2023-02-27

Ch 1 – The Raising of Lazarus

1.

Die Auferweckung des Lazarus.

1.

The raising of Lazarus.

165/166 Noch Einmal macht der Vierte eine verzweifelte Anstrengung, um die Ueberlegenheit seiner Darstellung über den synoptischen Geschichtskreis zu beweisen — das schien ihm viel zu einfach und gewöhnlich, wie hier, nachdem Zesus den jüdischen Herrschern den Bruch erklärt hatte, die Katastrophe eintritt, die Hohenpriester und Schriftgelehrten nämlich zwei Tage vor dem Pascha zusammentrrten, um zu berathen, wie sie ihn in einen Proceß auf Leben und Tod verwickeln könnten, den Plan aber bis nach dem Feste aufschieben, weil sie fürchten, das Volk möchte in Unruhe gerathen, wenn der Eklat während des Festes ausbräche, «nd erst als Judas ihnen versprach, Jesum heimlich zu überliefern, sich an die Ausführung begeben*) — bei mir dagegen, triumphirt der Vierte, in meiner Darstellung nur wird der Ausbruch der Katastrophe erklärlich, denn ich zeige, wie das Wunder der Auferweckung des Lazarus das ganze Bolk in dem Maaße aufregt, daß der hohe Rach die äußerste Gefahr zu befürchten hat und sich gezwungen sieht, Wirsem Menschen, der so viele Wunder thut” (C. 11, 47), an das Leben zu gehen. Once again, the fourth gospel makes a desperate effort to prove the superiority of its presentation over the synoptic accounts – that seemed too easy and ordinary to him. Here, after Jesus had declared his break with the Jewish rulers, the catastrophe occurs: the chief priests and scribes gather two days before Passover to discuss how they can involve him in a trial that would result in his death. However, they decide to postpone the plan until after the festival because they fear that the people might become restless if the scandal breaks out during the festival. Only after Judas promises to betray Jesus do they proceed with the execution. In contrast, the fourth gospel triumphs by explaining the outbreak of the catastrophe only in its presentation. It shows how the miracle of the resurrection of Lazarus so excites the whole crowd that the high council fears the worst and is forced to take action against the man who performs so many miracles (John 11:47).
165* *) Marc. 14, 1—11. Im Ganzen ist Matthäus dem Urbericht keu geblieben, nur Lukas konnte die Wichtigkeit des Incidenzpunktes, der mit dem verrath des Judas eintritt und dm Plan der Priester verändert, nicht hervortreten lassen, da er die Salbung in Bethanien, die vor dem Eintreten jenes Zncidenzpunktes geschah, ausläßt, somit Beides, die Berathung der Priester und das Anerbieten des Judas unmittelbar zusammenrückt (Luk. 22,1—S). *) In general, Matthew remained faithful to the original account, only Luke could not emphasize the importance of the incident point, which occurs with Judas’ betrayal and changes the priests’ plan. This is because he omits the anointing in Bethany, which happened before the incident point, thus bringing both the council of the priests and Judas’ offer together immediately (Luke 22:1-5).
166/167 Wirklich aber zu kämpfen ist der Vierte doch nicht im Stande — er kann also auch nicht triumphiren und während er mit der ängstlichen und unbeholfenen Mühseligkeit, die wir bereits oben geschildert haben, sein Lazarus-Wunder dazu benutzt, um den Einzug Jesu in Jerusalem in eine Einholung zu verwandeln, — während er, mit seiner neuen Entdeckung beschäftigt, es vollständig übersieht, daß Judas daran schuld war, daß der Plan der Priesterschast früher als die Verschworenen gehofft hatten, zur Ausführung kommen konnte — während er aus dem reichen Schatz seines Pragmatismus al- Motiv für die Verschwörung der Priester ihre Befürchtung hervorholt (C. 11,48), die Römer würden ihnen Land und Leute nehmen, wenn sie Jesum in seinem Laufe fortwirken und am Ende das ganze Volk gewinnen ließen — während er unsere Grschichtskenntniß durch die interessante Notiz bereichert (C. 11, 49—52), daß Kaiphas als der Hohepriester dieses Jahres, (als ob die hohepriesterliche Würde jährlich wechselte und ihrem jedesmaligen Träger die Gabe der Weissagung übertrug), vom prophetischen Geiste besessen war und kraft desselben den Opfertod Jesu weissagte, indem er der Furcht und Rathlosigkeit seines Collegium mit der Bemerkung — mit der zufällig einen tiefern Zusammenhang treffenden Bemerkung, es sey besser, daß Ein Mensch für das Volk (!) sterbe, als daß das ganze Volk sterbe, ein Ende machte — während er sich in dieser geistlosen Weife im Gewirre seiner neuen Entdeckungen verliert, muß er, um seine Beschämung zu vollenden, doch selbst wieder auf das unzveideutigste seine Abhängigkeit von der Anschauung und sogar von den Stichworten des synoptischen Geschichtskreises eingestehen! Während nach seiner Loraussetzung der Haß des Gegensatzes von vornherein entschieden ist und schon mehrere Mordaaschläge gegen den Herrn gerichtet waren, berichtet er uns auf einmal (C. 11, 53), daß sich „von jener Stunde an (als Kaiphas mit seinem Rath d«rchgedrv«grn war), die Priester verschworen, Jesum zu todten.” Er merke es also nicht, daß dieses verlorene Stichwort der synoptischen Darstellung sein ganzes bisheriges Werk als ein verfehltes bloßstellt. However, the Fourth Gospel is really not able to fight – therefore, it cannot triumph. While he uses his Lazarus miracle with the anxious and clumsy effort we have already described to turn Jesus’ entry into Jerusalem into a welcoming, he completely overlooks the fact that Judas was responsible for the fact that the plan of the priesthood could be executed earlier than the conspirators had hoped. While he extracts the motive for the priests’ conspiracy from the rich treasure of his pragmatism, their fear that the Romans would take away their land and people if they let Jesus continue on his course and ultimately win over the whole people, he enriches our knowledge of history with the interesting note that Caiaphas, as the high priest of that year (as if the high priestly office changed annually and transferred the gift of prophecy to its current holder), was possessed by the prophetic spirit and prophesied the death of Jesus by virtue of it. He put an end to the fear and helplessness of his colleagues with the remark – with the coincidentally relevant remark that it is better for one man to die for the people than for the whole people to perish. While he loses himself in the confusion of his new discoveries in this thoughtless way, he must, to complete his embarrassment, once again unequivocally admit his dependence on the view and even the keywords of the synoptic circle of history! While according to his assumption, the hatred of the opposition is already decided from the outset and several murder attempts had already been directed against the Lord, he suddenly tells us (John 11:53) that “from that hour on (when Caiaphas had pushed through his plan), the priests conspired to kill Jesus.” He does not realize that this lost keyword of the synoptic presentation exposes his entire previous work as a failure.
167 Und seine Lazarus-Geschichte — woher ist sie ihm zugekommen? Aus demselben synoptischen Geschichtskreise, den er widerlegen will, und aus seiner Kunst der religiösen Ironie. And where did he get his Lazarus story from? From the same synoptic circle that he wants to refute, and from his art of religious irony.
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167 Warum muß Jesus, als ihm die Schweflen des Lazarus die Erkrankung ihres Bruders melden lassen, die Antwort geben (C. 11, 4), „diese Krankheit ist nicht zum Tode”?

Soll dir Besorgniß der Schwestern eine grundlose sey»? Rein! den Zustand des Kranken sollen sie vielmehr mit Recht als einen verzweifelt« betrachten.

Oder hätte eine genauere Befragung der Boten dem Herrn Ausschlüsse geben können, die den Schwestern unzugänglich waren? Unmöglich! Die Boten find nur das Organ, durch welches diejenigen sprechen, die den Zustand des Kranken wirklich und vollständig kennen — sie find nur das Sprachrohr der Schwefletn und außerdem Nichts!

Why does Jesus, when the sisters of Lazarus send word to him about their brother’s illness, respond by saying (John 11:4), “This illness does not lead to death”?

Should the sisters’ concern be groundless? No! They should rightly view the condition of the sick man as desperate.

Or could a more detailed questioning of the messengers have given the Lord information that was inaccessible to the sisters? Impossible! The messengers are only the channel through which those who truly and completely know the condition of the sick man speak—they are only the voice of the sisters and nothing more!

167/168 Jesus kennt vielmehr das Ende der Krankheit — unmittelbar nach jenen Worten sagt er es selbst, sie würde „zur Berherrlichung Gottes dienen, damit durch sie der Sohn Gottes verherrlicht werde” — nachdem sie nämlich irdisch in den Lod verlaufen, wird sie für den Sohn Gottes zur unwiderlegüchen Offenbarung seiner Herrlichkeit der Anlaß werden. Rather, Jesus knows the outcome of the illness — immediately after those words, he even says that it would “serve to glorify God, so that the Son of God may be glorified through it” — after it has run its course on earth and resulted in death, it will become an irrefutable revelation of the glory of the Son of God.
168 Warum spricht er es also nicht offen aus, daß die Krankheit trotz ihres tödtlichen Verlaufs nicht im Tode endigen werde?

Will er die Schwestern schonen? Sie trösten? Wiederum unmöglich! Wie er das Ende der Krankheit von vornherein kennt, so weiß er es auch, wann er sich gür Besiegung des Todes und zur Offenbarung seiner Herrlichkeit auf den Weg machen müsse. Er weiß es, daß in dem Augenblick, wo die Boten bei ihm anlangen, Lazarus bereits dem Tode verfallen — er weiß es, daß er unmittelbar nach der Abreise der Boten gestorben ist — Einen Tag brauchten die Boten, um den Weg von Bethanien nach Peräa, wo er sich in diesem Augenblick befindet, zurückzulegen, — zwei Tage bleibt er noch an seinem jetzigen Aufenthaltsorte — erst am dritten Tage macht er sich nach Bethanien auf — er wußte es also, wann er abreisen müsse, wenn er seine Herrlichkeit wirklich glänzend offenbaren und einen Mann auferwecken wollte, der schon vier Tage in der Gruft liegt und bereits eine Beute der Fäulniß geworden ist — und er soll mit jener Antwort die Tröstung der Schwestern beabsichtigen? Unmöglich! War Lazarus schon todt, als die Boten zurückkamen, konnte somit von Krankheit nicht mehr die Rede seyn, so war die Antwort des Meisters für sie unnütz. Ein Wort über den Tod Hütte ihnen vielleicht Linderung ihres Schmerzes bringen können, aber nicht ein Wort über de» geringeren Kummer, der sie nicht mehr beschäftigte.

Oder wollte sie Jesus üben? Mit seinem dunklen Wort in einen heilsamen innern Kampf versetzen? Sehen, ob sie da- Richtige treffen würden?

So why doesn’t he openly state that despite the fatal course of the illness, it will not end in death?

Is he trying to spare the sisters? To comfort them? Again, impossible! Just as he knows the end of the illness from the beginning, he also knows when he must set out to conquer death and reveal his glory. He knows that at the moment the messengers arrive, Lazarus has already fallen into death – he knows that immediately after the messengers’ departure, Lazarus died. It took the messengers one day to travel from Bethany to Perea, where he is at this moment, and he will remain there for two more days. It is only on the third day that he sets out for Bethany. He knew when he had to leave if he really wanted to reveal his glory in a shining way and raise a man who has already been in the tomb for four days and has become a victim of decay – and he is supposed to intend to comfort the sisters with that answer? Impossible! If Lazarus was already dead when the messengers returned, and therefore there could no longer be any talk of illness, then the Master’s answer was useless to them. A word about death might have brought them relief from their pain, but not a word about the lesser sorrow that no longer occupied them.

Or did Jesus want to test them? To put them into a beneficial inner struggle with his cryptic words? To see if they would hit upon the right understanding?

169 Es war vielmehr nicht einmal die Möglichkeit eines Kampfs vorhanden, wenn er von Krankheit sprach — die Sache war entschieden — der Tod desjenigen, chen der Meister noch als einen Kranken betrachtete, hatte die Frage erledigt — ein Räthsel lag nicht mehr vor.

Warum spricht also Jesus von Krankheit, während er doch weiß, daß Lazarus in diesem Augenblick bereits dem Tod verfallen ist?

Weil der Tod für ihn nicht Tod — weil seine himmlische Sprache dem Lode nicht zugestehen kann, daß er Tod ist.

Warum folgt er aber diesem Sprachgebrauch, der ihm nur eigen und verständlich war, in einer Botschaft, die den Schwestern des Lazarus bestimmt war, die seine Jünger hörten und die von diesen nur nach dem menschlichen Sprachgebrauch aufs gefaßt und gedeutet werden konnte?

Um der Ironie willen, mit der das göttliche Wissen das menschliche betrachtet, mit der die göttliche Sprache die menschliche verspottet, um die Sicherheit des Göttlichen der Bekümmeriz niß und Schwäche desHello Menschen entgegenzusetzen, um das Göttliche in seiner Erhabenheit über menschliche Sorge und Empfindung darzustellen — um dieser göttlichen Ironie ihren Ausdruck zu geben, hat der Vierte dieses Wort seines Herrn gebildet.

Und benutzt hat er bei dieser großartigen Schöpfung das Wort, welches der Jesus des Urevangrliums von der Tochter des JairuS sagt: „das Kind ist nicht gestorben, sondern e- sch läft” — d. h. ein Wort, welches dazu bestimmt war, die fremde Neugierde von einem Wunder, welches er so eben verrichten wollte, fern zu halten, und welches mit allen Anstalten, die er vor der Verrichtung des Wunders trifft, in Einklang steht.

It was not even possible to have a struggle when Jesus spoke of sickness – the matter was settled – the death of the one whom the Master still regarded as sick had resolved the issue – there was no longer a riddle to be solved.

So why does Jesus speak of sickness when he knows that Lazarus has already succumbed to death?

Because for him, death is not death – because his heavenly language cannot allow death to be death.

But why does he follow this language, which was only his own and understandable, in a message intended for Lazarus’ sisters, which his disciples heard and which could only be understood and interpreted by them according to human language usage?

For the sake of irony with which divine knowledge views the human, with which divine language mocks the human, to oppose the certainty of the divine to the worries and weakness of humanity, to present the divine in its exaltation above human care and emotion – to give expression to this divine irony, the Fourth Gospel has created this word of its Lord.

And in this magnificent creation, he used the word which the Jesus of the earlier Gospel says about the daughter of Jairus: “The child is not dead but sleeping” – that is, a word intended to keep foreign curiosity away from a miracle that he was about to perform, and which is in line with all the preparations he makes before performing the miracle.

169/170 Einklang in seine Darstellung zu bringen, ist aber dem Vierten nicht möglich. Er will den Leser jetzt in die Situation einführen und fährt (V. 5) mit der Partikel des Gegensatzes fort: ,,es liebte aber der Herr die Martha und ihre Schwester und den Lazarus” die Liebe des Herrn zu jenem Hause soll im Grunde das folgende Wunder erklären und mit jener Partikel kommt es am Ende darauf hinaus, daß Jesus trotz jener Liebe noch zwei Tage in Peräa blieb und die Schwestern des Todten ihrem Schwere überließ. Bringing harmony into his narrative, however, is not possible for the Fourth [Gospel writer]. He now wants to introduce the reader into the situation and continues (v. 5) with the particle of contrast: “Now Jesus loved Martha and her sister and Lazarus.” The Lord’s love for that house is supposed to explain the following miracle, and with that particle, it ultimately comes down to the fact that despite that love, Jesus still stayed in Perea for two days and left the sisters of the dead man to their grief.
170 Mühsam und unbeholfen arbeitet sich der Vierte immer in die Situationen hinein — daß Jesus noch zwei Tage in Peräa blieb, bezeichnet er (V. 6) *) als die Folge seiner Liebe zum Haus des Lazarus — in der Verwirrung seiner Anschauung schwebt ihm nämlich Alles Folgende bis zum Schluß als Folge jener Liebe vor und durch die unglückliche Stellung der Folgrrungspartikei kommt es am Ende wieder auf di« ironische Wendung hinaus, daß Jesus, wie es sich von selbst verstand, in Peräa blieb, die Schwestern ihrem Kummer überließ und erst aufbrach, als es Zeit zu seiner Verherrlichung war.

Diese beiden ironischen Wendungen hat zwar der Vierte, ohne daß er klar darum wußte, auSgrführt — aber auch nur ein Schriftsteller, dem die Erhabenheit des Göttlichen über menschliche Berechnung, Angst und Liebe immer vor Augen steht, konnte so glücklich seyn, auch in der Bewußtlosigkeit seiner Composition und in der Verworrenheit seiner Combinationen Wendungen auSzuführen, die gleichfalls auf diese Erhabenheit Hinweisen.

The Fourth (Gospel writer) struggles laboriously and clumsily to get into the situations – he (V.6) characterizes Jesus staying in Perea for two days as a result of his love for Lazarus’ household – in the confusion of his perspective, he sees everything that follows until the end as a consequence of that love, and through the unfortunate placement of the particle of inference, it ultimately leads to the ironic turn that Jesus, as it naturally goes, stayed in Perea, left the sisters to their grief, and only set out when it was time for his glorification.

Although the Fourth has executed these two ironic turns without being aware of it clearly, only a writer who always keeps in mind the sublimity of the divine over human calculation, anxiety, and love could be so fortunate as to execute turns that also point to this sublimity, even in the unconsciousness of his composition and the confusion of his combinations.

170* *) οὖν *) οὖν
170/171 Auf einmal (V. 7) erfolgt der Aufbruch. Ohne zu bemerken, weshalb es jetzt nothwendig sey «nd was ihn dazu bewege, sagt Jesus zu den Jüngern: „laßt uns wieder nach Judäa aufbrechen!” Als hätte es nie einen Lazarus in der Welt gegeben, finden es die Letzteren unbegreiflich, daß Jesus wieder nach Judäa ziehen wolle, da ihn ja die Juden steinigen wollten — als hätte er noch nie ein Wort von einem Lazarus gehört, rechtfertigt Jesus seinen Aufbruch nach Judäa mit einem allgemeinen Grundsatz, dessen zweite Hälfte nicht einmal ein Subjekt hat, für welches er bestimmend seyn könnte. Suddenly (V. 7) they set out. Without explaining why it was now necessary and what prompted him to do so, Jesus said to his disciples, “Let us go back to Judea!” As if there had never been a Lazarus in the world, the disciples found it incomprehensible that Jesus would want to go back to Judea, since the Jews wanted to stone him. As if he had never heard a word about Lazarus, Jesus justifies his departure to Judea with a general principle, the second half of which does not even have a subject for which it could be determinative.
171 Sagt er nämlich in der ersten Hälfte der Spruchs (V.4): „find nicht zwölf Stunden deS Tages”, so ist er selbst derjenige, der dem Grundsätze folgt und zu folgen hat — die zweite Hälfte aber, die sogar nur Erläuterung und Ausführung der ersten ist: „wer am Tage wandelt, strauchelt nicht, weil er das Licht dieser Welt sieht” — wie kann sie für ihn paffen und einen Grundsatz bilden, da es für ihn keine Nacht geben kann, in der er zu straucheln befürchten dürfte? — für ihn, in dessen innerm Leben e- kein Schwanken zwischen Tag und Nacht gibt?

Wohl! Die zweite Hälfte muß den Jüngern gelten — aber warum sagt er es nicht? Warum hebt Jesus diese Beziehung nicht klar und deutlich hervor, was um so nöthiger gewesen wäre, da die erste Hälfte sich auf ihn bezieht und beziehen muß, nachdem sich die Jünger darüber verwundert hatten, daß er trotz der feindseligen Absichten der Juden nach Jerusalem wieder aufbreche» wolle?

Warum?

If he says in the first half of the verse (V.4): “There are not twelve hours in the day,” then he himself is the one who follows and must follow the principle – but the second half, which is even only an explanation and elaboration of the first: “Whoever walks during the day does not stumble, because he sees the light of this world” – how can it apply to him and form a principle for him when there can be no night for him in which he might fear stumbling? – for him, in whose inner life there is no wavering between day and night?

Well then! The second half must apply to the disciples – but why doesn’t he say so? Why doesn’t Jesus clearly and distinctly emphasize this relationship, which would have been all the more necessary since the first half relates to him and must relate to him, after the disciples were surprised that he would set out for Jerusalem again despite the hostile intentions of the Jews?

Why?

171/172 Weil der Werte zwei eng verbundene und doch sehr bestimmt gesonderte Wendungen des synoptischen Geschichtskreises nicht besser in sein Machwerk aufzunehmen wußte. Sein Jesus, wenn er zum letztenmale nach Jerusalem geht, befindet sich nämlich auf demselben Flecke, auf welchem der Jesus des Urevangeliums steht, wenn er seinen Lodesweg nach der Hauptstadt antritt — er wollte ihn daher, wenn dieser vor dem Ausbruche aus Galiläa von der nothwendigen Erfüllung seiner Aufgabe spricht und als ihn ein Jünger von dem Gedanken an seine Pflicht abmahnen wollte, seine Nachfolger vielmehr auf ihre Pflicht verwies (Marc. 8,31—38), von derselben Nothwendigkeit, der er selbst zu folgen hat, und von derselben Pflicht sprechen lassen, die er seinen Nachfolgern auflegte — er that eS aber fd ungeschickt, daß er beide Aeußerungen in Einen Spruch einzwängte, beide also auch in der Sinnlosigkeit dieses neuen Gebildes so entstellte, daß von ihnen nur noch ihr äußerlicher Anklang übrig geblieben ist. The author was unable to incorporate two closely related and yet very distinctly separated expressions from the synoptic circle of stories into his work. His Jesus, when he goes to Jerusalem for the last time, is in fact in the same place where the Jesus of the Ur-Gospel stands when he begins his journey to the capital city – he wanted to speak to his followers about the same necessity he himself had to follow and the same duty he imposed on his followers, when, before leaving Galilee, he spoke of it as a necessary fulfillment of his mission and, when a disciple warned him against the thought of his duty, directed his followers to their duty (Mark 8:31-38) – but he did it so clumsily that he squeezed both statements into one phrase, thus distorting both expressions in the meaninglessness of this new construction, leaving only their external resemblance intact.
172 Jetzt ist es auch klar, weshalb sein Jesus in diesem Augenblicke so spricht, als ob eS nie einen Lazarus gegeben habe: — es spricht aus ihm der Jesus des synoptischen Geschichtskreises, der noch Nichts von einem Lazarus weiß. Now it is also clear why his Jesus speaks in this moment as if there had never been a Lazarus: the Jesus of the synoptic tradition speaks through him, who knows nothing yet of Lazarus.
172/173 Nachher erst (V. 11) tritt wieder der Jesus des Bietten auf, der nach Judäa geht, um den Lazarus aufzuerwecken — der wahre Jesus des Metten, der mit der göttlichen Erhaben, heit seiner Sprache immer nur Mißverständnisse bewirken kann. Sein Wort: „unser Freund Lazarus schläft, aber ich gehe ihn aufzuwecken”, verstehen nämlich die Jünger wörtlich, aus dem Umstande, daß Lazarus schläft (!), schließen sie auf seine Wiedergenesung — ihr sinnvolles Mißverständniß soll nämlich dem Herrn die Gelegenheit dazu geben, sich in seiner ganzen Erhabenheit aufzurichten, es geradezu auszusprechen, daß Lazarus vielmehr todt ist, und den Jüngern seine Freude darüber zu eröffnen, daß er nicht da gewesen, weil sie nun glauben würden. Er spricht es also unverkennbar deutlich aus, daß er den Todten aufrrwecken werde — gleichwohl muß Thomas auch dieses Wort mißverstehen und zu seinen Mitjüngern sagen: „laßt uns, (wenn er durchaus nach Judäa will), auch gehen und mit ihm sterben” — der Mette ist nämlich in den hier völlig ungehörigen Gedankm an die Nähe d« Katastrophe zurückgefallen — Thomas muß demnach wieder so sprechen, als hätte es nie einen Lgzams gegeben und als hätte Jesus kein Wort darüber gesagt, daß er den Tod in Bethanien besiegen werde. Afterwards (v.11), the Jesus of John reappears, who goes to Judea to raise Lazarus – the true Jesus of John, who with his divine grandeur, can only cause misunderstandings with his language. His words, “Our friend Lazarus has fallen asleep, but I go to awaken him,” are literally understood by the disciples, inferring from the fact that Lazarus is sleeping (!) that he will be healed – their meaningful misunderstanding should give the Lord the opportunity to rise up in all his grandeur, to speak out that Lazarus is actually dead, and to reveal his joy to the disciples that he was not there, so that they would believe. He unmistakably speaks of raising the dead – nevertheless, Thomas must also misunderstand this word and say to his fellow disciples, “Let us also go, that we may die with him,” falling back on the entirely inappropriate thought of the proximity of the catastrophe – so Thomas must speak again as if there had never been a Lazarus and as if Jesus had never said anything about defeating death in Bethany.
173 ——– ——–
173 Wohlan! Jesus befindet sich endlich vor Bethanien. Der Leichnam liegt schon seit vier Tagen in der Gruft. Bei den Schwestern befinden sich, als wäre heute erst das Begräbniß, viele Juden, um sie zu trösten. Martha hört, man weiß nicht, woher, daß Jesus komme. Sie geht ihm entgegen, so daß sie ihn noch vor dem Orte trifft. Maria sitzt indessen daheim.

Also wirklich? Martha ist immer noch die geschäftige? Maria die sinnende, die indessen ruhig da sitzt?

Allerdings! Nur hat der Vierte, als er das Bild des Lukasevangeliums (C. 10, 38) copirte *), nur die äußere Haltung der Personen nachgezeichnet und nicht daran gedacht, ob dieselbe noch für den neuen Zusammenhang paßt, in dm er die Personen versetzt.

In ihrer Heimath ist Martha als die geschäftige auf dm Beinen, ab« in der Hauswirthschaft — Maria sitzt, aber zu den Füßen Jesu.

“Very well! Jesus is finally in front of Bethany. The body has been lying in the tomb for four days. Many Jews are with the sisters, as if it were still the day of the funeral, to comfort them. Martha hears, from an unknown source, that Jesus is coming. She goes to meet him so that she meets him before he reaches the village. Meanwhile, Mary is sitting at home.

Really? Is Martha still the busy one? And Mary the thoughtful one, who is sitting quietly at home?

Indeed! However, when the author of the fourth gospel copied the image from the Gospel of Luke (chapter 10, verse 38), he only reproduced the external posture of the characters and did not consider whether it still fits for the new context in which the characters are placed.

In their hometown, Martha is the busy one who is always on her feet, taking care of household matters. Mary, on the other hand, sits at the feet of Jesus.”

173* *) Wie schon bemerkt, können wir erst am Schlug uns«« Arbeit die Frage behandeln, ob er das Lukasevangelium selbst, oder nur dessen Quellen kannte und benutzte. *) As already noted, we can only address the question of whether he knew and used the Gospel of Luke itself or just its sources after we have completed our work.
173/174 Die Martha des Vierten läuft auch, aber nicht in die Küche, sondern zum Herrn — seine Maria sitzt auch, wird aber durch diese Versteinerung vom Herrn, zu dessen Füßen ihr Platz ist, fern gehalten. The fourth’s Martha also runs, but not into the kitchen, but to the Lord—his Mary is also seated, but this petrification keeps her away from the Lord, at whose feet her place is.
174 Es folgt nun (V. 21—27) rin Gespräch zwischen Martha und Jesus — ganz in jener tädiösen und ungelenken Weise, in der der Vierte alle seine Gespräche bildet, well der Zweck, dem sie dienen, immer nur dieselbe abstrakte Verherrlichung des Herrn ist und die Personen, die mit Jesus sprechen, des Verstandes und der Einheit ihres Bewußtseyns beraubt.

Sagt Martha im Eingang ihrer Anrede: „Herr, wärest du hier gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben”, so ist es klar, daß sie alle Hoffnung auf Hilfe hat fahren lassen — fährt sie unmittelbar darauf fort: „aber auch jetzt weiß ich, um was du nur Gott bitten wirst, das wird er dir gewähren”, so ist es unbegreiflich, wie sie auf einmal zu dieser Ueberzeugung von der Nähe der Hilfe kommt — gekostet sie sich darauf, als Jesus ihr nun wirklich versichert: „drin Bruder wird auf- erstehen”, allein der Auferstehung am jüngsten Tage, hat sie also ihre Hoffnung, die durch die Zusicherung Jesu nur noch belebt und gestärkt werden müßte, völlig vergessen, so ist die Sinnlosigkeit, in der alle Gespräche des Vierten verlaufen und verenden, vollendet — aber er hat seinen Zweck erreicht und die Person, die das Gespräch einleitete und durch ihr unmotivirtes Gerede im Gang erhielt, endlich so tief herabgedrückt, daß ihr Unverstand zur Erhabenheit des Herm die geeignete Folie bildet.

Dießmal hatte der Vierte noch einen besondem Zweck: — der Herr soll das Wunder am Lazarus verrichten, kein Mensch aber darf die Wiederbelebung eines Todten für möglich halten, damit der Entschluß zur That rein und allein von Jesus ausgrhe und seine Erhabenheit, die er in diesem Evangelium der Vollendung eifersüchtig bewahrt, unverletzt bleibe.

Now follows (verse 21-27) a conversation between Martha and Jesus – in the same awkward and clumsy manner in which the fourth gospel always presents its conversations, because the purpose they serve is always the same abstract glorification of the Lord, and the people who speak with Jesus are robbed of their understanding and unity of consciousness.

When Martha begins her address with the words “Lord, if you had been here, my brother would not have died,” it is clear that she has given up all hope of help. When she immediately continues, “but even now I know that whatever you ask of God, God will give you,” it is incomprehensible how she suddenly comes to this conviction of the nearness of help. If, when Jesus assures her, “Your brother will rise again,” she then forgets completely her hope, which should only be revived and strengthened by Jesus’ assurance, and focuses solely on the resurrection on the last day, the senselessness in which all conversations in the fourth gospel run and end is complete. However, he has achieved his goal and has finally pushed the person who initiated the conversation and kept it going with her unmotivated talk so far down that her lack of understanding serves as a suitable foil for the sublimity of the Lord.

This time, the fourth gospel had a special purpose – the Lord should perform the miracle of Lazarus, but no one must believe that the resurrection of a dead person is possible so that the decision to act remains pure and solely from Jesus and his sublimity, which he jealously preserves in this gospel of completion, remains unharmed.

174/175 Darum muß Marcha, als der Herr nach ihrem resignirtm Hinblick auf die allgemeine Auferstehung sich selbst die Auferstehung und das Leben nannte und sie nach einer geschraubten und tautologischen Ausführung dieses Thema’s fragte, ob sie glaube, „ja, antworten, ich glaube, daß du der Sohn Gottebist”, aber kein Wort sagen, was sich auf ihren Bruder bericht, und vielmehr, als wäre mit jenem flüchtig hingeworfenen Glaubensbekenntniß Alles abgethan, zu ihrer Schwester laufen, um sie zu rufen — darum muß fie, indem fie ihre Schwester zum Herrn schickt, kein Wort darüber sagen, daß nun die Hilfe für ihren Bruder gekommen sey — darum muß fie noch in dem Augenblick, als der Herr Anstalt macht, den Lazarus zu erwecken, sogar als er den Stein vom Grabgewölbe hinwegzunehmen gebietet, ihm entgegentreten und zu bedenken geben, daß jetzt Alles vergeblich sey, da Lazarus bereits seit vier Tagen im Grabe liegt und schon rieche. Therefore, when the Lord referred to himself as the resurrection and the life after Martha’s resigned look regarding the general resurrection, and asked her about this topic in a convoluted and tautological way, she had to answer, “Yes, Lord, I believe that you are the Son of God,” but say nothing about her brother. Instead, she had to run to her sister, as if with that fleeting confession of faith everything was done, and call her to the Lord. Therefore, when the Lord was about to raise Lazarus and even commanded the stone to be removed from the tomb, she had to interject and suggest that everything was now in vain since Lazarus had already been in the grave for four days and was already smelling.
175 Aber nicht nur Martha, auch alle Andern, die noch auftreten, müssen zur Ehre des Göttlichen die Sache des Lazarus aufgegeben haben, wenn Jesus zur That übergeht. Selbst Maria muß zu diesem Zwecke ihren Charakter, ihr ganzes Wesen verläugnen und als sie beim Herrn draußen endlich ankommt und ihm zu Füßen fällt, die Worte ihrer Schwester wiederholen: „wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben” (V. 32). Der Maria müssen sogar, als sie zum Herrn ging, die Juden folgen, und nachdem die beiden Schwestern ihre Meinung ausgesprochen hatten, unter einander bemerken: konnte er nicht, da er doch die Augen des Blindgeborene« geöffnet hat, auch machen, daß dieser nicht sterbe? But not only Martha, but also all the others who appear, must have given up on Lazarus’ case for the glory of the divine, when Jesus proceeds to act. Even Mary must deny her character, her entire being, for this purpose, and when she finally arrives at the Lord’s feet outside and falls down before him, she repeats her sister’s words: “If you had been here, my brother would not have died” (v. 32). Even the Jews must follow Mary as she goes to the Lord, and after the two sisters have expressed their opinions, they must remark to each other: “Could not he who opened the eyes of the blind man also have kept this man from dying?”
175/176 Nur Einmal hatte Martha (V. 22) so gesprochen, als ob fie auch jetzt noch auf Hilfe vom Herrn hoffe, diesen Gedanken mußte fie aber auch bald genug wieder vergessen, nachdem sie dm Vierten zu Liebe nur darum es gethan hatte, damit dieser seinen Herrn auf das Thema der Auferstehung bringen konnte. Martha had only spoken once (v. 22) as if she still hoped for help from the Lord, but she had to forget this thought soon enough, as she had only done it for the sake of the Fourth Gospel, so that it could bring up the topic of resurrection to its Lord.
176 Während nämlich der Schöpfer des Urevangelmms die Boraussetzung von der belebenden Kraft des Hauptes der Gemeinde in der Geschichte von des Jairus Tochter einfach und ohne weitere Reflexion plastisch verarbeitet hat — während derjenige, der die Antwort an die Boten des Täufers bildete, schon weiter ging und den Herrn auf die Todtenerweckungen als Beweis seiner Messianität sich berufen ließ, hat der Vierte die allgemeine Formel für jene belebende Mast des Messias gebildet und sie ihm im Augenblick vor einer Todtenemeckung in den Mund gelegt. While the author of the original gospel simply and without further reflection processed the assumption of the life-giving power of the head of the community in the story of Jairus’ daughter – and while the one who responded to the messengers of the Baptist went further and invoked the Lord’s raising of the dead as proof of his messiahship, the author of the fourth gospel formed the general formula for that life-giving power of the Messiah and attributed it to him in the moment before a raising of the dead.
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176 Für den Bierten war es aber noch nicht genug, daß Zesus thut, was die Irdischen für unmöglich gehalten hatten: — diesem Contrast zwischen der Stumpfheit der Andern und der hohen Macht des Herrn muß er vielmehr auch seinen reflectirten Ausdruck geben.

Als daher Jesus (V. 33) die Maria und die mit ihr an- gekommenen Juden weinen sah, ergrimmte er im Geist und fragte er — in welchem Tone, ist demnach klar — wo habt ihr ihn begraben?

Als die Juden jene Bemerkung machten, er hätte dem Lazarus doch auch helfen können, ward er wiederum grimmig, begab er sich nach dem Grabe und gebot — über den Ton kann wiederum kein Zweifel stattfinden — nehmt den Stein hinweg!

For the Fourth Gospel, it was not enough for Jesus to do what the earthly beings had considered impossible: he had to give his reflected expression to this contrast between the dullness of the others and the high power of the Lord.

Therefore, when Jesus (v. 33) saw Mary and the Jews who had come with her weeping, he became angry in spirit and asked – in what tone is therefore clear – where have you buried him?

When the Jews made that remark that he could have also helped Lazarus, he became angry again, went to the grave, and commanded – there can be no doubt about the tone – take away the stone!

176/177 Der Himmlische ergrimmt darüber, daß Alles ungläubig war — Niemand an die Möglichkeit der Lodtenerweckung auch nur dachte. Go ziemte es sich für ihn — die Stumpfheit der Irdischen darf er nicht nur durch die That widerlegen, sondern muß er auch durch den Unwillen, den sie ihm erregt, strafen. The heavenly one was angered that everyone was unbelieving and that no one even thought of the possibility of raising the dead. It was fitting for him to not only refute the dullness of the earthly ones through his actions, but also to punish them with the indignation they provoked in him.
177 Und doch weint er selbst? (V. 35) Er weint, obwohl die Thränen in den Augen der Maria und der Juden in demselben Augenblick seinen Unwillen erregt hatten? Er weint, obwohl der Tod des Lazarus für ihn nicht Tod war, obwohl er schon in Peräa an die Erweckung des Freundes dachte und sie so eben ausführen will?

Unmöglich! Derjenige, der sich von Anfang an darüber gefreut hat, daß er nicht dabei war, als Lazarus noch mit dem Tode rang, der von vornherein wußte, daß die Erweckung des Todten zu seiner eignen Verherrlichung dienen sollte — der konnte nicht weinen. Die Thräne ist nur die machtlose Reaction gegen ein Ereigniß, welches nicht mehr verändert und ungeschehen gemacht werden kann.

Das Weinen Jesu widerspricht allen Voraussetzungen des Berichts — natürlich! Es ist ein Zug, den der Vierte der Erzählung, die er für seine Lazarus-Geschichte benutzt, mechanisch, ohne die Folgen dieser Uebertragung zu ahnden, entlehnt hat. Der Jesus des Lukas nämlich wird (C. 7, 43) von tiefem Mitleiden ergriffen, als er dem Trauerzuge vor dem Thore Nains begegnete und die Mutter sah, die, eine Wittwe, ihrem einzigen Sohne zur Gruft folgte — hier ist der Schmerz des Mitgefühls erklärt und an seiner Stelle, im Evangelium dagegen, in welches ihn der Vierte übertragen hat, wird er durch die vorhergehenden kalten Predigten des Dogmatikers und durch das Ergrimmen des Wunderthätrrs über die Trauer der Andern verboten.

And yet he weeps himself? (v. 35) He weeps, even though the tears in the eyes of Mary and the Jews had just provoked his anger? He weeps, even though the death of Lazarus was not really death to him, since he was already thinking of raising his friend back to life in Perea and was about to do so?

Impossible! The one who from the beginning was glad that he was not there when Lazarus was still struggling with death, who knew from the outset that the raising of the dead would serve his own glorification – he could not weep. Tears are only a powerless reaction to an event that cannot be changed or undone.

Jesus’ weeping contradicts all the assumptions of the narrative – of course! It is a trait that the Fourth Gospel mechanically borrowed from the story he used for his Lazarus account, without anticipating the consequences of this transfer. In fact, Luke’s Jesus is deeply moved by compassion when he encounters a funeral procession outside the gate of Nain and sees the mother, a widow, following her only son to the grave (Luke 7:43) – here the pain of empathy is explained. Instead, in the Gospel into which the Fourth Evangelist has transposed him, Jesus’ weeping is forbidden by the preceding cold dogmatic sermons of the theologian and by the wrath of the miracle-worker over the sorrow of others.

177/178 Die mechanische Abhängigkeit des Vierten von seinen Originalen verzaubert also die Personen, die er darstellt, und gibt ihnen Züge und Haltung, die ihrer beabsichtigte« Metamorphose schlechthin widersprechen. The mechanical dependence of the Fourth Gospel on its originals thus enchants the characters it portrays and gives them features and attitudes that flatly contradict their intended transformation.
178 Nur durch eine gleiche Verzauberung war es auch möglich, daß Maria, die erst von Martha herbeigerufen wurde, den Herm (V. 30) noch auf demselben Flecke, draußen vor dem Orte findet, wo ihm ihre Schwester begegnet — im Lauf seines Kommens begegnet war. Der Herr des Vierten ist in der That nur dadurch zu dieser Versteinerung gekommen, weil sein Schöpfer an einem Zuge des Berichts, den er eopirte, so lange festhalten zu müssen glaubte, bis er das ganze Trauer-personale um ihn versammelt hatte. Der Vierte hat aber unnatürlichen Zauber angewandt, wahrend im Original, wo die Scene gleichfalls draußen vor dem Stadtthore ist, Alles natürlich verläuft. Lev Jesus des Vierten muß nach dem Gespräch mit der Martha bewegungslos stehen bleiben, bis Maria und die Juden kommen, wahrend der Jesus des Lukas, der so eben in Nain eintreten Will, vor dem Stadtthore dem Trauerzuge begegnet und auch anhält, oberenur so lange anhält, als zur wunderbaren Abwicklung der Geschichte nöthig ist. Jener Punkt, auf dem der Jesus des Vierten in seiner Versteinerung stehen bleibt, war daher schon von vornherein durch die Distanz vom Stadtthore bestimmt, in der Jesus dem Leichenbegängniß vor Nain begegnet — darum muß ihn Matthä, die ihm entgegengeht, als sie hört, daß er komme, immer noch draußen vor dem Orte treffen (V.20) — darum spricht der Vierte nachher (V. 30), wenn er wieder den Ort erwähnt, wo Martha Jesum getroffen, so schwankend und haltlos, daß das Entgegensetzen der Martha, diese dauernde Thätigkeit, zugleich die Begegnung, der Abschluß, das Zusammentreffen an jenem Otte ist. Only through a similar enchantment was it also possible for Mary, who was only called by Martha, to find the Lord (v. 30) in the same spot outside the town where her sister had encountered him – during the course of his arrival. The Lord of the Fourth has indeed been brought to this petrification only because his creator believed he had to cling to a feature of the report he copied until he had gathered the entire mourning cast around him. But the Fourth has applied unnatural enchantment, while in the original, where the scene also takes place outside the city gate, everything proceeds naturally. The Jesus of the Fourth must remain motionless after his conversation with Martha until Mary and the Jews arrive, while the Jesus of Luke, who is about to enter Nain, meets the funeral procession outside the city gate and only stops as long as necessary for the miraculous unfolding of the story. That point at which the Jesus of the Fourth stands in his petrification was therefore already determined from the outset by the distance from the city gate at which Jesus meets the funeral procession in Nain – this is why Martha, who goes out to meet him when she hears that he is coming, must still meet him outside the town (v. 20) – this is why the Fourth later (v. 30), when he again mentions the place where Martha met Jesus, is so uncertain and inconsistent that Martha’s opposition, this constant activity, is at the same time the encounter, the conclusion, the meeting at that place.
179 Kurz, Lazarus ist eine Metamorphose des Jünglings den Nain — seine Schwestern entsprechen der Mutter desselben Jünglings — die Juden, die das Traurrhaus in Bethanien anfüllen «nd die beiden Schwestern trösten, als sey heute der Begräbnißtag, die nachher, in der Meinung, sie wolle sich zum Grabe begeben und ihren Bruder beweinen, der Maria zum Herm folgen, bilden die nothwendige Dekoration der Begebenheit, damit jener leidtragende Haufe zugegen ist, der vor dem Thore von Nain Zeuge des Wunders war. Wie Jesus dem Jüngling von Nain zuruft: ich sage dir, stehe auf! so sagt er zu Lazarus: komme heraus, Lazare! Wenn Jesus den Jüngling von Nain seiner Mutter gibt, so befiehlt er, daß man den Lazarus von den Leichentüchern befreie, damit er zu den Seinigen herausgehen könne. Wie endlich der Bolkshaufe, der die Erweckung des Jünglings sah (Luk. 7, 16), Gott pries und in dem Herm einen großen Propheten erkannte, so sehen sich auch die Juden, die von dem Wunder am Lazarus Zeugen waren, zum Glauben gezwungen. In short, Lazarus is a metamorphosis of the young man from Nain – his sisters correspond to the mother of that same young man – the Jews who fill the mourning house in Bethany and console the two sisters, as if today were the day of burial, and later, thinking that they want to go to the grave and weep for their brother, Mary follows him to the tomb, forming the necessary decoration of the event, so that that suffering crowd is present, who were witnesses of the miracle in front of the gate of Nain. Just as Jesus calls out to the young man from Nain: “I tell you, get up!”, he says to Lazarus: “Come out, Lazarus!” When Jesus gives the young man from Nain to his mother, he commands that Lazarus be freed from the burial cloths so that he can go out to his own. Finally, just as the crowd that saw the young man being raised (Luke 7:16) praised God and recognized a great prophet in him, the Jews who were witnesses of the miracle of Lazarus are also compelled to believe.
179/180 Nur war es der Vierte seiner Ehre schuldig, wenn er dem synoptischen Geschichtskreis die Elemente zu seinem Werk entlehnte, einen Zug hinzuzufügen, der ihm den Ruhm der Meisterschaft, seinem Werk den Ruhm der Vollendung sicherte. Dieser vollendende Zug ist die Voraussetzung, daß Lazarus, als ihn der Herr ins Leben zurückrief, seit vier Tagen bereits ein Raub des Todes, also auch schon eine Beute der Verwesung war — derjenige, der den Jüngling von Nain wiederbelebt werden ließ, als er so eben zu Grabe getragen wurde, ist somit nun beschämt und der Urevangrlist, der in seiner Bescheidenheit und Behutsamkeit sich mit der Wiederbelebung eines Todten begnügtes der den Augenblick vorher einer Krankheit erlegen war, darf es Nicht einmal wagen, vor der Größe des historischen Meisters und Vollenders sein Auge aufzuschlagen. Ler Vierte hat ihn vernichtet. Only the fourth evangelist was obliged by his honor, when he borrowed the elements for his work from the synoptic circle of stories, to add a feature that would secure for him the fame of mastery and for his work the fame of completion. This completing feature is the premise that Lazarus, when the Lord called him back to life, had already been a victim of death for four days, and therefore also a prey of decay. The one who allowed the young man of Nain to be revived when he was just being carried to the grave is now ashamed, and the primary evangelist who, in his modesty and caution, contented himself with the revival of a dead man who had just succumbed to illness before his eyes, does not even dare to lift his eyes before the magnitude of the historical master and finisher. The fourth one has destroyed him.
180 Uebrigens hat der Vierte kein Recht dazu, sich darüber zu beschweren, daß wir sein Kunstwerk auflösen, indem wir es in die synoptischen Elemente zerlegen — er hat es vielmehr, wenn wir von den verrätherischen Widersprüchen seiner ganzen Darstellung absthen, zu guter letzt selbst zerstört und zwar mittelst derselben Ironie, die er als die Seele seiner neuen Schöpfung betrachtete. Dieser letzte zertrümmernde Schlag ist das Gebet, welches Jesus in jener pretenttösen Mitte an den Vater richtet, als man den Stein bereits von der Gruft entfernt hatte und ehe er dem Lazarus gebietet, herauszukommen — jenes Gebet, welches er laut, im Beiseyn der Leute zum Vater schickt und worin er ihm dankt, daß er ihn erhört habe — jenes Gebet, welches er am Schluß in Betreff seiner Person desavouirt und für ein bloßes Schaugebet erklärt, indem er dem Vater zürnst (V. 42), er habe es freilich nicht nöthig, Gebete an ihn zu richten, habe aber auch nur um der Leute willen gebetet, die zugegen seyen, damit sie glaubten, daß er ihn gesandt habe. Das Schaugeprängr dieses Gebets, welches auch die Andern sogar, um derentwillen es aufgeführt wird, kalt lassen muß, da sie seine Absicht erfahren, ist nur die äußerste Uebertreibung der ironischen Coittraste, in denen der Vierte das pulsirende Leben seines Werkes sah, die in der That aber nur dessen Unnatur beweisen und seine klägliche Auflösung vollenden.

Wäre es aber wirklich möglich? Lazarus keine historische Person? Diese Bestimmtheit des Namens! Seine Schwestern selbst genannt! Sein Wohnort in Bethanien! Seine Schwestern unmittelbar nach seiner Erweckung bei der Salbung thätig! Und keine historische Person?

By the way, the Fourth Gospel has no right to complain that we are dissolving its work by dissecting it into synoptic elements – rather, if we disregard the treacherous contradictions of its entire portrayal, it destroyed itself in the end, through the same irony that it considered the soul of its new creation. This final destructive blow is the prayer that Jesus addresses to the Father in that pretentious middle part, when the stone had already been removed from the tomb and before he commands Lazarus to come out – that prayer which he loudly sends to the Father in the presence of the people and in which he thanks him for having heard him – that prayer which at the end he disavows in regards to his person and declares as a mere show prayer, by angrily telling the Father (V. 42) that he did not really need to pray to him, but did so only for the sake of the people who were present, so that they would believe that he had sent him. The pretense of this prayer, which even the others must feel cold towards, once they understand its purpose, is only the ultimate exaggeration of the ironic contrasts in which the Fourth Gospel saw the pulsating life of its work, which actually prove only its unnaturalness and complete dissolution.

But could it really be possible? Lazarus not a historical person? The specificity of his name! His sisters mentioned by name! His place of residence in Bethany! His sisters actively involved in his anointing immediately after his resurrection! And he is not a historical person?

180/181 Was seinen Namen betrifft, so hat er ihn rein und allein der Sinnesänderung Abrahams zu verdanken, der sich endlich doch noch anders besonnen und ihn auf die Erde zurückgeschickt hatte. Der reiche Mann rief ihm einstens aus der Hölle zu, er möge den Lazarus zu seinen fünf Brüdern schicken, damit er ihnen Zeugniß ablege und sie in sich gingen: „denn wenn einer von den Todten zu ihnen kommt, so werden sie Buße thun.” „Nein, hatte Abraham geantwortet, wenn sie Mosen und die Propheten nicht hören, so werden sie auch, wenn einer von dm Todten aufersteht, nicht glauben” (Luk. 16, 27—31). As for his name, he owes it solely and entirely to Abraham’s change of heart, who eventually reconsidered and sent him back to earth. Once, the rich man called out to him from hell, asking him to send Lazarus to his five brothers to testify to them and make them repent: “For if someone from the dead goes to them, they will repent.” “No,” Abraham replied, “if they do not listen to Moses and the prophets, they will not be convinced even if someone rises from the dead.” (Luke 16:27-31)
181 Abraham hat sich also doch noch anders besonnen und da er sah, daß die Auferstehung Christi den Glauben nicht erzwingen konnte, es doch nicht für unnütz gehalten, den Lazarus wieder unter die Lebenden zu schicken, damit sie Buße thäten. Vielmehr der Vierte hat zu diesem heiligen Zweck — aber trotz der Warnung und weisen Bemerkung Abrahams — den Lazarus citirt. Lazarus, die Metamorphose des Jünglings von Nain, ist zugleich ein Revenant.

Und seine Schwestern? Der Vierte hat es aber schon bewiesen, daß er nicht der Mann dazu war, sie ihrem Ursprünge lichm Charakter gemäß aus ihrer Heimath auf den Boden seines Werks zu versetzen, und wmn er sie bei der Salbung in Bethanien auftretm läßt, so wird er diese Bereicherung der Geschichte alsbald selbst wieder zerstören.

Therefore, Abraham eventually changed his mind and, seeing that the resurrection of Christ could not force belief, he did not consider it useless to send Lazarus back among the living so that they could repent. In fact, it was the Fourth Gospel writer who, despite Abraham’s warning and wise remark, brought Lazarus back to life for this holy purpose. Lazarus, the metamorphosis of the youth of Nain, is at the same time a revenant.

And what about his sisters? The Fourth Gospel writer has already proven that he was not the man to transport them from their homeland to the setting of his work, according to their origins and character. And if he lets them appear at the anointing in Bethany, he will soon destroy this enrichment of the story himself.

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Neil Godfrey

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