruch vom Ehebruch und den folgenden von der Ehescheidung anführt — ein Zeichen, wie nahe die Combination lag, an deren Richtigkeit und Natürlichkeit Matthäus nicht zweifelte, — möglich ist es auch, dnß Justin in seiner Quellenschrift die Combination vorfand, daß sie Matthäus also nicht erst zu bewerkstelligen brauchte. |
Incidentally, Matthew has flattened the end of both sayings about the right eye and the right hand when he lets both end with the general formula: ״It is better for you, When he later comes to the passage in Mark’s writing that speaks of the aversions (Marc. 9, 43-47. Matth. 48, 8. 9), he borrows from him the correctly formed conclusion: ״It is better for you that you enter the kingdom of heaven with one eye, than that you have two eyes and are thrown into the fire of hell.'”
Justin again has the easier and more pleasing turn of phrase: ״because with both (eyes) thou shalt be cast into everlasting fire’ *) – he cites the saying of the dilated eye at the same moment as he cites the saying of adultery and the following one of divorce – a sign of how close the combination was, the correctness and naturalness of which Matthew did not doubt, – it is also possible that Justin found the combination in his source writing, so that Matthew did not first have to bring it about. |
120* | *) Ebend. a. a. O. συμφέρει γάρ σοι μονόφθαλμον εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τῶν οὐρανῶν, ἢ μετὰ τῶν δύο πεμφθῆναι εἰς τὸ αἰώνιον πῦρ. | *) ibid op. cit. (=1 Apol. 15.2) συμφέρει γάρ σοι μονόφθαλμον εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τῶν οὐρανῶν, ἢ μετὰ τῶν δύο πεμφθῆναι εἰς τὸ αἰώνιον πῦρ. |
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120/121 | Die Antithese, die der Willkühr des Mannes, welche das mosaische Gesetz in allen Seiten des ehelichen Verhältnisses autorisirte, die Heiligkeit und Unauflöslichkeit der Ehe entgegensetzt (C. 5, 31. 32), hat Matthäus zwar nicht durch die Verbindung mit fremdartigen Sprüchen geschwächt, aber wohl durch die Einfügung einer Clausel, die durchaus fehlen mußte und ursprünglich, Wie der Spruch des Lukas (C. 16, 18) und das Citat Justins aus seinen apostolischen Denkwürdigkeiten *) beweisen, gefehlt hat. | The antithesis, which opposes the arbitrariness of the man, which the Mosaic law authorised in all aspects of the marital relationship, with the sanctity and indissolubility of marriage (C. 5, 31. 32), Matthew has not weakened by the connection with strange sayings, but certainly by the insertion of a clause, which had to be missing and originally was missing, as Luke’s saying (C. 16, 18) and Justin’s citation from his apostolic memoirs *) prove. |
121* | *) Ebend. a. a. O. | *) ibid op. cit. |
121 | In Einem Fall will sein Jesus dem Mann die Eheschei- düng gestatten: — wenn die Frau durch Hurerei ihm untreu geworden ist — die Kühnheit aber, die allen diesen Antithesen gemeinsam ist, fordert, daß diese Clausel wegfällt — der äußerste Gegensatz, in welchen alle diese Antithesen das christliche Ge– setz zum mosaischen stellen wollen, ist auch in dieser erst wieder– hergestellt, wenn der Willkühr, die das alte Gesetz dem Mann gestattete, die unbedingte Gebundenheit, der Lockerheit, die der eheliche Verband auf dem Boden des alten Gesetzes hatte, die unantastbare Heiligkeit gegenübersteht.
An der Kühnheit dieses Gegensatzes nahm Matthäns An- stoß — daher seine Clausel, die er auch später wieder der Dar- stellung des Marcus aufzwängt, wenn er demselben das Ge- sprach über die Ehescheidung in seiner Weise nachschreibt (Marc. 10, 11. 12. Matth. 19, 9). |
In one case his Jesus wants to allow the man to marry: – if the woman has been unfaithful to him through fornication – but the boldness that is common to all these antitheses demands that this clause be dropped – the extreme contrast in which all these antitheses want to place the Christian law to the Mosaic law is also only restored in this one when the arbitrariness that the old law allowed the man is contrasted with the unconditional bond, the looseness that the marital union had on the basis of the old law with the inviolable sanctity.
Matthew took offence at the boldness of this contrast – hence his clause, which he also later imposes on the account of Mark when he copies his own way of speaking about divorce (Mark. 10, 11. 12. Matth. 19, 9). |
121/122 | Er hat die Tendenz des Spruchs überhaupt nicht verstanden. Die Bauart des ganzen Gegensatzes ist nämlich durch die Richtung des alten Gesetzes bestimmt: — wie dieses nur den Mann als berechtigt anerkennt, seiner Willkühr das eheliche Verhältniß preisgibt und ihm bei der Auflösung desselben nur die Ausstellung des Scheidebriefs vorschreibt, so hat auch das neue Gesetz nur auf den Mann seine Aufmerksamkeit gerichtet und will es ihn durch die Heiligkeit des Verhältnisses voll- ständig fesseln, ״wer sich scheidet von seinem Weibe und freiet eine andere, der bricht die Ehe und wer die von einem Andern Entlassene freiet, bricht die Ehe” — so lautet der Spruch des Lukas — so ist es richtig — so ist der Mann in beiden möglichen Fällen, d. h. der Mann in den beiden Rücksichten, in denen er hier in Betracht kommen konnte und — kommen mußte, als Ehebrecher hingestellt — so las den Spruch auch Justinus in seinen Quellen, wenn er den Schluß desselben citirt*): ״wer eine von einem andern Mann entlassene freiet, bricht die Ehe.” Marcus hat sich darin versehen, daß er in der zweiten Hälfte des Spruchs die Frau zum Subject und Ausgangspunkt gemacht und die unmögliche Voraussetzung — d, h. vom alten Gesetz nicht veranlaßte Voraussetzung, daß die Frau ״ihren Mann entläßt”, dazu benutzt hat, um sie für den Fall, wenn sie ״einen Andern heirathet”, auch als Ehebrecherin hinzustellen. Matthäus hat diese Beziehung auf die Frau schon in der ersten Hälfte des Spruchs hervorgehobcn, wenn er schreibt: ״wer seine Frau entläßt, macht, daß sie die Ehe bricht” — vom Mann aber, vom Mann handelt es sich — vom Mann kann es sich allein handeln, den Matthäus in der zweiten Hälfte des Spruchs noch als Ausgangspunkt und Hauptperson stehen läßt, wenn er wie Zustin und Lukas schreibt: ״wer eine Entlassene freiet, bricht die Ehe.” | He has not understood the tendency of the saying at all. The structure of the whole opposition is determined by the direction of the old law: – Just as the latter only recognises the man as entitled, leaves the marital relationship to his discretion and only prescribes the issuing of the divorce decree in the event of the dissolution of the same, the new law has also only directed its attention to the man and wants to completely bind him by the sanctity of the relationship, Whoever divorces his wife and marries another, commits adultery, and whoever marries another’s wife commits adultery” – this is Luke’s saying – this is correct – so the man is in both possible cases, i.e. the man in both cases of divorce. that is, the man in the two respects in which he could and must be considered here, is made out to be an adulterer – so Justin also read the saying in his sources when he quotes the conclusion of it*): ״whoever frees a woman dismissed by another man breaks the marriage. In the second half of the sentence, Mark has made the woman the subject and starting point, and has used the impossible condition – i.e. the condition not caused by the old law, that the woman ״releases her husband’ – to make her out to be an adulteress in the event that she ״marries another’. Matthew has already emphasised this relationship to the wife in the first half of the saying when he writes: ״He that putteth away his wife maketh her to commit adultery’ – but it is of the husband, of the husband that it is concerned – it can only be of the husband, whom Matthew still leaves as the starting point and main character in the second half of the saying when he writes, like Justin and Luke: ״He that putteth away a put away woman committeth adultery’. |
122* | *) Ebend. a. a. O. Ὃς γαμεῖ ἀπολελυμένην ἀφ’ ἑτέρου ἀνδρὸς μοιχᾶται. | *) ibid op. cit. Ὃς γαμεῖ ἀπολελυμένην ἀφ’ ἑτέρου ἀνδρὸς μοιχᾶται. |
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122 | In die Antithese, die vom Eid handelt, hat Matthäus wieder eine störende Ueberfülle gebracht. | In the antithesis, which deals with the oath, Matthew has again introduced a disturbing superabundance. |
122/123 | Den Alten war nur der Meineid verboten, dagegen die Heilighaltung der Eide ausdrücklich geboten. Wenn nun aber Jesus (E. 5, 33 — 37) den Schwur ״überhaupt” verbietet, zum Schluß bemerkt ״ ׳ eure Rede sey: ja, ja! nein, nein! was darüber ist, ist vom Uebel”, und zwischen diesem Gebot und jenem Verbot eine längere Ausführung gibt, in der er nachweist, wes- halb man nicht beim Himmel, nicht bei der Erde, nicht bei Jerusalem, nicht beim eignen Haupte schwören dürfe — was folgt daraus? daß diese Ausführung nicht hieher gehört. Die Antithese will den Schwur überhaupt verbieten und zwar im Gegensatz zum alten Gesetz — diese eingeschobene Ausführung kämpft aber nicht gegen den Eid überhaupt, sondern gegen die sophistische Annahme des gewöhnlichen Lebens, daß man unter den Eiden in der Art unterscheiden dürfe, als wären einige schwächer als die bei Gott geleisteten und als könnten sie da- her mit geringerer Gefahr vernachlässigt werden. Dagegen will das Einschiebsel nachweisen, daß auch diese scheinbar schwä- cheren Eide denselben Werth haben, wie die bei Gott gelei- steten, da Alles, bei dem sie geleistet sind, so wenig in der Gewalt des Menschen ist wie Gott selbst, vielmehr mit Gott zusammenhängt oder von ihm herrührt: der Himmel ist Gottes Thron, die Erbe seiner Füße Schemel, Jerusalem seine Stadt und über sein eignes Haupt hat der Mensch so wenig Gewalt, daß er nicht einmal ein einziges Haar schwarz oder weiß machen kann. | The ancients were only forbidden to commit perjury, but were expressly commanded to keep their oaths sacred. But if Jesus (E. 5, 33 – 37) forbids the oath ״at all’, he ends by saying: -Yes, yes! No, no! and between this commandment and this prohibition he gives a longer exposition in which he proves why one may not swear by heaven, not by earth, not by Jerusalem, not by one’s own head – what follows from this? that this exposition does not belong here. The antithesis wants to forbid the oath altogether, and that in opposition to the old law – but this interpolated explanation does not fight against the oath in general, but against the sophistical assumption of ordinary life, that one may distinguish among oaths in such a way, as if some were weaker than those made by God, and as if they could therefore be neglected with less danger. On the other hand, the interpolation wants to prove that even these apparently weaker oaths have the same value as those made with God, since everything by which they are made is as little in the power of man as God himself, but rather is connected with God or comes from him: heaven is God’s throne, the heirs of his feet his footstool, Jerusalem his city, and man has so little power over his own head that he cannot even make a single hair black or white. |
123/124 | D. h. diese Ausführung gehört nicht hieher, ihre wahre Stelle hat sie nur dort, wo die sophistische Unterscheidung zwi- schen der Kraft und Verbindlichkeit der verschiedenen Eide bekämpft wird (Matth. 23, 16—22) — das Verbot: ״ihr sollt überhaupt nicht schwören”, muß mit dem Gebot: ״eure Rede sey ja, ja! u. s. w.” wieder in unmittelbaren Zusammen- Hang gebracht werden, — in dieser Form las Justinus den Spruch in seinen Quellen *) — sie war die Urform des Spruchs. | That is to say, this explanation does not belong here, Its true place is only where the sophistical distinction between the power and obligation of the various oaths is combated. (Matth. 23, 16-22) – the prohibition: ״You shall not swear at all’ must be brought back into direct connection with the commandment: ״Your speech be yes, yes! etc.’ – in this form Justin read the saying in his sources *) – it was the original form of the saying. |
124* | *) Apol. II, 63. Μὴ ὀμόσητε ὅλως· ἔστω δὲ ὑμῶν τὸ ναὶ ναί — so ist es richtig! — καὶ τὸ οὒ οὔ· τὸ δὲ περισσὸν τούτων ἐκ τοῦ πονηροῦ. Euer Nein sey Nein, euer Ja Ja” — so ist es richtig — diese Urform des Spruchs hat auch der Verfasser des Briefs Jakobi (C- 5, 12) beibchaltcn, während er in das Verbot des Eides gleichfalls die ungehörige Fülle gebracht hat, daß man auch nicht beim Himmel, noch bei der Erde, noch sonst bei Etwas schwören solle. | *) 1 Apol. 16.5 Μὴ ὀμόσητε ὅλως· ἔστω δὲ ὑμῶν τὸ ναὶ ναί — so that is right! — καὶ τὸ οὒ οὔ· τὸ δὲ περισσὸν τούτων ἐκ τοῦ πονηροῦ. Your no is no, your yes is yes” – that is correct – this original form of the saying was also retained by the author of the Epistle of James (C- 5, 12), while he also introduced into the prohibition of the oath the unseemly fullness that one should not swear by heaven, nor by earth, nor by anything else. |
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124 | Zur Antithese des neuen Gesetzes und des alten Grundsatzes der Wiedervergeltung (C. 5, 38—41) hat Matthäus nur Einen fremdartigen Spruch hinzugefügt: — (V. 42) ״gib dem, der dich bittet, und von dem, der dir abborgen will, wende dich nicht ab.” | To the antithesis of the new law and the old principle of retaliation (C. 5, 38-41) Matthew added only One strange saying: – (v. 42) ״give to him that asketh thee, and from him that would borrow of thee turn not away.” |
124/125 | In diesem Gemeinplatz, der die Mildthätigkeit gegen den Bedürftigen überhaupt empfiehlt, kann von jenem Gegentheil der Wiedervergeltung, welches der neue Gesetzgeber der strengen Härte des alten Gesetzes entgegenstellt, nicht die Rede seyn. Wenn vorher gesagt war, so dir Jemand einen Streich gibt auf den rechten Backen, dem biete den Andern auch dar, so ist der Gegensatz gegen den alttestamentlichen Grundsatz der Wiederver- geltung wirklich vorhanden. Ter Grundsatz: Auge um Auge, Zahn um Zahn ist wiederum wirklich und gründlich umgestoßen, Wenn es heißt: ״so Jemand deinen Rock dir nehmen will, dem laß auch den Mantel” — beidemal ist die Passivität, die der thätlichen Gewalt gegenüber bewahrt werden soll, bis zu dem Grade gefordert, daß man selbst den Wettern Uebergriffen der Gewalt sich ruhig preis geben, ja sie sogar durch Entgegen kommen, — ״dem biete auch den andern dar” — hervorrufen soll. Dasselbe kühne Paradoxon, daß man die Gewalt durch freiwilliges Entgegenkommen und durch die Uebertreibung, mit der man ihre Forderungen erfüllt, entwaffnen ׳ und um ihre Bedeutung bringen solle, ist auch in dem Spruch enthalten: ״so dich Jemand eine Meile nöthigt, mit dem gehe zwei” — in diesem Spruche ist nämlich immer noch eine gewaltsame Requisition voraussetzt. Alle Voraussetzungen jener kühnen Paradoxie fehlen aber in dem Spruch: ״gib dem, der dich bittet” — durch den bloßen Anklang, daß in ihm wie in den vor- hergehenden Sprüchen von dem Gewähren einer Forderung die Rede ist, hat sich Matthäus verleiten lassen, ihn hieher zu setzen — er ist überhaupt nur der ermattete Nachklang von Wendungen, in denen das Geben und Gewähren anempfohlen wird — ein Nachklang, in welchem das lebensvolle Interesse dieser Wendungen sich verloren hat. Matthäus glaubte sich im besten Zusammenhang zu befinden, weil auch in der folgenden Antithese von der Uebung der Wohlthätigkeit die Rede ist (V. 44) — um die verschiedene Bedeutung, in der das Geben und Ge- währen in dieser wie in der vorhergehenden Antithese empfohlen wird, zu fassen, dazu fehlte ihm jeder Sinn. | In this commonplace, which recommends charity towards the needy in general, there can be no question of the opposite of retribution, which the new legislator opposes to the strict severity of the old law. If it was said before, if someone gives you a blow on the right cheek, offer him the other also, then the opposition to the Old Testament principle of retribution is really present. The principle of an eye for an eye, a tooth for a tooth, is again really and thoroughly overturned when it is said: ״If someone wants to take your skirt, let him have your coat too’ – in both cases the passivity that is to be preserved in the face of physical violence is demanded to the extent that one should calmly give oneself up to the tempestuous assaults of violence, even provoke them by coming towards them, – ״To whom offer the other also’. The same bold paradox, that violence should be disarmed ׳ and deprived of its meaning ״ by voluntarily accommodating it and by the exaggeration with which one fulfils its demands, is not a paradox. and deprive it of its meaning, is also contained in the saying: ״if someone compels you to go one mile, go with him two’ – for in this saying a forcible requisition is still presupposed. But all the prerequisites of this bold paradox are missing in the saying: ״give to him that asketh thee’ – Matthew has allowed himself to be misled into placing it here by the mere allusion that in it, as in the preceding sayings, the granting of a demand is spoken of – it is in fact only the tired echo of phrases in which giving and granting are recommended – an echo in which the vital interest of these phrases has been lost. Matthew thought he was in the best context, because the following antithesis also speaks of the practice of charity (v. 44) – but he lacked the sense to grasp the different meanings in which giving and giving are recommended in this and the preceding antithesis. |
125 | Viellelcht hat ihn Lukas dazu verleitet, diesen matten Nach- klang gerade hieher zu setzen — Lukas, der auch in seiner Berg- predigt zwischen den Spruch vom Backenstreich und Mantel und zwischen die Sprüche, die die Wohlthätigkeit gegen die Feinde empfehlen, den Spruch: ״wer dich bittet, dem gib” eingeschoden hat *). | Perhaps Luke induced him to place this dull epilogue here – Luke, who in his sermon on the Mount also interpolated the saying: ״Give to him who asks you’ between the saying about the cheek and the cloak and between the sayings recommending charity against the enemies *). |
125* | *) Luk. 6, 30. παντὶ δἐ τῶ αἰτοῦντί σε δίδου.
Matth. 5, 42. τῶ αἰτοῦντί σε δίδου. |
*) Luk. 6, 30. παντὶ δἐ τῶ αἰτοῦντί σε δίδου.
Matth. 5, 42. τῶ αἰτοῦντί σε δίδου. |
125/126 | Auch Justinus las in seinen apostolischen Denkwürdigkeiten die Spruche vom Backenstreich, Mantel und der Meile — nur las er den zweiten Spruch in der kurzen Form: ״wer deinen Mantel oder Rock nimmt, den hindere nicht”*) — eine Variante, die auch Lukas in seiner Quellenschrift fand. Die Form, in welcher dem Matthäus seine Quellenschrift denselben darbot, ist reiner, ursprünglicher und entspricht der Structur der beiden andern Sprüche, in welchen die Spitze der Paradoxie gerade die AnWeisung bildet, daß man dem Gewaltthätigen noch mehr darbieten soll, als er schon gefordert oder genommen hat: — die ursprüngliche Wendung des Spruches konnte nur die seyn, daß man dem, der den Rock nimmt, auch den Mantel geben soll. | In his Apostolic Memoirs, Justin also read the sayings about the cheek, the cloak and the mile – only he read the second saying in the short form: ״whoever takes your cloak or skirt does not hinder you’*) – a variant also found by Luke in his source writing. (*) – a variant that Luke also found in his source writing. The form in which Matthew’s source scripture presented it is purer, more original and corresponds to the structure of the other two sayings, in which the point of paradox is precisely the instruction that one should offer the violent one even more than he has already demanded or taken: – the original turn of the saying could only be that one should also give the coat to the one who takes the coat. |
126* | *) Apol. II., 63. τὸν αἴροντά σου τὸν χιτῶνα ἢ τὸ ἱμάτιον μὴ κωλύσῃς
Luk. 6, 29. ἀπὸ τοῦ αἴροντός σου τὸ ἱμάτιον καὶ τὸν χιτῶνα μὴ κωλύσῃς. |
*) 1 Apol. 16.1 τὸν αἴροντά σου τὸν χιτῶνα ἢ τὸ ἱμάτιον μὴ κωλύσῃς
Luke 6:29 ἀπὸ τοῦ αἴροντός σου τὸ ἱμάτιον καὶ τὸν χιτῶνα μὴ κωλύσῃς. |
126 | Dennoch hat auch Matthäus die Form des Spruchs verletzt, als er die Gewaltthat in einen Rechtsstreit verwandelte: — ״so Jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen” — er hat dem Spruch eben dieselbe schielende Wendung gegeben, die er in den Spruch von den Verläumdungen (C.5,11), in den Spruch vom Zürnen des Bruders (V. 22) und von der Ehescheidung (V. 32) gebracht hat. | Nevertheless, Matthew also violated the form of the saying when he turned the act of violence into a legal dispute: -״if someone wants to settle with you and take away your skirt’ – he gave the saying just the same cross-eyed twist that he brought into the saying of the violations (C.5,11), into the saying of the brother’s anger (v. 22) and of the divorce (v. 32). |
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126 | Endlich die letzte Antithese und die Vollendung des Beweises, daß Lukas und Matthäus eine Quellenschrift, deren reiner Bau uns in mehreren Citaten des Justinus entgegentritt, nicht so sorgfältig, wie sie es verdiente, benutzt haben.
Es ist in der That die letzte Antithese, wie die Fülle und Anschwellung des Schlusses beweist. |
Finally, the last antithesis and the completion of the proof that Luke and Matthew did not use a source scripture, whose pure construction confronts us in several citations of Justin, as carefully as it deserved.
It is indeed the last antithesis, as the fullness and swelling of the conclusion proves. |
127 | Das alte Gesetz gebot nur: ״du sollst deinen Nächsten lieben”
— ( ״und deinen Feind hassen” ist zwar eine richtige Folgerung der gesetzlichen Anschauung, aber nicht nur hart und un- gelenk, sondern für den ganzen Zusammenhang ein eben so über- flüssiger wie störend und matt nachschleppender Zusatz — einer jener Zusätze, in deren Bildung Matthäus Meister war.) Also nur die Nächstenliebe gebot das alte Gesetz: ״ich aber sage euch, gebietet der neue Gesetzgeber, liebt eure Feinde*), segnet, die euch fluchen, thut wohl denen, die euch hassen — (kein richtiger Gegensatz) — und betet für die, die euch miß- handeln und verfolgen **). So ziemt es sich für euch, fährt Jesus fort, damit ihr euch als Kinder eures himmlischen Vaters beweist, der seine Sonne über Gute und Böse aufgehen und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte. ״Denn wenn ihr die liebt, die euch lieben, was habt ihr für Lohn?” (V. 46). Aber Lohn? Was soll hier der Lohn — wenn schon ein ganz anderes Motiv zur Feindesliebe angeführt war? Was kann der Lohn reizen, nachdem der unendlich höhere Neiz zur Feindesliebe gegeben, das lockende Motiv ausgestellt war, daß die Gläubigen sich dadurch wirklich als Kinder ihres himmlischen Vaters bewähren würden. Der Schriftsteller, der den Bau dieser Antithesen aufstellte und diese Ausführung über die Feindesliebe ausarbeitete, war unfähig dazu, die ungehörige Erinnerung an den Lohn einzu- fügen.. |
The old law only commanded: ״You shall love your neighbour’.
– (״and hate your enemy’ is indeed a correct conclusion of the legal view, but it is not only harsh and incoherent, but for the whole context it is as over-fluid as it is disturbing and languidly dragging – one of those additions in the formation of which Matthew was a master). So only charity enjoined the old law: ״But I say unto you, commands the new lawgiver, love your enemies*), bless them that curse you, do good to them that hate you – (no proper contrast) – and pray for them which despitefully use you and persecute you **). Thus it behoves you, Jesus continues, that you may prove yourselves children of your heavenly Father, who makes his sun rise on the good and on the evil, and sends rain on the just and on the unjust. ״For if ye love them that love you, what reward have ye?” (V. 46). But reward? What is the purpose of the reward here – when a completely different motive for loving the enemy had already been cited? What can the reward entice, after the infinitely higher incentive to love the enemy had been given, the enticing motive exhibited, that the faithful would thereby really prove themselves as children of their heavenly Father. The writer who set up the construction of these antitheses and elaborated this execution on the love of enemies was incapable of inserting the unseemly reminder of the reward. |
127* | *) Betet für eure Feinde und liebt, die euch hassen, heißt es besser beim Justinus Apol. II., 62.
**) Vom Verfolgen, welches Matthäus auch V. 11 zur Unzeit anbrachte, weiß das Citat des Justinus Nichts. |
*) Pray for your enemies and love those who hate you, it is better said in Justin 1 Apol. 14.
**) The citation of Justin does not know anything about persecution, which Matthew also added at an inopportune time in v. 11. |
128 | Justinus sagt uns, was dieser Mann geschrieben hat: ״wenn ihr die liebt, die euch lieben, was thut ihr Neues”*) — das ist etwas Anderes, — das ist richtig — das ist ein Wink, wie er sich für den neuen Gesetzgeber und für die Diener des neuen Gesetzes ziemte.
״Thun das nicht auch die Zöllner?” schließt der Jesus des Matthäus den Satz, der die Vergeltung der Liebe als etwas Gewöhnliches und Altes bezeichnet. Aber die Zöllner? Und wieder die Zöllner, wenn es sogleich darauf heißt (V. 47): ״so ihr euern Brüdern allein freundlich thut, was thut ihr dann Uebriges? Thun das nicht auch die Zöllner?” Warum die Zöllner gerade? Und immer nur dieZöll- ner? Sollte ein Mann, der diesen reichen Schluß bildete, als er seine Verachtung der bloßen Wiedervergelmna der Liebe ausdrücken wollte, keine andere Menschenclasse haben auffinden können, an der das Verächtliche dieser beschränkten Liebe sich schlagend Nachweisen ließ? Sollte er immer nur denselben Refrain haben finden können? Sollte er, wenn er sein Thema variiren wollte, im zweiten Satz nur das Freundlichthun haben auftreiben können? Nein! Er wußte die Verächtlichkeit der beschränkten Liebe ganz anders zu charakterisiren: — ״wenn ihr die liebt, die euch lieben, schrieb er, was thut ihr Neues? Denn thun das nicht auch die Hurer?” (So las Zustinus in seinen apostolischen Denkwürdigkeiten!)**) Er wußte also auch in seine Refrains Mannichfaltigkeit zu bringen — wußte überhaupt sein Thema zu variiren. |
Justin tells us what this man wrote: ״If you love those who love you, what do you new things’*) – that is something different, – that is right – that is a hint as befitted for the new lawgiver and for the servants of the new law.
״Do not the tax collectors also do this?” concludes the Jesus of Matthew closes the sentence, which describes the retribution of love as something ordinary and old. But the tax collectors? And again the tax collectors, when it is immediately (v. 47): ״If ye do kindness to your brethren only, what do ye otherwise? Do not the tax collectors do the same?” Why the tax collectors? And always only the tax collectors? Should a man who formed this rich conclusion, when he wanted to express his contempt for the mere reverification of love, not have been able to find another class of people in whom the contemptible nature of this limited love could be strikingly demonstrated? Should he always have been able to find only the same refrain? Should he, if he wanted to vary his theme, have been able to find only kindness in the second sentence? No! He knew how to characterise the contemptibility of limited love quite differently: -״If you love those who love you, he wrote love you, he wrote, what new thing do you do? For do not fornicators do the same?” (So read Justinus in his Apostolic Memoirs!)**) So he also knew how to bring variety into his refrains – he knew how to vary his theme in general. |
128* | *) Apol. II., 62. τί καινὸν ποιεῖτε.
**) Ebend. a. a. O. |
*) 1 Apol. 15.9
**) Ibid. op. cit. |
129 | ״Wenn ihr nur denen leiht, von denen ihr Wiedererstattung hofft, sagt er, nachdem er das Gebot aufgestellt, man solle Niemandem, der um ein Darlehn bittet, sich entziehen — was thut ihr Neues? Thun das nicht auch die Zöllner?”*)
Nichtig! Hier find die Zöllner an ihrer Stelle. Matthäus las diesen Refrain in seiner Quellenschrift und brächte ihn zweimal an — beidemale sogar um so ungehöriger, da er den Spruch vom Ausleihen ohne Rücksicht auf Wiedererstattung hier ausgelassen und durch den matten Spruch vom Freundlichthun ersetzt hat. Er hatte schon vorher — freilich zur Unzeit — V. 42 den Spruch vom Ausleihen angebracht, aber auch zugleich zu einem bloßen Gemeinplatz gemacht. Lukas hat (E. 6, 32—34) die wirkliche Variation des Themas und führt sie in drei Sätzen aus: so ihr die liebet, die euch lieben — so ihr denen wohlthut, die euch wohlthun — so ihr denen leiht, von denen ihr Wiedererstattung hofft — aber auch er hat oer Frage, die die Kleinheit dieser Liebe strafen soll, schon den schielenden Hinblick auf den Lohn gegeben: — was habt ihr Danks davon? — und den Refrain hat er gleichfalls einförmig und bedeutungslos gemacht, indem er alle dreimal damit schließt, daß die Sünder dasselbe thun. Zum Schluß (V.35), indem er die Ausführung des Themas höchst unnöthigerweise noch einmal recapitulirt — ״liebet eure Feinde, thut wohl und leihet aus ohne dafür etwas wieder zu hoffen” — verweist er sogar ausdrücklich auf die Größe des Lohns und gab er dem Matthäus den Anlaß dazu, diese Erwähnung des Lohns in die Ausführung des Thema’s selbst zu verweben. |
If you lend only to those from whom you hope to be repaid, he says, after he has laid down the commandment that no one who asks for a loan should be deprived of it, what new thing do you do? Do not the publicans do the same? “*)
Void! Here find the publicans in their place. Matthew read this refrain in his source writing and used it twice – both times even more unseemly, since he omitted the saying about lending without regard to restitution here and replaced it with the dull saying about doing kindly. He had already added the saying about lending before – admittedly at an inopportune time – v. 42, but at the same time he had made it a mere commonplace. Luke has (E. 6, 32-34) the real variation of the theme and carries it out in three sentences: if you love those who love you – if you do good to those who do good to you – if you lend to those from whom you hope to be repaid – but he, too, has already given the question, which is supposed to punish the smallness of this love, the squinting view of the reward: – what have you thanks for it? – and he has likewise made the refrain monotonous and meaningless by concluding all three times that sinners do the same. At the end (v.35), by recapitulating the execution of the theme again most unnecessarily, he -. ״Love your enemies, do well and lend without expecting anything in return’ – he even refers explicitly to the greatness of the reward and gave Matthew the occasion to weave this mention of the reward into the execution of the theme itself. |
129* | *) Justinus a. a. O. | *) Justin loc. cit. |
129/130 | Die Fülle und Anschwellung des Tons in dieser letzten Antithese wurde besonders dadurch herbeigeführt, daß die Diener des neuen Gesetzes auf das Vorbild des himmlischen Vaters verwiesen werden. Zum Schluß war daher die ausdrückliche Aufforderung an ihrer Stelle: ״send gütig und barmherzig, wie euer himmlischer Vater gütig und barmherzig ist.” So las Justinus in seiner Quelle. Lukas hat wenigstens beide Stich- Worte (E. 6, 35. 36)*), wenn auch nicht mehr so harmonisch gruppirt, wie sie es in der Quellenschrift des Justinus waren. Matthäus, der für die Bestimmtheit gar keinen Sinn hatte, hat sogar das abstracte und allgemeine Wort: ״vollkommen” gesetzt: ״send vollkommen, wie auch euer Vater im Himmel vollkommen ist.” | The fullness and swelling of the tone in this last antithesis was especially brought about by referring the servants of the new law to the example of the heavenly Father. In conclusion, therefore, the express injunction was in their place: ״send kindness and mercy, as your heavenly Father is kind and merciful.” So read Justinus in his source. Luke at least has both key words (E. 6, 35. 36)*), though no longer grouped so harmoniously as they were in Justins’ source writing.Matthew, who had no sense at all of definiteness, even put the abstract and general word: ״perfectly’: ״sending perfectly, even as your Father also is perfect in heaven.” |
130* | *) χρηστός und οἰκτίρμων, vergl. Ps. 103, 8. οἰκτίρμων καὶ ἐλεήμων ὁ Κύριος | *) χρηστός and οἰκτίρμων, cf. Ps. 102, 8. οἰκτίρμων καὶ ἐλεήμων ὁ Κύριος |
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130 | Der Beweis ist vollendet: Justinus kannte die Schriften des Lukas und Matthäus nicht und in seinen apostolischen Lenk- Würdigkeiten lagen ihm die Reden des Herrn in einer bessern Form vor, als er sie in jenen beiden Evangelien hätte finden können.
Nun der Abschnitt vom neuen Gesetz in seiner reinen Ur- sprünglichkeit wieder vorliegt, die Antithesen: ״den Alten, habt ihr gehört, ist gesagt — ich aber sage euch”, von störenden Zu- sätzen befreit und in ihre ursprüngliche Kraft wieder eingesetzt sind, ist noch die Frage zu beantworten, ob Lukas den Abschnitt schon in der ausgearbeiteten Form kannte, in der er dem Mat- thäus Vortag. |
The proof is complete: Justin did not know the writings of Luke and Matthew, and in his apostolic guidance the speeches of the Lord were available to him in a better form than he could have found them in those two Gospels.
Now that the passage of the new law has been restored to its original form, the antitheses: ״The old, ye have heard, is said – but I say unto you’, have been freed from disturbing additions and restored to their original force, the question remains to be answered whether Luke already knew the passage in the elaborate form in which it preceded Matthew. |
130/131 | Er kannte den Inhalt der beiden letzten Antithesen und hat ihn (C. 6,27—36) sogleich auf seine Seligpreisungen und Weherufe folgen lassen. Aber er kannte ihn auch nur aus einer andern Schrift, hat ihn nicht selbst geschaffen, konnte ihn nicht einmal richtig gruppiren, schickt dem Spruch von der Feindesliebe (V. 32) einen matten Ansatz, der eigentlich schon dasselbe sagt (V. 27), voraus und laßt auf ihn (V. 35) eine eben so matte Rekapitulation folgen — ja, er wußte die Tendenz dieser Sprüche selbst so wenig zu würdigen, daß er dem Gebot der Feindesliebe, nachdem er es (V. 27. 28) anticipirt und ungehöriger Weise zur allgemeinen Einleitung für den Spruch von der Wiedervergeltung (V. 29) gemacht hatte, wenn er es (N. 32—34) in seiner Urform hinstellt, einen Spruch als Einleitung vorausschickt, der eine durchaus verschiedene Richtung verfolgt, — den Spruch V. 31: ״und was ihr wollt, daß euch die Leute thun, das thut ihnen auch ihr” — d. h. einen Spruch, der die Gegenseitigkeit gebietet, die der Spruch von der Feindesliebe ausschließt, an das eigne Verlangen nach Liebesbeweisen an- knüpft, während dasselbe der Spruch von der Feindesliebe als einen beschränkten Bewegungsgrund herab setzt. | He knew the content of the last two antitheses and had it (C. 6,27-36) immediately follow his beatitudes and prophecies. But he also knew it only from another scripture, did not create it himself, could not even group it correctly, sends a dull beginning, which actually already says the same thing (v. 27), before the saying about loving one’s enemies (v. 32), and lets it (v. 35) be followed by an equally dull recapitulation – yes, he knew so little about the tendency of these sayings that, after anticipating it (v. 27. 28) and inappropriately making it a part of the commandment to love one’s enemies (v. 27. 28), he gave the commandment to love one’s enemies (v. 27). 27. 28) and unseemly made it the general introduction to the saying of retaliation (v. 29), when he presents it (n. 32-34) in its original form, he sends as an introduction a saying which follows a quite different direction, – the saying v. 31: ״And what ye would that men should do to you, do ye even so to them. i.e., a saying that enjoins reciprocity, which the saying about loving one’s enemies excludes, and links it to one’s own desire for proofs of love, whereas the saying about loving one’s enemies disparages this as a limited reason for movement. |
131 | Freilich enthält die Bergpredigt des Lukas weder die antithetische Erinnerung an das alte Gesetz, noch den Gedanken, daß das Gesetz so streng und genau und so gründlich erfüllt werden müsse, daß auch kein Iota, kein Strich als bedeutungslos unbeachtet bleibe; — aber er kennt diese antithetische Parallele, diesen Gedanken der Erfüllung sehr wohl — später nämlich (C. 16,17) bringt er den Spruch: ״es ist leichter, daß Himmel und Erde vergehen, denn daß ein Strich vom Gesetz falle”, und läßt er unmittelbar darauf (V. 18) das Verbot der Ehescheidung, eigentlich nur die verschärfte Definition des Ehebruchs folgen. | Of course, Luke’s Sermon on the Mount contains neither the antithetical reminder of the old law, nor the idea that the law must be fulfilled so strictly and precisely and so thoroughly that not an iota, not a stroke remains unnoticed as meaningless; – but he knows this antithetical parallel, this idea of fulfilment very well – for later (C. 16,17) he brings the saying: ״It is easier for heaven and earth to pass away than for one stroke to fall from the law’. It is easier for heaven and earth to pass away than for a stroke of the law to fall”, and immediately afterwards (v. 18) he lets the prohibition of divorce follow, actually only the intensified definition of adultery. |
131/132 | Der Umstand, daß dieser Spruch über die Ewigkeit des Gesetzes und die extreme Schürfung einer seiner Definitionen in der Umgebung, in die sie Lukas gestellt hat, scvlechthin zusammenHangslos dastehen, beweist, daß sie fremdes Gut sind, mit wel- chem er nicht richtig zu wirthschaften wußte. Für einen Spruch über die Selbstgerechtigkeit hatte er in seiner Weise so eben den Anlaß gebildet (V. 14), daß er gegen den Spott der Pha- risäer gerichtet sey — als ob nur die Pharisäer die Leute waren, denen dieser Gemeinplatz gegen die Selbstgerechtigkeit entgegengehalten werden konnte! — hatte er sogar, weil vorher vom Mammon die Rede war, die ״Geldgier” der Pharisäer zum Motiv ihres Spottes gemacht — und im Verweis, den sie nun V. 15 hören müssen, ist dieser Geldgier mit keinem Wort gedacht! Ja, nach diesem Verweis und unmittelbar vor dem Spruch über die Ewigkeit des Gesetzes folgt nun (V. 16) jene Antithese, daß die Zeit des Evangeliums begonnen habe und Johannes der Täufer als die Gränzmarke dastehe, bis zu der das Gesetz und die Propheten reichten — welche Disso- nanz also! Das Ende des Gesetzes war damit ausgesprochen und doch soll nun (V. 17) die Ewigkeit desselben gelehrt werden! | The fact that this saying about the eternity of the law and the extreme digging of one of its definitions stand together in the environment in which Luke has placed them, proves that they are foreign goods with which he did not know how to manage properly. For a saying about self-righteousness he had just made the occasion (v. 14) that it was directed against the mockery of the Pharisees – as if only the Pharisees were the people to whom this commonplace against self-righteousness could be held up! – he had even, because the mammon had been spoken of before, made the ״money-grubbing’ of the Pharisees as the motive for their mockery – and in the rebuke that they now have to hear in v. 15, this greed for money is not mentioned at all! Yes, after this reprimand and immediately before the sentence about the eternity of the law, there follows (v. 16) the antithesis that the time of the gospel had begun and that John the Baptist stood as the boundary marker to which the law and the prophets had reached – what dissonance! The end of the law was thus pronounced and yet now (v. 17) the eternity of the same is to be taught! |
132/133 | Der Compilator hat nicht einmal das fremde Gut mit der Rücksicht behandelt, die seine Kostbarkeit in Anspruch nehmen konnte. Mochte er es immerhin in eine fremde Umgebung stel- len, — wenn er es nur im Uebrigen unversehrt ließ — wenn er nur den Schatz, wie er ihn fand, seinen Lesern übergab! Aber er hat es nicht gethan. Wenn unmittelbar auf die Be- hauptung der Ewigkeit des Gesetzes die verschärfte Definition des Ehebruchs und nur sie folgt, so fehlt nichts mehr und nichts weniger als die Hauptsache — d. h. die wirkliche Angabe und Beschreibung des Gesetzes, welches ewig dauern muß, der Gedanke der Erfüllung, in der das alte Gesetz bis auf das Iota erhalten ist, der Erfüllung, die bei alledem der Gegensatz des alten Gesetzes ist kurz, es fehlt die wirkliche Begründung der Ewigkeit und die Antithese des alten Gesetzes, der Gegen- satz, den die alttestamentliche Auffassung der Ehe zu der neuen Definition vom Ehebruch bildet. | The compiler did not even treat the foreign object with the consideration that its preciousness could claim. He might, after all, have placed it in a foreign environment, – if only he left it otherwise intact – if only he handed over the treasure, as he found it, to his readers! But he did not do so. If the assertion of the eternity of the law is immediately followed by the tightened definition of adultery, and only that, then nothing more and nothing less than the main thing – i.e. the real statement and description of the law – is missing. the real statement and description of the law, which must last forever, the idea of fulfilment, in which the old law is preserved down to the iota, the fulfilment, which is in all things the antithesis of the old law, in short, the real justification of eternity and the antithesis of the old law, the antithesis which the Old Testament conception of marriage forms to the new definition of adultery, is missing. |
113 | Es fehlen alle die Bestimmungen, die wir in der Schrift des Matthäus lesen. Wir können wohl den Spruch in der mangelhaften Form, in der er in der Schrift des Lukas vor- liegt, deuten, weil wir die Mittelglieder, die er verlangt, aus der Schrift des Matthäus mit ihm combiniren — aber in die- ser fragmentarischen Form, in der ihn Lukas in den unglücklich- sten Zusammenhang eingeklemmt hat, ist er nicht nur undeutlich und unklar, sondern gar nicht zu deuten — in dieser Form ist er also auch nicht zur Welt gekommen.
Der Mann, der ihn geschaffen hat, hat ihm auch die Form gegeben, in der er uns in der Schrift des Matthäus erhalten ist — wohl zu merken: die Form der Antithese, ohne die er sinnlos ist. |
All the provisions that we read in Matthew’s writing are missing. We can certainly interpret the saying in the deficient form in which it is found in Luke’s writing, because we combine the middle elements that it requires from Matthew’s writing with it – but in this fragmentary form, in which Luke has wedged it into the most unfortunate context, it is not only unclear and ambiguous, but cannot be interpreted at all – thus, it did not come into the world in this form either.
The man who created it also gave it the form in which it is preserved for us in Matthew’s writing – to be noted: the form of the antithesis, without which it is meaningless. |
133/134 | Und da diese Antithese des alten und neuen Gesetzes in Verbindung mit der Behauptung der ewigen Dauer des alten Gesetzes immer noch sinnlos bleibt, wenn das Mittelglied jenes Gedankens der Erfüllung fehlt — der Erfüllung, die das ganze Gesetz bis auf das Iota in sich aufnimmt und ihm doch eine schlechthin neue Form und Bedeutung gibt — da der ungeheure Ansatz, den diese außerordentlich reiche Combination nimmt, unmöglich bloß zu der neuen Definition des Ehebruchs führen kann, — da der Tiefsinn jener Combination über diese einzelne Definition unendlich hinausreicht, — kurz, da ein Mann, der der Anstrengung fähig war, die zu diesem Gedankenwerk gehörte, und Kraft genug besaß, um diese Combination der minutiösesten Erfüllung und zugleich des durchgehenden Gegensatzes zu fassen und zu überwältigen, sich wahrlich nicht nur mit der Einen Definition des Ehebruchs begnügt baben wird, so folgt daraus——-ist die unabweisbare Folge——— | And since this antithesis of the old and new law in connection with the assertion of the eternal duration of the old law still remains meaningless if the middle link of that thought of fulfilment is missing – the fulfilment which absorbs the whole law down to the iota and yet gives it a new form and meaning par excellence – since the tremendous approach which this extraordinarily rich combination takes cannot possibly lead merely to the new definition of adultery, – since the profundity of that combination reaches infinitely beyond this single definition, – in short, since a man who was capable of the effort that belonged to this work of thought, and possessed strength enough to grasp and overwhelm this combination of the most minute fulfilment and at the same time of the continuous contrast, will truly not have been content with only the One Definition of Adultery, then it follows from this——-is the inevitable consequence——— |
134 | Nun?
Die Folge ist klar: dieser glückliche Schöpfer hat sogleich den ganzen Abschnitt gebildet, den wir wiederhergestellt haben, indem wir ihn von den Zusätzen des Matthäus befreiten. Es war ein außerordentlicher Mann! Ein wahrer Schöpfer! Ein Baumeister, wie ihrer die Geschichte nur wenige kennt! Lukas hat diesen wunderbar vollendeten Abschnitt vollständig vor Augen gehabt und nachdem er ihm die Sprüche über die Wiedervergeltung und die Feindesliebe für seine Bergpredigt entlehnt hatte, für den spätern Ort den allgemeinen Satz über die Ewigkeit des Gesetzes und die Definition des Ehebruchs entnommen. |
Well?
The consequence is clear: this happy creator immediately formed the whole passage which we have restored by freeing it from Matthew’s additions. It was an extraordinary man! A true creator! A master builder such as history knows few! Luke had this wonderfully completed passage completely before his eyes, and after borrowing the sayings about retaliation and love of one’s enemies for his Sermon on the Mount, he took the general sentence about the eternity of the law and the definition of adultery for the later place. |
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134 | Dieß Ergebniß unserer Untersuchung steht fest und würde fest stehen, wenn ihm auch nicht eine Angabe des Epiphanius über die Urschrift, die der Compilator des Lukasevangeliums seiner Arbeit zu Grunde legte und die das Evangelium des Marcion bildete, zur Bestätigung diente.
Urlukas hatte nicht geschrieben: ״es ist leichter, daß Himmel und Erde vergehen, denn daß Ein Strich vom Gesetz” — sondern: ״von meinen Worten*) falle.” Das hat die Confusion herbeigeführt. |
The result of our investigation is certain and would be certain even if it were not confirmed by a statement of Epiphanius about the original text on which the compiler of Luke’s Gospel based his work and which formed the Gospel of Marcion.
Urlukas had not written: ״It is easier for heaven and earth to pass away than for one stroke of the law’ – but: ״From my words*) to fall.” This brought about the confusion. |
134* | *) τῶν λόγων μου | *) τῶν λόγων μου |
134/135 | Urlukas hat den meisterhaften Abschnitt nicht verstanden. Diese kühne Paradoxie, daß das Gesetz ewig sey und bis auf das Jota und das Strichlem fester gegründet sey, als Himmel und Erde, hat er irrthümlich so verstanden, als sey mit ihr die Ewigkeit des unveränderten mosaischen Gesetzes behauptet, — er verstand die außerordentliche Dialektik nicht, die das Gesetz, dessen Ewigkeit behauptet wird, zu einem schlechthin neuen macht. | Urlukas did not understand the masterly passage. He mistakenly understood this bold paradox, that the law is eternal and that it is founded more firmly than heaven and earth, down to the iota and the dash, as if it asserted the eternity of the unchanged Mosaic law, – he did not understand the extraordinary dialectic that makes the law, whose eternity is asserted, an entirely new one. |
135/136 | In den Typus der evangelischen Geschichte, den er seiner Arbeit zu Grunde legte und mit neuen Elementen bereicherte, hat er eine ganze Reihe solcher Aussprüche und Collisionen verwebt, die die Neuheit des christlichen Princips und die Antiquirung des jüdischen Wesens beweisen. Als die Zünger das ungastliche samaritische Dorf mit Feuer vom Himmel, ״wie auch Elias gethan”, zerstören wollten, macht sie Jesus auf den Unterschied des alten und des neuen Geistes aufmerksam: ״wisset ihr nicht, wessen Geistes ihr seyd?” (C. 9, 54. 55). Wenn ihnen Jesus bei dieser Gelegenheit das ganze Wesen dieses neuen Geistes schildern will, erinnert er sie an das Eine, daß des Menschen Sohn nicht gekommen ist, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten (C. 9, 56) — ein Thema, wel- ches noch öfters variirt wird, — so C. 15, 1 —10. 19, 10 — und besonders in der Parabel vom verlorenen Schaaf und Groschen die Barmherzigkeit Gottes intensiver zur Darstellung bringt, als der Spruch über die unpartheiische Gleichmäßigkeit, mit der er über Gerechte und Ungerechte regnen und die Sonne aufgehen laßt. Die Geschichte vom barmherzigen Samariter hatte für den Kompilator (C. 10, 30—37) auch deshalb Werth, weil sie die Barmherzigkeit im Gegensatz zur Härte und Ausschließ- lichkeit des gesetzlichen Standpunkts darstellte. Die gesetzliche Geschäftigkeit und die sicher in sich selbst beruhende Innerlichkeit und Resignation waren in der Martha und Maria (C-10, 41.42) abgebildet. Zn der Parabel vom Zöllner und Pharisäer (C. 18,14) repräsentirte dieser den Stolz der gesetzlichen Gerechtigkeit, jener die neue Selbsterniedrigung. Der Reiche endlich, vor dessen Thüre Lazarus lag, war nicht nur reich an Lebensgütern, sondern auch an Offenbarung — er hatte (C. 16, 29) wie seine Brüder Mosen und die Propheten — der Arme dagegen, der sich Nichts weiter wünschte als den Abfall vom Tisch des Reichen und sich so niedng fühlte, wie die Kanaaniterin des Marcus, die auch Nichts weiter haben wollte als die Brosamen, die den Hunden unter dem Tisch zufallen, ist zugleich das Abbild der heidnischen Armuth, der das Heil als ein Gnadengeschenk zufiel. | In the type of the Gospel story, which he based his work on and enriched with new elements, he interwove a whole series of such sayings and collisions, which prove the newness of the Christian principle and the antiquity of the Jewish being. When the disciples wanted to destroy the inhospitable Samaritan village with fire from heaven, ״just as Elijah did,’ Jesus draws their attention to the difference between the old and the new spirit: ״Do you not know whose spirit you are?” (C. 9, 54. 55). When Jesus wants to describe the whole nature of this new spirit, he reminds them of the one thing that the Son of Man did not come to destroy the souls of men, but to preserve them (C. 9, 56). 15, 1-10. 19, 10 – and especially in the parable of the lost sheep and the penny, it shows God’s mercy more intensely than the saying about the unpartheistic regularity with which he lets rain and the sun rise on the just and the unjust. The story of the Good Samaritan also had value for the compiler (C. 10, 30-37) because it presented mercy in contrast to the hardness and exclusiveness of the legal standpoint. The legal busyness and the inwardness and resignation securely based in oneself were depicted in the Martha and Mary (C-10, 41.42). In the parable of the Publican and the Pharisee (C-18:14), the latter represented the pride of legal righteousness, the latter the new self-abasement. The rich man, at whose door Lazarus lay, was not only rich in goods, but also in revelation – he had (C. 16, 29) like his brothers Moses and the prophets – the poor man, on the other hand, who wanted nothing more than to fall away from the rich man’s table and felt as low as the Canaanite woman of Mark, who also wanted nothing more than the crumbs that fell to the dogs under the table, is at the same time the image of pagan poverty, to whom salvation fell as a gift of grace. |
136 | Es thut Nichts zur Sache, daß die verfehlte Einführung der meisten dieser Erzählungsstücke den Beweis liefert, daß Urlukas sie nicht selbst gebildet, sondern einem fremden Werk entnommen hat — genug, er hatte sie doch ausgenommen, hörte aus ihnen den An klang des Neuen heraus und konnte daher den Abschnitt vom neuen Gesetze, sovald er ihn in dem Grade mißverstand, daß er glaubte, das mosaische Gesetz als solches solle als ewig hingeftellt werden, in sein Werk nicht aufnehmen. Gleichwohl konnte er, nachdem er ihn für seine Bergrede schon benutzt hatte, noch einen Absatz daraus gebrauchen — den Spruch über die Ehescheidung, da die Verwirrung seiner Composition gerade an dem Punkte, wo das Gespräch über die Ehegesetzgebung nach dem ursprünglichen Typus der evangelischen Geschichte seinen Platz hatte, es ihm kaum möglich machte, dasselbe an seinem Ort anzubringen. Wenigstens den Ausspruch Jesu wollte er anbringen — in der Notizensamm- lung, die sein Bericht über die Reise Jesu durch Samarien bil- det(C. 9, 51 — 18, 31), konnte er ihn an jedem beliebigen Ort anbringen, und als er ihn jenem Abschnitt vom neuen Gesetze entnahm, stellte er ihm die Metamorphose des Spruchs von der Ewigkeit des Gesetzes voran. | It does not matter that the erroneous introduction of most of these narrative passages is proof that Urlukas did not form them himself, but took them from a foreign work – enough, he had nevertheless excluded them, heard from them the sound of the new and therefore could not include the passage on the new law in his work, insofar as he misunderstood it to the extent that he believed that the Mosaic law as such was to be presented as eternal. Nevertheless, after he had already used it for his mountain speech, he was able to use another paragraph from it – the saying about divorce, since the confusion of his composition at the very point where the discussion about the marriage law had its place according to the original type of evangelical history hardly made it possible for him to put it in its place. At least he wanted to place the saying of Jesus – in the collection of notes which his account of the journey of Jesus through Samaria (C. 9, 51 – 18, 31) forms, he could place it anywhere, and when he took it from that section of the new law, he placed the metamorphosis of the saying about the eternity of the law before it. |
136/137 | So ist es gekommen, daß Jesus eine Verschärfung des Gesetzes aufstellt, ohne daß der Gegensatz, die laxere Bestimmung des gesetzlichen Buchstabens vorangeht, und daß Jesus mit außerordentlicher Emphase von dem ewigen und gleichmäßigen Werth aller seiner Worte spricht, während nur eine einzelne — in diesem Zusammenhang dürftige — Bestimmung über die Ehescheidung folgt. | Thus it has come about that Jesus establishes a tightening of the law without the contrast, the laxer provision of the legal letter preceding it, and that Jesus speaks with extraordinary emphasis of the eternal and equal value of all his words, while only a single – in this context meagre – provision about divorce follows. |
137 | Daß Urlukas den Spruch gegen dessen Willen geändert hat, beweist auch das Unpassende, was in der Zusammenstellung der Worte Jesu und des Strichlein liegt. Nur das Positive, was uralte Geltung hat und im Buchstaben durch Geschlechter und zahllose Geschlechter hindurch vererbt ist, hat Jota’s und Strichleins, über deren Geltung endlich gestritten werden kann. Eine positive Existenz dieser Art hatten aber die Worte Jesu weder damals, als Jesus nach der Voraussetzung der Evangelien gesprochen haben soll, noch zur Zeit, als Lukas schrieb.
Die Dissonanz des Spruches war so schreiend, daß sie bald beseitigt wurde. Der Compilator des jetzigen Lukasevan- geliums beseitigte sie, indem er die Urform wiederherstellte und das Gesetz wieder in seine wohlerworbenen Rechte setzte. |
The fact that Urlukas changed the saying against his will also proves the impropriety of the combination of the words of Jesus and the little line. Only the positive, which has an ancient validity and is inherited in the letter through generations and countless generations, has iota’s and strichleins, the validity of which can finally be disputed. But the words of Jesus had no positive existence of this kind either at the time when Jesus is said to have spoken according to the premise of the Gospels, or at the time when Luke wrote.
The dissonance of the saying was so glaring that it was soon removed. The compiler of the present Gospel of Luke removed it by restoring the original form and restoring the law to its vested rights. |
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137 | Nun noch ein Wort über den Standpunkt des Mannes, der den Abschnitt vom neuen Gesetz gebildet hat. | Now a word about the point of view of the man who formed the section of the new law. |
137/138 | Jener unlebendigen Anschauung, die die Urgeschichte des Christenthums erfaßt zu haben glaubt, wenn sie die Reihe der Erscheinungen durch einen Strich m zwei Hälften getheilt, die Alles gedeutet und charakterisirt hat, wenn sie die Eine Hälfte Juden-, die andere Heiden-christlich genannt hat, gilt dieser Mann natürlich als Judenchrist, — denn er hat dem alttestamentlichen Gesetz eine positive, ja, ewige Geltung beigelegt. | To that lifeless view which believes it has grasped the prehistory of Christianity, when it has divided the series of phenomena in two by a line, when it has interpreted and characterised everything, when it has called one half Jewish and the other Gentile-Christian, this man is naturally regarded as a Jewish Christian, for he has attributed to the Old Testament law a positive, even eternal validity. |
138 | Liese Auffassung beruht auf demselben Irrthum, in dem sich Urlukas befand, als er das Gesetz in jenem Spruch von der Ewigkeit strich und seinen Herrn von der Dauer seiner Worte sprechen ließ.
Allerdings ist die Stellung, die sich dieser Abschnitt zum Gesetze gibt, eine andere, als diejenige, die Jesus in einer Reihe von Collisionen, von denen Matthäus auch berichtet, zum Gesetz einnimmt. Wenn er sagt, man gieße nicht den neuen Wein in alte Schläuche, wenn er sich als den Herrn des Sabbaths hin- stellt und die gesetzliche Anschauung von der Unreinheit geradezu umstößt, so behauptet er die unbedingte Selbstständigkelt und Neuheit der christlichen Welt und verneint er eben so un- bedingt jede Geltung des jüdischen Gesetzes. Aber das ist zunächst nur eine andere Betrachtungsweise, — d. h. diese Sprüche sammt den vorhergehenden Collisionen sind auf einem andern Standpunkt gebildet als der Abschnitt vom neuen Gesetz — sind in einer andern Epoche entstanden und wenn Beides in der Schrift des Matthäus unbefangen neben einander steht, so liegt darin nur der Beweis, daß Matthäus Beides fremden Schriften mechanisch entnommen hat. Zm Evangelium des Marcus stehen jene Sprüche, die die Neuheit und Selbstständigkeit des christlichen Geistes behaupten, allein für sich da — d. h. ist uns das Erzeugniß der Einen Epoche in seiner Reinheit erhalten. Weil nun aber der Verfasser jenes Abschnitts von der Erfüllung des Gesetzes dem christlichen Selbstbewußtseyn eine andere Stellung zum Gesetze gibt, ist er deshalb ein Zudenchrist? |
This view is based on the same error in which Urlukas found himself when he deleted the law in that saying about eternity and let his Lord speak of the duration of his words.
However, the position this passage takes on the law is different from the position Jesus takes on the law in a series of collisions that Matthew also reports. When he says that one should not pour new wine into old wineskins, when he presents himself as the Lord of the Sabbath and virtually overturns the legal view of uncleanness, he asserts the unconditional independence and novelty of the Christian world and just as unconditionally denies any validity of the Jewish law. But this is first of all only another way of looking at things, – i.e. these sayings, together with the preceding collisions, are formed from a different standpoint than the passage on the new law – have come into being in a different epoch, and if both stand unbiasedly side by side in Matthew’s writing, this is only proof that Matthew has taken both mechanically from foreign writings. In the Gospel of Mark, those sayings which assert the novelty and independence of the Christian spirit stand alone – that is, the product of the one epoch is preserved to us in its purity. But because the author of this passage on the fulfilment of the law gives Christian self-consciousness a different position in relation to the law, is he therefore an additional Christian? |
138/139 | Muß derjenige, der dem Verhältniß zum Bruder eine so hohe Spannung gab, daß er sogar die Uebereilung des Augen blicks, ein Wort, welches nur für einen Augenblick den Bruder vergißt, mit der Hölle bestraft — der die Reinheit des Herzens und Auges auch nicht durch die unwillkührlich aufsteigende Lust befleckt wissen will — der das Weib der gesetzlichen Willkühr des Mannes vollständig entzieht — der dem einfachen Wort Eideskraft gibt — der der Gereiztheit, mit der das Gesetz Auge um Auge, Zahn um Zahn verlangte, in der ruhigen Sicherheit des Gläubigen ein Ende macht und den unendlichen Schatz der Liebe auch für die Feinde erschließt — muß der ein Judenchrist seyn? | Must he who gave the relationship to the brother such a high tension that he even punishes the hasty glance, a word that only for a moment forgets the brother, with hell – who does not want the purity of heart and eye to be stained by the involuntarily rising lust — who completely withdraws the woman from the legal arbitrariness of the man – who gives the simple word the power of an oath – who puts an end to the irritability with which the law demands an eye for an eye, a tooth for a tooth, in the calm security of the believer and opens up the infinite treasure of love even for enemies – must he be a Jewish Christian? |
139 | Die Frage ist vielmehr, ob er es seyn kann! Sagt er denn, daß das Gesetz in seiner positiven Form als mosai- sches bleiben soll?
Ja, er sagt es! Der Mann war so kühn, die Forderung aufzustellen, daß es Satz für Satz, Wort für Wort, Jota für Jota bleiben und ewig bleiben soll. Dieser Kühnheit war er aber nur fähig, weil er sicher war, es bis auf das Jota aufgelöst zu haben — dieErfül- lung, die er dem alten Gesetz gibt, ist zugleich die totale Auf- lösung. Kein Iota ist unter die Bank gefallen — jede Bestim- mung des positiven Gesetzes, bis auf das Strichlein, ist er- füllt — aber das Gesetz ist auch bis auf das Strichlem aufgelöst. |
The question is rather whether it can be! Is he saying that the law should remain in its positive form as a Mosaic law?
Yes, he says so! The man was so bold as to demand that it should remain sentence for sentence, word for word, iota for iota, and remain eternally. But he was only able to be so bold because he was sure that he had dissolved it down to the iota – the fulfilment which he gives to the old law is at the same time the total dissolution. Not an iota has fallen under the bank – every provision of the positive law, down to the little line, has been fulfilled – but the law has also been dissolved down to the little line. |
139/140 | Der gründliche Dialektiker, der durch seine kraftvolle Combination der Auflösung und Erfüllung, in dieser Parallele des alten und neuen Gesetzes, ein Werk zu Stande brächte, welches zu den größten Erzeugnissen der Geschichte gehört — der tiefsinnige, gründliche Mann, der zu jenen wenigen Meisterwerken, deren Vollendung von der Schöpferkraft des Menschengeistes zeugt, auch sein Werk hinstellte — ja, er hat das alte Gesetz tief, außerordentlich tief gewürdigt, aber auch gründlich, außerordentlich gründlich aufgelöst. | The thorough dialectician who, through his powerful combination of dissolution and fulfilment, in this parallel of the old and new law, would bring about a work which belongs to the greatest products of history – the profound, thorough man who also placed his work among those few masterpieces whose completion testifies to the creative power of the human spirit – yes, he deeply, extraordinarily deeply appreciated the old law, but also thoroughly, extraordinarily thoroughly dissolved it. |
140 | Judenchrist ware der dürftigste Titel, der ihm gegeben werden könnte. Jedes Wort seiner einschneidenden Antithese beweist, was er vom Sabbath, von der Beschneidung, vom ganzen mo- saischen Gesetz gehalten hat und was er denjenigen geantwortet haben würde, die aus seinem Spruch von der Ewigkeit des Jota den Schluß hätten ziehen wollen, daß er nun auch allen Satzungen des alten Gesetzes sich unterwerfen müsse.
Er gehört vielmehr zu jenen Männern, die eine welthistorische Revolution zu Ende führen, indem sie ihr wirklich die alte Welt unterwerfen — zu jenen Ordnern, die der gewöhnlichen Vorstellung als Reactionäre gelten, weil sie den neuen geistigen Boden, den die revolutionäre Erschütterung gebildet hat, erst befestigen, indem sie auf ihm die neue geistige Ordnung gründen — zu jenen Schöpfern, die das neue Princip wirklich in den Besitzstand der Welt setzen, indem sie den menschlichen Hunger nach Dogmen durch das Dogma befriedigen, welches die Dogmen, von denen die alte Welt lebte, in sich ausgenommen und zugleich dem neuen revolutionären Princip unterworfen hat. Der revolutionäre Angriff auf das Alte, der Umsturz, der in jenen Abschnitten des Marcusevangeliums vollführt ist, ist nur das Werk Einer Epoche, führt endlich zur ruhigen Reflexion über die Bedeutung und den Gehalt der gestürzten Welt und zu Versuchen einer neuen Gestaltung und Constituirung. |
Jewish Christian would be the most meagre title that could be given to him. Every word of his incisive antithesis proves what he thought of the Sabbath, of circumcision, of the whole Mosaic law, and what he would have answered those who would have wanted to draw the conclusion from his saying of the eternity of the iota that he must now also submit to all the statutes of the old law.
On the contrary, he belongs to those men who bring a world-historical revolution to an end by really subjecting the old world to it – to those orderly men who are regarded as reactionaries by the common imagination because they first fortify the new spiritual ground which the revolutionary upheaval has formed, to those creators who really put the new principle into the possession of the world, by satisfying the human hunger for dogmas through the dogma which has excluded the dogmas on which the old world lived and at the same time subjected them to the new revolutionary principle. The revolutionary attack on the old, the overthrow, which is accomplished in those passages of the Gospel of Mark, is only the work of an epoch, and finally leads to calm reflection on the meaning and content of the overthrown world and to attempts at a new design and constitution. |
140/141 | Die Männer, die die Versuche zur Vollendung führen, die endlich vollkommen gestalten, besitzen noch die Kraft der Revolution, haben sie sogar in ihrem Innern concentrirt — aber sie treten bei alledem apologetisch auf und diese apologetische Wendung des Revolutionärs ist jenes Wort (Matth. 5, 17): ״meinet nicht, daß ich gekommen bin, das Gesetz aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.” | The men who lead the experiments to completion, who finally form them perfectly, still possess the power of revolution, have even concentrated it within themselves – but in all this they appear apologetically and this apologetic turn of the revolutionary is that word (Matth. 5, 17): ״meinet not that I am come to dissolve the law. I have not come to abolish, but to fulfil.” |
141 | Diesen apologetischen Trieb, m der Revolution die Ge- staltung, in der Auflösung die Erfüllung nachzuweisen und über dem gestürzten Gesetz eine neue geistige Ordnung aufzu- bauen, empfand auch schon der Verfasser des Römerbriefs. Im Glauben hat er das Gesetz gestürzt und doch will er vom Post- tiven nicht lassen, will er das Gesetz nicht wirklich gestürzt haben. ״Heben wir nun also” ruft er (Röm. 3, 31), ״das Gesetz durch den Glauben aus? Das sey ferne! Sondern wir stabiliren*) das Gesetz!” Auch er will das Gesetz erfüllt wissen und findet seine Erfüllung in der Liebe (Röm. 13, 10).
Was der Verfasser des Nömerbriefs wollte, was die Ge- meinde nach den revolutionären Schlachten, die jene Abschnitte des Marcusevangeliums schlagen, verlangte, das hat der Der- fasser der Antithesen vom alten und neuen Gesetz ausgeführt und der Gemeinde gegeben. |
The author of the Letter to the Romans also felt this apologetic urge to prove that the revolution was the formation, the dissolution the fulfilment and to build up a new spiritual order over the overthrown law. In faith he has overthrown the law and yet he does not want to leave the postive, he does not really want to have overthrown the law. ״Do we therefore,’ he cries (Rom. 3, 31), ״abolish the law by faith? Far be it from us! But we stabilise*) the law!” He too wants the law to be fulfilled and finds its fulfilment in love (Rom. 13, 10).
What the author of the Epistle to the Romans wanted, what the congregation demanded after the revolutionary battles fought in those passages of the Gospel of Mark, was carried out and given to the congregation by the author of the antitheses of the old and new law. |
141* | *) ίστὧμέν | *) ίστὧμέν |
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141 | Die Gerechtigkeit der Heuchler. | The righteousness of the hypocrites. |
141/142 | Nachdem der Eompilator des Matthäusevangeliums bereits den gründlichsten Beweis geliefert hat, daß er die einzelnen Abschnitte, aus denen er seine Bergpredigt zusammensetzt, weder selbst geschaffen, noch in der Structur, die sie von den ersten Bildnern erhalten hatten und die mit ihrer Tendenz auf das engste verbunden war, in seine Schrift ausgenommen hat, wird die Fortsetzung seiner Beweisführung fast überflüssig, d. h. ist es uns erlaubt, kürzer zu verfahren, und ist es genug, wenn wir einfach den Thatbestand aufnehmen, daß er im folgenden Theil der Bergpredigt derselbe unkundige Compilator ist, der er bis- her war. | Since the compiler of Matthew’s Gospel has already given the most thorough proof that he neither created the individual passages of which he composes his Sermon on the Mount himself, nor included them in his writing in the structure which they had received from the first compilers and which was closely connected with their tendency, the continuation of his argument becomes almost superfluous, i.e. we are permitted to proceed more briefly and it is enough if we simply record the fact that he is the same ignorant compiler in the following part of the Sermon on the Mount. |
142 | Schon innerhalb der Antithese des alten und neuen Gesetzes hielt er (C. 5, 20) seinen schielenden Seitenblick auf die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer für richtig angebracht — kein Wunder daher, daß er sich noch im besten Zusammenhange zu befinden meint, wenn er an jene Antithesen C. 6, 1 — 18 einen Abschnitt anfügt, in welchem die heuchlerische Prahlerei mit den guten Werken gerügt und dagegen geboten wird, man solle die eigne’Gerechtigkeit den Augen der Leute entziehen.
Diese neue Antithese, die mit der Richtung der Vorhergehenden Nichts gemein hat, wird durch drei Falle hindurchgeführt: — im Almosengeben, im Beten und im Fasten zur Anschauung gebracht (C. 6, 1 — 6. 16 — 18).*) |
Already within the antithesis of the old and new law he considered (C. 5, 20) his squinting sideways glance at the righteousness of the scribes and Pharisees to be appropriate – no wonder that he still thinks he is in the best context when he adds to those antitheses C. 6, 1 – 18 a passage in which the hypocritical boasting of good works is rebuked and against it one is commanded to withdraw one’s own righteousness from the eyes of the people.
This new antithesis, which has nothing in common with the direction of the previous ones, is brought to light through three traps: – in almsgiving, in prayer and in fasting (C. 6, 1 – 6. 16 – 18).*) |
142* | *) Justinus Apol. II., 63, las den Grundgedanken in seinen apostolischen Denkwürdigkeiten wirklich so, wie ihn Matthäus aufbcwahrt hat, und wenn er citirt: Μὴ ποιῆτε ταῦτα πρὸς τὸ θεαθῆναι, so seßt auch dics Citat eine Ausführung voraus, die der im Matthäusevangelium entsprich. | *) Justin 1 Apol. 15.17, really read the basic idea in his Apostolic Memoirs as Matthew had presented it, and when he cites: Μὴ ποιῆτε ταῦτα πρὸς τὸ θεαθῆναι, the citation also presupposes an elaboration which corresponds to that in the Gospel of Matthew. |
142/143 | Aber auch diese Antithese hat Matthäus durch die Ein- fügung fremder Elemente um ihr natürliches Ebenmaaß gebracht. Als er den Spruch vom stillen Gebet hinscbrieb, glaubte er bloß deshalb, weil vom Gebet die Rede war, das Recht dazu zu haben, den Spruch (V. 7. 8) anzufügen: ״wenn ihr betet, so plappert nicht wie die Heiden, denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, ehe ihr ihn bittet” — einen Spruch also, der mit dem Gegensatz gegen die Prahlerei vor den Leuten Nichts zu thun hat und auf eine ganz andere Richtung losgeht, einen Spruch, der nicht das stille Gebet als das rechte empfehlen will, sondern vermittelst der Voraussetzung, von der er ausgeht, zur kühnen Parodoxie führt, daß es des Betens überhaupt nicht bedürfe. | But even this antithesis has been deprived of its natural measure by Matthew’s insertion of foreign elements. When he added the saying about silent prayer, he thought he had the right to add the saying (vv. 7. 8): ״When you pray, do not chant, but pray. 8): ״When you pray, do not babble like the heathen, for your Father knows what you need before you ask him’ – a saying, then, that has nothing to do with the opposition to boasting to the people and goes in a completely different direction, a saying that does not want to recommend silent prayer as the right thing to do, but by means of the presupposition from which it proceeds leads to the bold parodox that there is no need for prayer at all. |
143 | Ja, in demselben Augenblick, da der Kompilator dieß Pa- radoxon seinen Quellen entlehnt, hält er sich aus demselben Grunde, weil vom Gebet die Rede ist, dazu berechtigt, auch sogleich das wahre Gebet der Gläubigen (V. 9 — 13) anzufügen, stellt er dies Gebet mit seinen Einleitungsworten: ״so sollt ihr also beten”, als eine stehende Formel hin, während er so eben den Spruch gegen das Herplappern der Gebete hingeschrieben hatte, und läßt er sich durch den Umstand, daß in dem Mustergebet die himmlische Vergebung der Sünde mit der Verzeihung, die die Menschen einander gewähren, in Zu- sammenhang gebracht war, dazu verleiten (V. 14, 15), noch einen Spruch anzufügen, in welchem derselbe Zusammenhang behauptet wird.
Erst nach dieser Abschweifung kommt er zur dritten Anti- these: — er hatte es also nicht gemerkt, daß diese Antithesen durch ihren Refrain: ״wahrlich, ich sage euch: sie haben ihren Lohn dahin” (V. 2. 5. 16.), sich eng an einanderschließen und daß sie erst Ruhe finden, wenn sie die fremden Eindringlinge ausgestoßen und ihren ursprünglichen Zusammenhang wieder her- gestellt haben. |
Yes, at the same moment that the compiler borrows this paradox from his sources, he considers himself justified, for the same reason that prayer is mentioned, to immediately add the true prayer of the faithful (vv. 9-13), he presents this prayer with its introductory words: – So then you should pray’, as a standing formula, while he had just written the sentence against the babbling of prayers, and is tempted by the fact that in the model prayer the heavenly forgiveness of sin was brought into connection with the forgiveness which men grant one another (vv. 14, 15) to add another sentence in which the same connection is asserted.
Only after this digression does he come to the third antithesis: -so he had not noticed that these antitheses by their refrain: “Verily, I say unto you, they have received their reward’ (vv. 2. 5. 16.) and that they will only find peace when they have expelled the foreign intruders and restored their original context. |
143/144 | In der Sache selbst hatte sich übrigens Matthäus nicht versehen, wenn er das Gebet um Alles dasjenige, was für den Gläubigen wünschenswerth ist, mit der Formel: ״so sollt ihr beten” einführt, dasselbe somit nicht nur als das Mustergebet, sondern auch zugleich als die richtige Formel des Gebets bezeichnet. Als er seine Schrift zusammensetzte, hatte das Gebet bereits formulare Geltung gewonnen. | Incidentally, Matthew was not mistaken when he introduced the prayer for all that is desirable for the believer with the formula: ״so you should pray’, thus describing it not only as the model prayer, but also as the correct formula for prayer. When he composed his scripture, prayer had already gained formal validity. |
144/145 | Der Typus der evangelischen Geschichte, wie er im Marcusevangelium vorliegt, kennt dies Mustergebet noch nicht. Die Schrift des Lukas führt es dagegen auch bereits als eine Formel ein, die von dem Herrn für alle Zeiten vorgeschrieben sey. ״Wenn ihr betet, so sprechet”, sagt Jesus (Luk. 11, 2) — deutlicher konnte derjenige nickt sprechen, der die folgenden Bitten als die einzige Gebetformel aufstellen, d. h. deutlicher konnte ein Evangelist seinen Herrn nicht sprechen lassen, wenn er jenes Gebet durch die allerhöchste Sanction Privilegiren wollte. Ein Anlaß zur Aufstellung des Gebets war bald gefunden: — ein Evangelist, der das Thema gewöhnlich schon im Anlaß vorbildet, die Aussprüche Jesu durch einen Anlaß herbeifüh’t, in dem sie gleichsam schon handgreiflich vorhanden sind, konnte nicht in Verlegenheit kommen, wenn er seinem Herrn zur Aufstellung der Gebetsformel Gelegenheit geben wollte. Ein Schriftsteller, der, um nur einige Beispiele anzuführen, Jesum sich nur umwenden und das nachfolgende Volk erblicken zu lassen brauchte, wenn er von den Pflichten seiner Nachfolger (Luk. 14, 25) sprechen sollte, — der die Leute, die sich allein für gerecht hielten und die Andern verachteten, zum Auditorium machte, welches (C. 18, 9) die Parabel vom Zöllner und Pharisäer hörte — der alle Zöllner und Sünder im Kreis um den Herrn stellte und außerdem noch die Pharisäer und Schriftgelehrten darüber murren läßt, daß er die Sünder annimmt und mit ihnen ißt, wenn er (C. 15, 1. 2) die Parabel vom verlorenen Groschen und Schaaf vortragen soll — der ihn so eben allerlei Wunder verrichten läßt, als die Zünger des Täufers mit der Anfrage ihres Meisters zu ihm kamen, damit seine Antwort: ״gehet hin und sagt dem Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: die Blinden sehen” u. s. W., (C. 7, 21. 22) recht natürlich begründet ist — der den Gesetzeskundigen durch die Bemerkung: ״Meister, damit schmähest du uns auch”, das Wehe über die Gesetzeskundigen hervorrufen läßt (C. 11, 45. 46) — der durch den Ausruf eines Mannes, der mit dem Herrn zu Tische saß: ״selig ist, der das Brot isset im Reich Gottes”, (C. 14,15) das Gleichniß vom großen Festmahl herbeiführt — ein Geschichtschreiber, der noch viel mehr Beispiele dieser Tautologie und prästabilirten Harmonie zwischen dem Anlaß und der Predigt Jesu gebildet hat, der mußte es auch genau wissen, bei welcher Gelegenheit der Herr die richtige Gebetsformel aufstellte: — damals war es, als er eben gebetet hatte und einer seiner Jünger ihn bat, er möchte sie beten lehren (C. 11,1) wie auch Johannes seine Jünger beten lehrte. Wie auch Johannes! — diese Gelehrsamkeit schöpfte der heilige Geschichtsforscher aus dem Umstände allein, daß er das Gebet mittheilen wollte, welches dem christlichen Standpunkte entspreche — er mußte es daher in irgend einen Unterschied stellen — in irgend einen Unterschied, gleichviel, welcher es war — er fiel auf den Täufer, weil er den Herrn als Lehrer seinen Jüngern gegenüberstellen wollte. | The type of the Gospel story as it is found in the Gospel of Mark does not yet know this model prayer. Luke’s writing, on the other hand, already introduces it as a formula prescribed by the Lord for all times. When you pray, speak,” says Jesus (Luk 11:2) – he could not speak more clearly than this, who set up the following petitions as the only formula for prayer, i.e. an evangelist could not let his Lord speak more clearly if he wanted to privilege this prayer by the highest sanction. An occasion for the establishment of the prayer was soon found: – an evangelist who usually models the theme already in the occasion, who brings about the sayings of Jesus through an occasion in which they are, as it were, already palpably present, could not be embarrassed if he wanted to give his Lord the opportunity to establish the formula of the prayer. A writer who, to give but a few examples, had only to make Jesus turn round and look at the following people, when he was to speak of the duties of his followers (Luk. 14, 25), – who made the people, who alone thought themselves righteous and despised others, the audience which (C. 18, 9) heard the parable of the publican and the Pharisee – who put all publicans and sinners in a circle around the Lord and furthermore let the Pharisees and scribes murmur about him accepting sinners and eating with them, when he (C. 15, 1. 2) the parable of the lost penny and sheep – who makes him perform all kinds of miracles when the disciples of the Baptist came to him with the request of their Master, so that his answer: ״Go and tell John what you have seen and heard: the blind see’ and so on, (C. 7, 21. 22) is quite naturally justified – who by the remark: ״Master, so you also revile us’, makes the lawyer cry out woe over the lawyers (C. 11, 45. 46) – who by the exclamation of a man who sat at the table with the Lord: ״blessed is he who eats bread in the kingdom of God’, (C. 14, 15) makes the same thing clear. 14,15) – a historian who has created many more examples of this tautology and the pristine harmony between the occasion and the sermon of Jesus, must have known exactly on which occasion the Lord established the right formula for prayer: – it was when he had just prayed and one of his disciples asked him to teach them to pray (C. 11,1) as John also taught his disciples to pray. Just as John! – The holy historian drew this learning from the circumstance alone, that he wanted to communicate the prayer which corresponded to the Christian standpoint – he therefore had to place it in some distinction – in some distinction whatever it was – he fell upon the Baptist, because he wanted to place the Lord as teacher before his disciples. |
145 | Urlukas hatte das Gebet in einer seiner Quellen bereits vorgefunden. In der Urschrift, die der Compilator des jetzigen Lukasevangeliums seinem Werk zu Grunde legte, lautete der Anfang des Gebets: ״Vater, es komme dein heiliger Geist auf uns, es komme dein Reich” — dieses doppelte ״es komme”, ist nicht ursprünglich, nur das zweite ist natürlich und war von dem ersten Schöpfer des Mustergebets nach der Formel gebildet, mit der der Jesus des Marcus sein erstes Auftreten bezeichnete: ״das Himmelreich ist gekommen”. | Urlukas had already found the prayer in one of his sources. In the original manuscript on which the compiler of the present Gospel of Luke based his work, the beginning of the prayer read: ״Father, let your Holy Spirit come upon us, let your kingdom come’ – this double ״it is come’ is not original, only the second is natural and was formed by the first creator of the model prayer according to the formula with which the Jesus of Mark designated his first appearance: ״the kingdom of heaven has come’. |
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146 | Die Sorge. | The worry. |
146 | Aus dem Abschnitte, der (Matth. 6, 19 — 34) das Un- recht der irdischen Sorge bloßstellen will, haben wir wiederum zunächst einen fremden Eindringling auszuscheiden: — es ist der Spruch von^dem innern Licht, auf dessen Erhaltung Alles ankomme (V. 22. 23.) — ein Spruch, der mit der Sorge um die irdische Existenz sich nicht im Geringsten beschäftigt, auch nicht von der Theilung des Geistes zwischen entgegen- gesetzten Interessen, zwischen dem irdischen und himmlischen Interesse handelt, sondern es allein mit dem innern Verhält- niß des Geistes zu sich selbst zu thun hat. ״Wenn das Licht, das in dir ist, Finsterniß ist, wie groß wird die Finster- niß seyn” — d. h. wache darüber, daß der letzte und höchste Punkt, von dem in dir zuletzt alle Entscheidung und Selbstbe- stimmung ausgeht, als dieser Quell und als die letzte Zuflucht aller Wahrheit in seiner Reinheit erhalten werde. | From the passage which (Matth. 6, 19 – 34) wants to expose the injustice of earthly concern, we again have first of all to eliminate a foreign intruder: – it is the saying about the inner light, on the preservation of which everything depends (v. 22. 23.) – a saying which does not concern itself in the least with the division of the spirit between opposing interests. ) – a saying which is not in the least concerned with the care of earthly existence, nor does it deal with the division of the spirit between opposing interests, between earthly and heavenly interests, but is concerned only with the inner relation of the spirit to itself. If the light that is in you is darkness, how great will the darkness be” – i.e. watch over it that the last and highest point, from which all decision and self-determination ultimately emanates in you, is preserved in its purity as this source and as the last refuge of all truth. |
146/147 | Allein auch nach der Absonderung dieses Spruchs stehen noch nicht Sprüche desselben Gehalts und derselben Richtung zusammen. Wer sich dem Gesammteindruck des Abschnitts wirk- sich hingibt, für den ist es unzweifelhaft gewiß, daß die Sorge um die irdische Eristenz verboten werden soll; derjenige Theil des Abschnitts, der am fleißigsten und mit besonderer Vorliebe ausgearbeitet ist — ״seht die Vögel unter dem Himmel, schauet die Lilien auf dem Felde, sie säen nicht, sie arbeiten nicht und Gott ernährt sie doch, kleidet sie in ihre Pracht — o, ihr Klein- gläubigen!” (V. 25 — 31) — diese Ausführung ist so klar, daß ihr Zweck schlagend hervortritt. Wenn aber im Spruch, der unmittelbar vorhergeht, (V. 24) vom Mammonsdienft die Rede ist und darauf hingewiesen Wird, daß man nicht zwei Herren dienen könne, ist dann noch die Einheit des Thema bewahrt? Keineswegs! Der Weltdienst ist nicht die weltliche Sorge — diese hat immer das Noth dürftige im Auge, ist (V. 25) die Sorge um die Kleidung und Nahrung, jener be- zweckt die Fülle, den Reichthum als solchen. | But even after the separation of this passage, sayings of the same content and the same direction do not stand together. For those who really give in to the overall impression of the passage, it is undoubtedly certain that the concern for earthly existence is to be forbidden; that part of the passage which is worked out most diligently and with special preference – ״see the birds of the air, behold the lilies of the field, they do not sow, they do not work, and yet God feeds them, clothes them in their splendour – O ye of little faith! (vv. 25 – 31) – this statement is so clear that its purpose is strikingly evident. But when in the saying that immediately precedes (v. 24) mammon service is spoken of and it is pointed out that one cannot serve two masters, is the unity of the subject still preserved? Not at all! The worldly service is not the worldly care – the latter always has the needy in mind, is (v. 25) the care for clothing and food, the latter has the abundance, the riches as such in mind. |
147/148 | Der Spruch vom Mammonsdienst gehört nicht hieher. Lukas hat ihn wenigstens um Etwas besser gestellt, wenn er ihn an die Sprüche anfügte, die die Moral der Parabel vom unge- rechten Haushalter erläutern — aber vollkommen richtig hat er ihn auch nicht gestellt, da diese Moral vorher schon abgeschlossen, zu ihrer letzten Zuspitzung geführt und weder in der Pa- rabel selbst noch in den folgenden Nutzanwendungen vom Mammonsdienst die Rede war. Im Gegentheil! Die Verschleu- derung des Mammons wird angerathen und eben diese Ver- schleuderung als die treue und richtige Haushaltung mit dem Mammon bezeichnet. Lukas hat an dieser Stelle (C. 16,1 —12) einen gegebenen Stoff gewiß nicht in seiner ursprünglichen Klarheit und scharfen Ausarbeitung wiedergegeben, aber so viel geht doch noch aus seiner Darstellung unfehlbar hervor, daß der Haushalter, der mit fremdem Gut verschwenderisch umging und sich dadurch selbst das Lob seines Herrn erwarb, den Gläubigen als Vorbild dienen soll. Fremdes Gut verwaltete er — so sind auch die irdischen Schätze, die sie besitzen, nicht ihr Eigenthum, gehören sie nickt ihnen an, sondern dem Weltherrn, d. h. dem unheimlichen Geist, der der Erde angehört, das Zrdische schafft und die Weltgüter vertheilt. Der Haushalter ver- schleuderte das fremde Gut, — so sollen auch die Gläubigen handeln und die Schätze, die dieser Welt angehören, dahingeben. Er machte sich Freunde mit dem ungerechten Mammon — so sollen auch sie thun. Er entzog sich durch seine List der Verantwortung, die sein Herr von ihm verlanD?.— so sollen auch sie durch die Wegwerfung des Reichthumes sich die Aufnahme in die ewigen Hütten erwerben. Er war klug, wußte mit dem ungerechten Gut zu wirthschaften, hatte seinen Zweck im Auge und verstand es, ihn zu erreichen — so sollen auch sie nur Einen Zweck verfolgen, ganze Leute seyn, nur das Himmelreich im Auge haben und für diesen Zweck Alles, auch den Mammon dahingeben. Ihr Zweck ist aber unendlich höher als das, was der Haushalter mit seiner List bezweckte — im Vergleich mit den Gütern des Himmelreichs ist der Mammon nur etwas Geringes, ja, das Geringste, ohnehin etwas, das ihnen doch nicht eigentlich angehört: so ihr aber (V. 11. 12.) nicht im Geringsten treu seyd, wie wollt ihr es im Großen seyn? So ihr im Fremden nicht Treue übt, wer will euch geben, was euer ist? | The saying about the service of mammon does not belong here. Luke at least put it a little better when he added it to the sayings that explain the moral of the parable of the unjust steward – but he did not put it completely right either, since this moral had already been concluded beforehand, had led to its final culmination, and there was no mention of mammon service either in the parable itself or in the following uses. On the contrary! The dissipation of mammon is advised and this very dissipation is called the faithful and right stewardship of mammon. In this passage (C. 16,1 -12) Luke certainly did not reproduce a given material in its original clarity and sharp elaboration, but this much is still infallibly clear from his description, that the steward who lavishly handled other people’s goods and thereby earned himself the praise of his Lord, should serve as an example for the faithful. He administered other people’s goods – so the earthly treasures they possess are not their own, they do not belong to them, but to the world lord, i.e. the unearthly spirit who belongs to the earth, creates the earthly and distributes the world’s goods. The steward threw away the foreign goods, – so shall the faithful also act and give away the treasures that belong to this world. He made friends with the unjust Mammon – so shall they also do. By his cunning he evaded the responsibility which his Lord demanded of him – so shall they also, by throwing away riches, gain admission into the eternal tabernacles. He was clever, knew how to manage the unjust goods, had his purpose in mind and knew how to achieve it – so they too should pursue only one purpose, be whole people, have only the kingdom of heaven in mind and for this purpose give away everything, even mammon. But their purpose is infinitely higher than that which the steward aimed at with his cunning – in comparison with the goods of the kingdom of heaven, mammon is only something small, yes, the least, something anyway, which does not really belong to them: but if you (v. 11. 12.) are not faithful in the least, how will you be so in the great? If ye be not faithful in strangers, who will give you that which is yours? |
148 | So weit kann in die Darstellung des Lukas noch Zusammenhang gebracht werden, aber die Zuspitzung der Moral scheint in diesem letzteren Spruch von der Treue im Geringsten doch zu sehr ihre Vollendung erreicht zu haben, als daß nun noch (V. 13) der Spruch über den Mammonsdienst folgen könnte. So eben (V. 11. 12) war die Treue in der Verwaltung des fremden Mammon als das Kennzeichen hingestellt, woran man die Treue in der Verwaltung des himmlischen Eigenthums erkennen und erproben könne, wie kann nun von dieser Treue ohne weiteres zum Verbot des Dienstes übergesprungen werden? | So far, Luke’s account can still be connected, but the intensification of morality seems to have reached its completion in this last saying about faithfulness in the least, so that the saying about the service of mammon could not follow (v. 13). Just now (vv. 11, 12) faithfulness in the administration of other people’s mammon was presented as the characteristic by which faithfulness in the administration of heavenly possessions could be recognised and tested. |
148/149 | Es mag seyn: auch im Spruch vom Mammonsdienst (V. 13), in der Behauptung: ״ihr könnt nicht Gott sammt dem Mammon dienen”, mag immer noch die Moral der Parabel gezogen werden: wie jener Haushalter in der schrecklichsten Collision, die es für ihn geben konnte, sich als ganzer Mann bewies, der seinen Zweck fest im Auge behielt und sich dadurch aus dem Widerspruch seiner Verpflichtung und seiner wirk- lichen Haushaltung heraushalf — so sollt ihr auch in eurem zwiefachen Verhältniß zum Mammon und zu Gott nur den Einen Zweck, das Himmelreich im Auge haben. | It may be that even in the saying about the service of mammon (v. 13), in the assertion: ״You cannot serve God together with mammon. 13), in the assertion: ״You cannot serve God and mammon’, the moral of the parable may still be drawn: just as that steward, in the most terrible collision that could exist for him, proved himself to be a whole man who kept his purpose firmly in mind and thereby helped himself out of the contradiction of his obligation and his actual stewardship – so too, in your twofold relationship to mammon and to God, you should have only the One Purpose, the Kingdom of Heaven, in mind. |
149 | Aber Alles das ist nicht wirklich gesagt — die Zu- spitzungen der Moral übergipfeln sich — sie schießen über ein- ander hinaus, ohne daß auch nur Eine zur klaren Ausbildung gelangt — die Ruhe der Rückbeziehung fehlt — wir können aus einzelnen Anklängen auf den ursprünglich beabsichtigten Ge- danken schließen — aber nur schließen, denn der Zusammenhang ist nicht wirklich gegeben.
Kurz, Lukas war nicht der erste Former dieses Abschnitts. Er hat ihn nicht in seiner ersten Reinheit und Detaillirung wie- der gegeben und die Unklarheit des Eindrucks hat er wahr- scheinlich noch dadurch erhöht, daß er den Spruch vom Mam- monsdienst anfügte, weil in der Moral der Parabel auch vom Mammon die Rede war. |
But all of this is not really said – the sharpenings of the moral culminate – they shoot beyond one another without even one reaching a clear development – the calmness of the relation back is missing – we can infer the originally intended meaning from individual echoes – but only infer, for the connection is not really given.
In short, Luke was not the first shaper of this passage. He did not reproduce it in its first purity and detail, and he probably increased the ambiguity of the impression by adding the saying about the service of mammon, because the moral of the parable also spoke of mammon. |
149/150 | Nachdem der Spruch vom Mammon beseitigt, stehen die Sprüche, die sich in der Bergpredigt des Matthäus gegen die irdische Sorge richten, doch noch nicht in ihrem ursprünglichen Zusammenhang da. Wenn ein Schriftsteller die Sorge um Nahrung und Kleidung durch eine mit Vorliebe ausgearbeitete Hinweisung auf die Vögel und die Lilien des Feldes in ihrer Nichtigkeit bloßstellen will, wird er zwischen Eingang und Widerlegung noch einen Spruch anfügen, der von der beab- sichtigten Richtung ablenkt, seine eigne Zuspitzung hat und in seiner Weise die Sache erledigt? — alles das thut aber der Spruch V. 25: ״ist nicht das Leben mehr denn die Speise und der Leib mehr denn die Kleidung?” d. h. wird nicht der, der euch das Größere gegeben hat, auch das Geringere geben? Ja, der Spruch müßte eigentlich diese ausdrückliche Erläuterung und Zuspitzung durchaus noch haben — sie fehlt ihm aber nur deshalb, weil er in ein fertiges Ganze eingeschoben ist und der jenige, der ihn anfügte, recht wohl fühlte, daß diese vollendete Zuspitzung von den folgenden Sprüchen unwiderruflich ablenken und sie überflüssig machen würde. | After the saying about mammon has been removed, the sayings in Matthew’s Sermon on the Mount that are directed against earthly care are not yet in their original context. If a writer wants to expose the care for food and clothing by a fondly elaborated reference to the birds and the lilies of the field, he will add another saying between the introduction and the refutation, which distracts from the intended direction, has its own intensification and settles the matter in its own way? – But all this is done by the saying in v. 25: ״Is not life more than food? that is, will not he who gave you the greater also give you the lesser? Yes, the saying should actually still have this explicit explanation and intensification – but it is only missing because it is inserted into a finished whole and the one who added it felt quite well that this completed intensification would irrevocably distract from the following sayings and make them superfluous. |
150 | Ferner: nachdem die Kleingläubigen (V. 26) durch das Beispiel der Vögel beschämt sind und wahrend nun sogleich die Lilien des Feldes (V. 28) als Lehrer der wahren Sorglosigkeit auftreten müßten, folgt (V. 27) ein Spruch, der nicht nur diese Erwartung täuscht, den Fortgang aufhält, sondem auch in eine neue, also an diesem Ort fremdartige Nichtung fortrelßt: ״wer ist unter euch, der seiner Länge Eine Elle zusetzen möge, ob er gleich darum sorge”, d. h. wie es in der Parallelstelle des Lukasevangeliums erklärt wird (Luk. 12, 26): ״wenn ihr auch nicht das Geringste vermögt, warum sorgt ihr für das Uebrige” d. h. derjenige, der das Geringere vermochte, wird auch für das Uebrige sorgen.
Auch dieser Spruch ist also fremde Zuthat. Wenn nun endlich nach der beschämenden Verweisung auf das Beispiel der Vögel und Lilien ein ohnehin schon sehr voller Schluß kommt (V. 31 — 33), der das Thema noch einmal aufnimmt, die Kleingläubigen mit den Heiden zusammenstellt, sie daran erinnert, daß ihr himmlischer Vater wisse, was sie bedürfen, und das Neich Gottes und dessen Gerechtigkeit als den ersten Gegenstand ihres Strebens hinstellt, mit dem ihnen alles Andere als Zugabe zufallen werde — dann kommt der Spruch, der die Sorge in einer neuen Weise als unnütz bezeichnet V. 34 — ( ״sorget nicht für den andern Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe”) — viel zu spät. Das Thema ist in seiner Weise durchgeführt: — was nack- kommt, ist späterer Zusatz — eine neue Ausführung, die ihren eigenen Gang und ihre eigene Zuspitzung hat. |
Further: after the little believers (v. 26) are put to shame by the example of the birds, and whereas now immediately the lilies of the field (v. 28) should appear as teachers of true carelessness, there follows (v. 27) a saying which not only deceives this expectation, stops the progress, but also carries it away into a new, thus in this place strange, meaning: ״Who is there among you that may add a cubit to his length, though he be anxious about it’, i.e. as it is said in the parallel passage, ״Who is there among you that may add a cubit to his length, though he be anxious about it’? i.e. as it is explained in the parallel passage of Luke’s Gospel (Luk 12, 26): ״If you are not able to do the least, why do you take care of the rest’, i.e. he who was able to do the least will also take care of the rest.
This saying, too, is therefore an alien attribution. When, after the shameful reference to the example of the birds and lilies, there finally comes an already very full conclusion (vv. 31 – 33), which takes up the theme once more, places the little believers together with the heathen, reminds them that their heavenly Father knows what they need, and sets forth the kingdom of God and its righteousness as the first object of their striving, with which everything else will fall to them as an encore – then comes the saying which calls care useless in a new way v. 34 – ( ״sorrow do not care for another morning, for tomorrow will care for its own. for the morrow will take care of its own. It is enough that every day should have its own plague”) – much too late. The theme is carried out in its own way: -what comes naked is later addition – a new execution that has its own course and its own intensification. |
151 | Lukas kennt ihn nicht, während er die ganze Ausführung gegen die irdische Sorge in sein Werk ausgenommen hat (Luk. 12, 22 — 31) — die ganze, also dieselbe spätere Erweiterung der ursprünglichen Parallele der kleingläubigen Sorge mit der Sorglosigkeit der Natur. Justinus, dessen summarisches Eitat*) diese Parallele voraussetzt, deutet mit keinem Worte an, daß er in seiner Quelle in diesem Zusammenhänge jene späteren Zusätze gelesen hat.
Am Schluß seines Citats kommt er zwar auch zum Spruch vom Schatz, der das Herz des Menschen zugleich in sich schließt — jenem Spruch, der in der Bergpredigt des Matthäus voran- geht (V. 19 — 21), allein das beweist noch nicht, daß er in seinen Quellen diese Combination schon ausgeführt vorfand. Er verbindet auch in andern Citaten, was ihm dem Inhalt nach zusammengehörig schien. Es konnte ihm wie dem Matthäus gehen, der auch den Spruch vom Schatz, das Verbot, irdische Schätze zu sammeln, wohl anzubringen glaubte, wenn er ihm eine Ausführung, die die Sorge für die irdische Nothdurft verbot, voranstellte. Fand ihn Justinus wirklich schon in dem Zusammenhänge vor, den sein Citat behauptet — nun, dann enthielt seine Quelle auch schon eine Erweiterung der ersten, ursprünglich beabsichtigten Ausführung. |
Luke does not know it, while he has excluded the whole execution against the earthly care into his work (Luk. 12, 22 – 31) – the whole, thus the same later extension of the original parallel of the small faith care with the carelessness of nature. Justin, whose summary quotation*) presupposes this parallel, does not indicate with a word that he has read those later additions in his source in this context.
At the end of his citation, he comes to the saying about the treasure that encloses the heart of man – the saying that precedes Matthew’s Sermon on the Mount (vv. 19-21), but this does not prove that he already found this combination in his sources. He also combines in other quotations what seemed to him to belong together in terms of content. He could have been like Matthew, who also believed that the saying about the treasure, the prohibition of collecting earthly treasures, could be applied if he prefaced it with an explanation that forbade the care of earthly necessities. If Justinus really already found it in the context that his citation claims – well, then his source also already contained an extension of the first, originally intended version. |
151* | *) Apol. II., 63 | *) 1 Apol. 16. |
151/152 | Wir würden sagen: auch Lukas führt zu dem Schluß, daß ihm, wie dem Matthäus (und Justinus) eine Schrift vor- lag, in welcher der Spruch vom Schatz mit der Polemik gegen die irdische Sorge bereits verbunden war. Zm gegenwärtigen Lukasevangelium ist beides nämlich nur durch den Trostspruch an die ״kleine Heerde”, der der Vater ״das Reich” bestimmt habe (C. 12, 32), getrennt. Allein da Tertullian in seiner Streitschrift gegen Marcion diesen Spruch übergeht, so ist es wenigstens zweifelhaft, ob er sich schon in der Urschrift des Lukas vorfand. | We would say: Luke also comes to the conclusion that he, like Matthew (and Justin), had a scripture before him in which the saying about the treasure was already connected with the polemic against earthly care. In the present Gospel of Luke, both are separated only by the consolation saying to the ״small flock’ to whom the Father has ordained ״the kingdom’ (C. 12, 32). But since Tertullian passes over this saying in his argument against Marcion, it is at least doubtful whether it was already present in the original text of Luke. |
152 | Uebrigens würde Lukas auch dann noch sehr unzusammen- hängend componirt haben, wenn er diesen Sprnch vom Schatz nicht angefügt hätte. Bleibt der Spruch stehen, so fehlt jede Verbindung zwischen der Verheißung (V. 32), daß der himm- lischt Vater der kleinen Heerde das Reich geben wolle, und zwischen der Aufforderung, den himmlischen Schatz zu sam- mein, also erst zu schaffen. Fehlt der Spruch und folgt nach jener Verheißung sogleich die Aufforderung V. 35: ״lasset eure Lenden umgürtet seyn und eure Lichter brennen”, so kom- men wiederum zwei verschiedenartige, sich ausschließende Voraus- setzungen zusammen: jener Trostspruch will ״die Furcht” der kleinen Heerde beschwichtigen und widerlegen, diese Aufforderung richtet sich an gerüstete Knechte, die nicht wie die Heerde einen Winkel der Sicherheit suchen, sondern rüstig auf ihrem Posten stehen. | By the way, Luke would still have composed very incoherently if he had not added this saying about the treasure. If the saying remains, there is no connection between the promise (v. 32) that the heavenly Father will give the kingdom to the little host, and the call to gather the heavenly treasure, that is, to create it first. If the saying is missing and the promise is immediately followed by the injunction in v. 35: ״Let your loins be girded around you. let your loins be girded, and your lights be burning”, then again two different, mutually exclusive presuppositions come together: the comforting saying wants to calm and refute the “fear” of the small host, this exhortation is addressed to armed servants, who do not seek a corner of safety like the host, but who stand valiantly at their post. |
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152 | Schluß. | Conclusion. |
152 | Den Schluß haben zwar weder Matthäus noch Lukas im Sinn, wenn sie (Matth. C. 7, 1. Luk. 6, 37) zu dem Verbot des Richtens kommen, aber der Tumult der Zusammenhangslosigkeit wird in ihrer Compositlon so groß, daß ihr Werk schon vor dem Schluß sein Ende findet und zusammenbricht. | Neither Matthew nor Luke have the end in mind when they come to the prohibition of judging (Matth. C. 7, 1. Luk. 6, 37), but the turmoil of incoherence becomes so great in their compositlon that their work comes to an end and collapses before the end. |
152/153 | An den Spruch vom Richten, der mit der allgemeinen Moral schließt, daß das Maaß, mit dem der Mensch Andere mißt, zugleich der Maaßstab ist, den er für sich selbst ausstellt, (C. 6, 37. 38) fügt Lukas nur deshalb das Bild vom blinden Führer, mit jenem Spruch vom Nichten scheint ihm dieß Bild nur deshalb in Zusammenhang zu stehen, weil in beiden ein Verhältniß und die Abhängigkeit des Einen vom An- dern geschildert wird — er sieht also nicht, daß das Verhält- niß des blinden Führers zum Blinden etwas ganz Anderes ist als das Verhältniß, welches sich jeder selbst durch sein Be- nehmen gegen den Nächsten schafft, — er sieht nicht, daß die enge Verbindung, in welcher das Benehmen der Welt gegen uns mit unserm Benehmen gegen sie steht, mit dem gemein- samen Schicksal des Blinden und seines blinden Führers durchaus Nichts zu thun hat. | To the saying about judging, which concludes with the general moral that the measure with which a man measures others is at the same time the measure he sets for himself, (C. 6, 37. (C. 6, 37. 38) Luke only adds the image of the blind guide because it seems to him to be connected with the saying about the blind only because in both of them a relationship and the dependence of the one on the other is described – thus he does not see that the relationship of the blind guide to the blind is something completely different than the relationship that each person establishes for himself through his own behaviour, he does not see that the close connection between the behaviour of the world towards us and our behaviour towards it has absolutely nothing to do with the common fate of the blind man and his blind guide. |
153 | Nur der Umstand ferner, daß im Spruch vom Blinden des Führers gedacht wird, führt ihn aus den Spruch vom Jünger und Meister (V. 40), er sieht also nicht, daß es sich in dem letzteren: — ״der Jünger ist nicht über seinen Meister” — nur von der Schranke und dem einzig möglichen Ideal des Jüngers handelt. | Only the fact that in the saying about the blind man the leader is thought of leads him out of the saying about the disciple and the master (v. 40), so he does not see that in the latter: -״the disciple is not above his master’ – it is only about the barrier and the only possible ideal of the disciple. |
153/154 | Nachdem er endlich den Spruch vom Splitterrichten (V. 41. 42) gegeben, einen Spruch, der an das Verbot des Richtens (V. 38) anklingt, gibt er den Spruch vom Baum, der an seinen Früchten erkannt wird (V. 43. 44), und führt ihn dieser Gedanke, daß das innere Wesen sich im Erzeugniß dar stellt, zum Spruch vom Schatz des Herzens, von dessen Beschaffenheit (V. 45) die Natur jeder menschlichen Hervorbringung ab hängt, — er sieht nicht, daß im Spruch vom Baum die Frucht das Kriterium seiner innern Natur ist, im Spruch vom Schatz des Herzens aber die Unmöglichkeit, daß der Mensch in seinen Thaten das Gepräge seines innern Schatzes verläugnen könne, das Thema bildet. | Finally, after he has given the saying about judging with splinters (v. 41, 42), a saying that echoes the prohibition of judging (v. 38), he gives the saying about the tree that is known by its fruit (v. 43, 44), and this thought, that the inner being is represented in the produce, to the saying of the treasure of the heart, on the nature of which (v. 45) depends the nature of every human production, – he does not see that in the saying about the tree the fruit is the criterion of its inner nature, but in the saying about the treasure of the heart the impossibility of man’s deeds denying the character of his inner treasure forms the theme. |
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154 | Mit dem Verbot des Richtens (C. 7, 1) bringt Matthäus (V. 3 — 7) den Spruch vom Splitterrichten in unmittelbare Verbindung — aber mit Unrecht — mit um so größerem Unrecht, nachdem jenes Verbot schon zu dem allgemeinen Grundsatz geführt hatte (V. 2), daß der Mensch in dem Maaß, mit dem er Andere mißt, den Maaßstab für sich selbst aufstellt. Dieser Grundsatz orten tirt den Menschen über das Verhältniß, welches sich die Welt zu ihm gibt, klärt ihn darüber auf, daß er selbst der Schöpfer dieses Verhältnisses, daß es in dem Verhältniß, welches er sich selbst zur Welt gege- ben hat, schon enthalten ist; — der Spruch vom Splitterrichten dagegen soll den Menschen von einer falschen und unberechtigten Beziehung, die er sich zu Andern gegeben hat, einfach auf sich zurückführen. Der bloße Anklang, daß in beiden Sprüchen vom Richten die Rede, führte sie zusammen. | With the prohibition of judging (C. 7, 1) Matthew (v. 3 – 7) directly connects the saying about judging by splinters – but with injustice – with all the greater injustice, after that prohibition had already led to the general principle (v. 2) that man sets up the standard for himself in the measure with which he measures others. This principle informs man of the relation which the world bears to him, enlightens him to the fact that he himself is the creator of this relation, that it is already contained in the relation which he has given himself to the world; – the saying of splintering, on the other hand, is simply to lead man back to himself from a false and unjustified relation which he has given himself to others. The mere allusion, that both sayings speak of judging, brought them together. |
155 | Für den Spruch von den Perlen, die man nicht vor die Säue werfen solle (V. 6), findet sich im Vorhergehenden auch nicht der entfernteste Zusammenhang. Dagegen ist der Abschnitt über die Gewißheit der Gebetserhörung (V. 7 — 11) aller- dings durch einen Anklang hieher geführt, nämlich sein Eingang: ״bittet, so wird euch gegeben”, erinnerte den Matthäus an die vorhergehenden Sprüche von dem Gericht, welches sich der Mensch durch seine Beurtheilung Anderer, von dem Maaßstab, den der Mensch in dem Maaß, das er an Undre anlegt, für sich selber schafft. Der Compilator ließ sich durch den Anklang täuschen, daß in beiden Sprüchen die nothwendige Folge der gegedenen Voraussetzung gezogen wird — aber er sah nicht, daß im Spruch vom Maaßstab das gegenseitige Verhältniß zwi- sehen der Welt und jedem Einzelnen gedeutet, im Spruch von der Gebetserhörung die Gewißheit derselben zugleich darin begründet wird, daß der Vater im Himmel die Bitten der Sei- nigen um so mehr erhören wird, wenn die Selbstsucht, die sich sonst doch überall in den menschlichen Verhältnissen geltend macht, in der Familie und im Verhältniß des Vaters zu den Kindern vollständig zurücktritt. | The saying about pearls that should not be thrown before swine (v. 6) is not even remotely connected to the preceding passage. On the other hand, the passage about the certainty of the answer to prayer (vv. 7-11) is brought here by an allusion, namely its beginning: ״ask and it will be given to you’ reminded Matthew of the previous sayings about the judgement that man creates for himself by judging others, about the standard that man creates for himself in the measure that he applies to others. The compiler allowed himself to be deceived by the suggestion that in both sayings the necessary consequence of the imagined presupposition is drawn – but he did not see that in the saying about the standard of measure the mutual relationship between the world and each individual is interpreted, in the saying about the answer to prayer, the certainty of it is at the same time founded in the fact that the Father in heaven will listen all the more to the petitions of His own, if selfishness, which otherwise asserts itself everywhere in human relationships, completely recedes in the family and in the relationship of the father to the children. |
155/156 | Lukas hat den Spruch von der Gebetserhörung (C- 11, 9 — 13) an jene herrliche Gelegenheit angeknüpft, die seinen Herrn zur Aufstellung des Mustergebets brächte, und dem Schluß, der nothwendig so allgemein lauten mußte, wie ihn Matthäus seiner Quelle entnommen hat: ״um wie vielmehr wird euer himmlischer Vater, denen, die ihn bitten, Gutes geben”, die spe- cielle Wendung gegeben: um wie vielmehr wird er ihnen ״den heiligen Geist” geben. Daß er hier compilirt, beweist er selbst, wenn er seinen Herrn mit den Worten (V. 9): ״und ich sage euch auch”, zu dem Spruch übergehen läßt: — diese For- mel, die sein Jesus oft gebraucht, dient ihm nämlich als Klammer, um die Sprüche, die er seinen Quellen entlehnt, zu verbinden, und sie hat denselben Werth, wie seine historische Formel: ״und er sprach zu ihnen”, die er eben so oft anwendet, um den Redestoff, den ihm seine Quellen boten, einzuführen. | Luke linked the saying about the answer to prayer (C- 11, 9 – 13) to that glorious occasion which would bring his Lord to the establishment of the model prayer, and gave the conclusion, which necessarily had to be as general as Matthew took it from his source: ״How much more will your heavenly Father give good things to those who ask him? your heavenly Father will give good things to those who ask him”, the specific phrase: “how much more will he give them the Holy Spirit”. That he compiles here, he proves himself, when he leads his Lord with the words (v. 9): ״And I say unto you also’, to speak. This formula, which his Jesus often uses, serves him as a bracket to connect the sayings which he borrows from his sources, and it has the same value as his historical formula: ״And he spoke to them’, which he uses just as often to introduce the material offered to him by his sources. |
156 | Der Spruch, der nun in der Bergpredigt des Matthäus folgt (V. 12): ״Alles, was ihr wollt, daß euch die Leute thun, das thut ihr ihnen auch”, ist eine selbstftändige Größe, d. h. er ist schwerlich mit dem Spruch vom Maaßstab in Einem Zu– sammenhange entstanden. Dieser Spruch vom Gericht, welches der Mensch sich selbst schafft, handelt nämlich von der RückWirkung des Urtheils, welches der Mensch über Andere aus- spricht, auf ihn selbst, zeigt wie der Maaßstab, den er an Andere anlegt, sein eignes Maaß wird, geht also von der Beziehung aus, die der Mensch zu Andern sich gegeben hat — jener Spruch: ״was ihr wollt” dagegen holt die Norm für die eignen Handlungen nicht aus der Beziehung, die man sich zu Andern gegeben hat, sondern aus der Handlungsweise, die man von Andern verlangt — es handelt sich nicht um die Rückwirkung der eignen That, sondern um die Norm, die der eigne Wunsch aufstellt, um die Regel, die die Pretension an Andere der eignen Handlungsweise vorschreibt. Der Spruch vom Maaßstab handelt von der nothwendigen Folge des eignen Thuns — der Spruch: ״was ihr wollt” formt erst das eigne Thun nach der prätendirten Handlungsweise der Andern. | The saying that follows in Matthew’s Sermon on the Mount (v. 12): ״Just as you would have people do to you, is an independent quantity, i.e. it hardly originated with the saying about the standard of measure. This saying of judgment, which man creates for himself, deals namely with the repercussion on himself of the judgment which man pronounces on others, shows how the standard which he applies to others becomes his own standard, thus proceeds from the relation which man has given himself to others – that saying: ״what you will’, on the other hand, does not fetch the standard for his own actions from the relation which he has given himself to others. It is not a question of the repercussion of one’s own deed, but of the norm that one’s own desire sets up, of the rule that the pretension to others prescribes for one’s own conduct. The saying about the standard is about the necessary consequence of one’s own action. the saying: ״what you want’ only shapes one’s own own conduct according to the pretended conduct of others. |
156/177 | Der Spruch ist einer jener Versuche, das alte Gesetz auf seinen geistigen Sinn zu reduciren und in seiner Einheit zu erfassen, in denen sich sowohl die revolutionäre Kraft des neuen Princips, als auch sein Trieb zu gestalten und sein Verlangen nach einer positiven Fassung äußerten. Er gehört in jene Reihe, der der Spruch des Römerbriefs, daß die einzelnen Gebote des Gesetzes in dem Wort: du sollst deinen Nächsten als dich selbst lieben, sich zusammenfassen*) (Römer 43,9), und die AntWort Jesu auf die Frage nach dem vornehmsten Gebot (Marc. 42, 28—34) angehören. Nur Matthäus hat hier, in der Bergpredigt, den Zusatz: ״das ist das Gesetz und die Propheten”, wie auch er allein in der Antwort Jesu auf jene Frage (C. 22,40) den Zusatz hat: ״in diesen beiden Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten” — gewiß nicht sein Werk, sondern Eigenthum der -Quelle, die er benutzt hat. | The saying is one of those attempts to reduce the old law to its spiritual meaning and to grasp it in its unity, in which both the revolutionary power of the new principle and its urge to form and its desire for a positive version were expressed. It belongs to the same series as the saying in the Epistle to the Romans that the individual commandments of the law are summed up in the word: thou shalt love thy neighbour as thyself*) (Romans 43:9), and the answer of Jesus to the question about the noblest commandment (Mark 42:28-34). Only Matthew, in the Sermon on the Mount, has the addition: ״This is the law and the prophets’, as he alone has the addition in Jesus’ answer to that question (C. 22,40): ״In these two commandments hang all the law and the prophets’ – certainly not his work, but the property of the source he used. |
157* | *) ἀνακεφαλαιοῦται | *) ἀνακεφαλαιοῦται |
157/158 | Indem wir durch den Spruch von der engen Pforte (V. 43. 14) sogleich zu dem folgenden Abschnitt (V. 15—23) übergehen, den der Compilator für vollkommen zusammenhängend hielt, bemerken wir, daß sich in ihm drei selbstständige Größen von einander absondern. In der Warnung vor den falschen Propheten, die in Schaasskleidern kommen, inwendig aber reißende Wölfe sind (V. 45), ist der Gegensatz der des gleißn– rischen Scheins und der innern zerstörenden Natur — im Spruch (V. 24): ״nicht Alle, die zu mir sagen: Herr! Herr! werden ins Himmelreich kommen”, wird die Werkthätigkeit, die Erfüllung des göttlichen Willens im Gegensatz zum Munddienst gefordert. Zm dritten Spruch endlich (V.22.23), in welchem diejenigen als Uebelthäter verworfen werden, die sich auf die Thaten berufen, die sie im Namen des Herrn gethan haben, wird die Werkthätigkeit, werden die Ansprüche, die sich auf die ausgebreitetste Wirksamkeit im Namen des Herrn gründen, zu — ja, wozu in Gegensatz gestellt? Der Gegensatz fehlt — Matthäus ließ ihn aus, weil er diesen dritten Spruch mit den beiden vorhergehenden für Ein Ganzes sah und genug gethan zu haben glaubte, wenn er in ihnen, zumal in dem unmittelbar vorhergehenden (V. 21) den Gegensatz gegeben hatte. Er hielt den dritten Spruch für vollständig, indem er ihn durch den Gegensatz des zweiten im Stillen ergänzte — der Nachklang vom Gegensatz des zweiten beschäftigte ihn noch, als er den dritten Spruch hinschrieb, und ersetzte ihm den Gegensatz, der diesem durchaus nicht fehlen darf, aber eine andere Gestalt haben müßte. Wenn die Wirksamkeit, auf welche diejenigen, die am Ende verworfen werden, ihre Ansprüche gründen, so ausführlich beschrieben ist: ״haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haven wir nicht m deinem Namen Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Wunderthaten gethan?” — so müssen zuletzt diejenigen erwähnt werden, die im Gegensatz zu den Verworfenen, denen alle ihre Ansprüche Nichts helfen, zum Genuß der himmlischen Seligkeit gelangen. | By passing immediately through the saying of the narrow gate (vv. 43-14) to the following passage (vv. 15-23), which the compiler considered to be completely coherent, we notice that in it three independent quantities separate themselves from each other. In the warning against the false prophets, who come in show clothes, but inwardly are ravening wolves (v. 45), the contrast is that of the glittering appearance and the inwardly destructive nature – in the saying (v. 24): ״Not all who say to me, Lord! Lord! will enter the kingdom of heaven”, the work activity, the fulfilment of the divine will is demanded in contrast to the service of the mouth. Finally, in the third sentence (v.22.23), in which those are rejected as evildoers who refer to the deeds they have done in the name of the Lord, the work activity, the claims based on the most widespread activity in the name of the Lord, are contrasted with – yes, with what? The contrast is missing – Matthew omitted it because he saw this third saying as a whole with the two preceding ones and thought he had done enough when he had given the contrast in them, especially in the immediately preceding one (v. 21). He considered the third saying to be complete by silently supplementing it with the contrast of the second – the echo of the contrast of the second still preoccupied him when he wrote down the third saying, and replaced it with the contrast, which must not be lacking, but should have a different form. If the efficacy on which those who are rejected at the end base their claims, is described in such detail: ״ Have we not prophesied in your name? prophesied in thy name? Have we not cast out devils in your name? Have we not performed many miracles in your name? – so last of all those must be mentioned who, in contrast to the rejected, to whom all their claims help nothing, attain to the enjoyment of heavenly bliss. |
158/159 | Diesen Gegensatz las Justinus in seinen evangelischen DenkWürdigkeiten: — es sind die Gerechten, die wie die Sonne keuchten, während die Uebelthäter ins ewige Feuer geworfen werden*) — die Gerechten, die nach dem Zeugniß des Epiphanius auch in der Schrift des Urlukas den Verworfenen gegenüberstehen (Luk. 13, 28) und die erst der Compilator des gegenwärtigen Lukasevangeliums in die Erzväter und alle Propheten verwandelt hat — die Gerechten, die auch in einer spätern Stelle des Matthäusevangeliums leuchten, wo jener Schluß, der in der Bergpredigt ausfiel, (C. 13, 43) für die Parabel vom Unkraut benutzt ist. | Justin read this contrast in his evangelical treatises: – it is the righteous who shine like the sun, while the unrighteous are thrown into eternal fire*) – the righteous who, according to the testimony of Epiphanius, also stand opposite the rejected in the writing of Urlukas (Luk 13, 28). and whom only the compiler of the present Gospel of Luke changed into the arch-fathers and all the prophets. – the righteous, who also shine in a later passage of the Gospel of Matthew, where the ending of the Sermon on the Mount (C. 13, 43) is used for the parable of the tares. |
158* | *) Beiläufig! Im Citat des Justinus finden sich die Stichworte der Spruche des Matthäus und Lukas in ihrer ursprünglichen Vollständigkeit. Während die Übeltäter des Matthäus sagen: “haben wir nicht in deinem Namen geweissagt und in deinem Namen Dämonien ausgetrieben und in deinem Namen viele Wundertaten vcr- richtet?” — die Leute des Lukas (C. 13,26) dagegen: ״gegessen haben wir vor dir und getrunken und in unsern Straßen hast du gelehrt” – sagen die Uebelthäter des Justinus a. a. O.: ״haben wir nicht in deinem Namen gegessen und getrunken und Wundertaten verrichtet?”— Dial c. Tryph. p. 301: ״haben wir nicht in deinem Namen gegessen und getrunken und geweissagt und Dämonien ausgctricbcn?” Lukas hat den Spruch nicht glücklich geändert — nach der Fassung, die er ihm gegeben, berufen sich die Leute nur aus die Vertrautheit des Verhältnisses zwischen ihnen und Jesus — es kam aber darauf an, ihre Ansprüche, die sie in dem begründeten, was sie im Namen Jesu gethan hatten, zurückzuweisen. | *) Casually! In the citation of Justinus, the key words of the sayings of Matthew and Luke are found in their original completeness. While the evildoers of Matthew say: “have we not prophesied in thy name, and cast out demons in thy name, and wrought many miracles in thy name?” – the people of Luke (C. 13,26) on the other hand: ״have we eaten before thee, and drunk, and in our streets hast thou taught’ – say the evildoers of Justinus, loc. cit.: ״have we not eaten and drunk in thy name, and wrought miracles?”- Dial of Trypho Ch. 16: ״have we not eaten and drunk in thy name, and prophesied, and cast out demons?” Luke did not happily change the saying – according to the version he gave it, the people were only invoking the familiarity of the relationship between them and Jesus – but it mattered to reject their claims, which they founded in what they had done in the name of Jesus. |
159 | Die drei Gegensätze, die jeder ihre besondere Richtung und ihr besonderes Interesse haben, fand Matthäus in seiner Quellen- schuft schon in ihrer gegenwärtigen Verbindung vor — auch in ihrer Verbindung mit den Sprüchen von der Natur des Baums, die sich in seinen Früchten offenbart, und vom Endsckicksal des guten und faulen Baums. Auch Justinus fand sie in dieser Combination bereits in seinen Denkwürdigkeiten vor*) und trieb in seinen Citaten die Combination noch weiter, indem er auf eigne Hand in den Spruch von denjenigen, die ״im Namen” des Herrn Anspruch erheben, die Stichworte des Spruchs von der Schaafskleidung und der Wolfsnatur verwebte**). | The three opposites, each of which has its own special direction and interest, were already found by Matthew in his Sources in their present combination – also in their combination with the sayings about the nature of the tree, which is revealed in its fruits, and about the final fate of the good and the rotten tree. Justin also found them in this combination already in his Denkwürdigkeiten*) and in his Citates he pushed the combination even further by interweaving on his own hand into the saying of those who claim ״in the name’ of the Lord the keywords of the saying of the sheep’s clothing and the wolf’s nature**). |
159* | *) Apol. II. 64. Dial. c. Tryph. 253, 301.
**) a. a. O. p. 64, 253. |
*) 1 Apol. ch. 16. Dial. of Trypho 35.
**) op. cit. ch. 16, 35. |
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159/160 | Genug! Genug für die Erst über die Bergpredigt! Be- wiesen ist, daß Justinus weder die Schrift des Lukas, noch die des Matthäus benutzte, daß die beiden Letzteren Quellen benutzten, die mit den Denkwürdigkeiten des Justinus homogen sind — bewiesen ist, daß der Bergpredigt des Lukas aller Zusam- menhang fehlt, daß der Compilator Matthäus fremden Arbeiten seine störenden Bereicherungen aufdrang. Für die Erst genug. Einer spätern Untersuchung müssen wir die Beantwortung der Frage überlassen, welche Gestalt die Rede hatte, die zur Bergpredigt des Lukas und Matthäus ward, ob sie in den Quellen der beiden letzteren schon an einen bestimmten Anlaß geknüpft und welches am wahrscheinlichsten dieser Anlaß war | Enough! Enough for the first one about the Sermon on the Mount! It is proved that Justin used neither Luke’s nor Matthew’s writings, that the latter two used sources which are homogeneous with Justin’s memorabilia – it is proved that Luke’s Sermon on the Mount lacks all coherence, that the compiler Matthew imposed his disturbing enrichments on foreign works. Enough for now. We must leave it to a later investigation to answer the question of the form of the speech which became the Sermon on the Mount of Luke and Matthew, whether it was already linked to a certain occasion in the sources of the latter two, and which was the most probable occasion. |
160 | Wir werden jetzt den Plan, nach welchem die drei Synoptiker ihre Darstellung der öffentlichen Wirksamkeit Jesu anordnen, ins Auge fassen und den ursprünglichen Typus der evangelischen Geschichte aufsuchen, — zunächst bis zu dem Punkte, wo die letzte Katastrophe sich ankündigt (Marc. 6, 1) und die Vollendüng sich vorbereitet. | We will now look at the plan according to which the three Synoptics arrange their account of the public activity of Jesus and seek out the original type of the Gospel story – first of all up to the point where the last catastrophe announces itself (Marc. 6, 1) and the consummation prepares itself. |
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Neil Godfrey
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