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4.Die Vorgeschichte des Matthäus. |
4.The prehistory of Matthew. |
314/316 | Jn zwei Formen konnte sich die Anschauung von dem Wunder der Empfängniß Jesu darstellen. Das Wunderbare wurde entweder durch die Engelsbotschaft an die Jungfrau einfach angekündigt, das Auffallende, daß eine Jungfrau, die noch von keinem Manne wußte, schwanger wurde, im Voraus gedeutet und die Umgebung derMaria, soweit sie bei der Angelegenheit interessirt war, durch die Voraussetzung des Schriftstellers, daß dasjenige, was ihm und dem Leser klar, bekannt und durchsichtig ist, fur Alle, die es angeht, offen daliegt, in das Geheimniß gezogen. Diese Voraussetzung, die den Personen dieser idealen Welt das Vorrecht mittheilt, gleichsam somnambül zu seyn und ohne verständige Vermittlung ihrer umgebung ins Jnnere zu schauen, hat es in der Darstellung des Lukas bewirkt, daß Joseph neben der Maria so ruhig und unbefangen dasteht, als verstände es sich von selbst, daß ihm die Schwangerschaft und Niederkunft seiner Frau als die natürliche Folge des himmlischen Wunders erschienen sey. Als aber einmal die Scene fettig war, konnte die Reflexion hinzutreten und die Sicherheit jener Voraussetzung stören. Der Thatbestand blieb, daß Maria ihrem verlobten Manne von der Engelsbotschaft Nichts sagte — aber dagegen konnte die Frage entstehen, wie es möglich war, daß Joseph in diesem Falle sich so ruhig in die Schwangerschaft seiner Frau fand. Der Glaube ist ferner seiner eignen Natur nach bedenklich, da er das Bedürfniß der natürlichen Vermittlung niemals vollständig unterdrücken kann, und seine innern Bedenken treten ihm außerdem auch als die Einwürfe des offenen unglaubens entgegen. So wie das Wunder von ihm geboren, hat er es auch gegen diesen doppelten Zweifel zu vertheidigen und namentlich mußte er schon frühzeitig hören, daß es unmöglich sey, daß eine Jungfrau ohne Mann empfangen könne. Kam es nun darauf an, diesen Zweifel, diesen Einwurf zurückzuschlagen und in der plastischen Geschichtsform selbst als nichtig darzustellen — welche Person war dazu geeigneter, als Joseph, der Verlobte der Maria, der in dieser Frage am meisten interessirt war? War das Wunder nicht auf authentische Weise dem Zweifel entrückt, wenn Joseph daran Anstoß nahm, als er Maria unter Umständen, wo sie es noch nicht seyn durfte, schwanger fand, wenn ihm das Bedenkliche vom Engel des Herrn selber gedeutet wird und wenn er durch die Himmelsbotschast beruhigt seine Frau, die er schon entlassen wollte, vor der Welt anerkennt? | The view of the miracle of the conception of Jesus could be presented in two forms. The miraculous was either simply announced by the angel’s message to the virgin, the striking fact that a virgin, who did not yet know of any man, became pregnant, was interpreted in advance, and the surroundings of Mary, as far as they were interested in the matter, were drawn into the secret by the presupposition of the writer that what is clear, known and transparent to him and the reader, is open to all whom it concerns. This presupposition, which gives the persons of this ideal world the privilege of being, as it were, somnambulistic and of looking into the inside without any understanding mediation of their surroundings, has caused in Luke’s depiction that Joseph stands next to Mary so calmly and impartially, as if it were self-evident that the pregnancy and birth of his wife appeared to him as the natural consequence of the heavenly miracle. But once the scene was ready, reflection could enter and disturb the certainty of that presupposition. The fact remained that Mary did not tell her betrothed husband about the angel’s message – but against it the question could arise how it was possible that Joseph found himself so calm in the pregnancy of his wife in this case. Faith is also questionable by its own nature, since it can never completely suppress the need for natural mediation, and its inner doubts also confront it as the objections of open disbelief. As the miracle was born of him, he also had to defend it against this double doubt, and especially he had to hear early on that it was impossible for a virgin to conceive without a man. If it was now necessary to repel this doubt, this objection, and to present it as null and void in the plastic form of history itself – which person was more suitable for this than Joseph, the fiancé of Mary, who was most interested in this question? Was the miracle not authentically removed from doubt when Joseph took offense at it, when he found Mary pregnant under circumstances where she was not yet allowed to be, when the doubtful thing is interpreted to him by the angel of the Lord himself, and when he, reassured by the heavenly messenger, acknowledges his wife, whom he already wanted to dismiss, before the world? |
316/317 | Diese letztere Darstellung, die den Joseph zum Mittelpunkt des Jntereffes macht und sich um die Widersprüche, die durch diese neue Durchführung des Dramas mit der Darstellung des Lukas entstehen, nicht kümmert, findet sich in der Vorgeschichte des Matthäusevangeliums und ein Ausdruck, auf den sie großes Gewicht legt, beweist ihren späteren Ursprung. Joseph heißt nämlich ein gerechter Mann, weil er die Maria, als er an ihrer Schwangerschaft Anstoß nahm, nicht öffentlich ihrer Schande preisgeben, sondern den Ausweg der heimlichen Entlassung einschtagen wollte. Diese Gerechtigkeit aber, die ihm zugeschrieben und an ihm gerühmt wird, ist nicht die gesetzliche, sondern entsprach den Anforderungen, die ein späterer Standpunkt an ihn stellte und auf dem es ganz andere Pflichten als auf dem Boden des Gesetzes zu erfüllen gab. Nicht deshalb wird er gerecht genannt, weil er ein Mann war, der auf strenge Sitte hielt und durch die Entdeckung, die er an seiner verlobten Frau machte, so verletzt wurde, daß er sich zur Ausübung seines gesetzlichen Rechts getrieben, fühlte — deshalb im Gegentheil, weit er nicht den Weg Rechtens gehen, sondern so schonend wie möglich verfahren und seine Frau nicht der öffentlichen Schande aussetzen wollte, die dem Gerichtsverfahren gefolgt wäre. Er war gerecht, weil er trotz der scheinbaren Kränkung, die er erfahren, auf die Strenge des Gesetzes Verzicht leistete und statt seine Ehre zu rächen, dem geheimen Zug des Geistes folgte, der ihm gebot, nicht zu weit zu gehen und das Geheimniß Gottes nicht der gerichtlichen untersuchung zu unterwerfen. Kurz, er ist gerecht, weit er die Anforderungen erfüllte, die die spätere christliche Anschauung und sein Verhältniß zur Mutter des Heilandes — wenn er es auch noch nicht kannte — an ihn stellten. Er ist der spätere Zweifler, — aber der rechte, nicht der durchschlagende, starre und die Sache zur Spitze treibende, sondern der behutsame Zweifler, dessen Vorsicht daher durch die göttliche Offenbarung belohnt wurde. Als dieser Zweifler, wie ihn die spätere Anschauung haben wollte, konnte er Anstoß nehmen, als er seine Frau, ohne den urheber zu kennen, schwanger fand, er konnte auch seinen Zweifel so weit treiben, daß er endlich den Entschluß faßte, sie zu entlassen, aber nimmermehr durste er es soweit kommeu lassen, daß sie der Gegenstand der öffentlichen Nachrede und das himmlische Mysterium in eine weltliche untersuchung gezogen wurde. Er hielt das Maaß inne, welches ihm der Christ vorschrieb — darum wurde sein Zweifel die Quelle der Gewißheit. | This latter representation, which makes the Joseph the center of the interest and does not care about the contradictions that arise from this new execution of the drama with the representation of Luke, is found in the prehistory of the gospel of Matthew and an expression on which it puts great weight proves its later origin. Joseph, in fact, is called a righteous man because, when he took offense at Mary’s pregnancy, he did not want to publicly expose her to her disgrace, but rather to take the way out of it by secretly dismissing her. This righteousness, however, which is attributed to him and praised in him, is not the legal one, but corresponded to the requirements which a later point of view placed on him and on which there were completely different duties to fulfill than on the ground of the law. He is not called just because he was a man who held to strict morals and was so hurt by the discovery he made about his betrothed wife that he felt driven to exercise his legal right – therefore, on the contrary, he did not want to go the way of right, but to proceed as gently as possible and not expose his wife to the public disgrace that would have followed the legal proceedings. He was just because, in spite of the apparent insult he experienced, he renounced the severity of the law and, instead of avenging his honor, followed the secret trait of the spirit that commanded him not to go too far and not to subject the mystery of God to judicial investigation. In short, he is just, as far as he fulfilled the demands that the later Christian view and his relationship to the mother of the Savior – even if he did not know it yet – made on him. He is the later doubter, – but the right one, not the resounding, rigid one who takes the matter to extremes, but the cautious doubter, whose caution was therefore rewarded by the divine revelation. As this doubter, as the later view wanted him to be, he could take offense when he found his wife pregnant without knowing the originator, he could also push his doubt so far that he finally decided to dismiss her, but he never wanted it to come so far that she became the object of public gossip and the heavenly mystery was dragged into a worldly investigation. He kept the measure which the Christian prescribed to him – therefore his doubt became the source of certainty. |
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317 | Jn eine spätere Zeit und auf einen entwickelteren Standpunkt führt auch der weitere Verlauf der Vorgeschichte des Matthäus. | The further course of Matthew’s prehistory also leads to a later time and to a more developed point of view. |
317/318 | Während die des Lukasevangeliums den Messias als den Wiederhersteller JsraelS feiert und die Darstellung demgemäß nur jüdische Localfarben gebraucht, die Geburt Jesu z. B. an der des Täufers, des Abbildes des EliaS, der Wein und Most nicht trinken soll, ihre Parallele hat, der Messias sogar durch die Bande der Verwandtschaft mit dem Täufer, dem alttesta- mentlichen Propheten, verknüpft ist, der Engel in seiner Botschaft an die Jungfrau ihn als denjenigen bezeichnet, dem Gott den Thron Davids und die königliche Herrschaft über das Haus Jakobs bestimmt habe (C. 1, 32), während Israel und David in den Lobgesängen des Zacharias und der Maria die bevorzugten Kinder Gottes sind (C. 1, 54. 68.) und selbst, dann, wenn die Darstellung dieser Vorgeschichte ihren Höhepunkt erreicht, nämlich Simeon dem Messias als „dem Licht, welches zur Erleuchtung der Heiden bestimmt ist,” huldigt, diese Erweiterung der Offenbarung auf alle Völker der Welt, zugleich als die Verherrlichung des Volkes, welches Gott eigenthümlich angehört, gefaßt wird”), — hat die Vorgeschichte des Matthäus von vornherein ein universalistisches Jntereffe und ist das Erste, was dem Jesuskinde widerfährt, die Huldigung, die die Magier, die Repräsentanten des Heidenthums, ihm darbringen. | While that of the Gospel of Luke celebrates the Messiah as the restorer of Israel and the representation accordingly uses only Jewish local colors, the birth of Jesus e.g. has its parallel in that of the Baptist, the image of Elijah, who should not drink wine and must[?], the Messiah is even linked by the ties of kinship with the Baptist, the Old Testament prophet, the angel in his message to the virgin calls him the one to whom God has destined the throne of David and the royal rule over the house of Jacob (C. 1, 32), while Israel and David are the favored children of God in the hymns of Zacharias and Mary (C. 1, 54. 68. ) and even, then, when the account of this prehistory reaches its climax, namely Simeon pays homage to the Messiah as “the light destined to enlighten the Gentiles,” this extension of the revelation to all the peoples of the world, at the same time as the glorification of the people, The prehistory of Matthew has from the outset a universalistic effect and the first thing that happens to the infant Jesus is the homage that the magi, the representatives of the Gentiles, pay to him. |
318* | *) Luk. 2, 32 φῶς εἰς ἀποκάλυψιν ἐθνῶν καὶ δόξαν λαοῦ σου ἰσραήλ | *) Luke 2:32 φῶς εἰς ἀποκάλυψιν ἐθνῶν καὶ δόξαν λαοῦ σου ἰσραήλ |
318/319 | Keine Priesterfamilie ist durch das nahe Verhältniß, in welches ihr verheißener Sproß schon vor seiner Geburt zum Messias gebracht wird, in das Jntereffe der himmlischen Mysterie hinein- ‘ gezogen, nicht die alttestamentlichen Frommen des LukaS, nicht die Eingeborenen des Landes begrüßen das Heil, das „Jsrael” widerfahren ist, sondern Fremde werden durch den Stern des Messias zuerst — ja, allein vor die Wiege des neugeborenen Königs geführt und die weitere Entwicklung diejes Dramas stellt sogar vornherein das Kind der Erfüllung zu dem gesummten jüdischen Leben in Gegensatz. Herodes und mit ihm ganz Jerusalem werden von Entsetzen ergriffen, als die Magier dre Kunde bringen, daß sie den Stern des neugeborenen Königs gesehen haben — Herodes arbeitet sogleich im Geheimen an seinem Plan, das gefährliche Kind unschädlich zu machen, während die alt- testamentliche Weissagung, in den Hohenpriestern und Schriftgelehrten repräsentirt, die er zusammenberuft, um zu erfahren, wo er den Todfeind seiner Herrschaft, den Gegner des verweltlichten Judenthums zu suchen habe, in starrrer Gebundenheit zur Seite stehen bleibt und ohnmächtig und apathisch die beiden Mächte dieser Tragödie ihrem Schicksal überläßt, d. h. weder für das Neue Sympathie verräth, noch die Plane des weltlichen Tyrannen zu durchschauen oder zu vereiteln vermag. Hier, auf dem Boden des Judenthums steht das Messiaskind allein, leuchtet nur sein Stern über ihm, huldigen ihm Fremde und fallen sogar die Kinder Bethlehems als Opfer der Feindschaft, die seine Heimath ihm allein widmen konnte. Diese Feindschaft treibt endlich das Kind aus seiner Heimath in die Fremde, wie nach dem Pragmatismus der spätern Anschauung die Verfolgungen, die die erste Gemeinde in Jerusalem fand, der Anlaß wurden, daß die zersprengten Bekenner Jesu den Heiden das Evangelium brachten. Als das Kind aus Aegypten, wo es gleich dem Volke, in dessen Schicksalen die seinigen vorgebildet waren, so lange verborgen gelebt hatte, bis es sein Erbe in Besitz nehmen konnte, zurückberufen war, wiederholt sich die Katastrophe, damit ihr Ernst in seiner ganzen verhängnißvollen Gewalt hervortrete und zur Entwicklung komme. Es ist wirklich so, eS soll nicht in seiner Heimath Ruhe finden — die Gefahr droht von neuem — Herodes ist zwar todt, aber der dämonische Geist der Verfolgung wirkt auch über dem Grabe des abgeschiedenen Feindes fort, lebt noch in seinem Nachfolger — das Kind muß für immer von seiner Wiege Abschied nehmen und in der Fremde eine neue Heimath suchen. | No family of priests is drawn into the event of the heavenly mystery by the close relationship in which their promised offspring is brought to the Messiah even before his birth; not the Old Testament pious of Luke, not the natives of the land welcome the salvation that has befallen “Israel”, but strangers are first – indeed alone – brought before the cradle of the newborn king, but strangers are led by the star of the Messiah first – yes, alone in front of the cradle of the newborn king and the further development of the drama opposes even from the beginning the child of the fulfillment to the hummed Jewish life. Herod and with him all Jerusalem are seized by horror, when the magicians bring the news that they have seen the star of the newborn king – Herod immediately works in secret on his plan to make the dangerous child harmless, while the Old Testament prophecy, represented in the chief priests and scribes whom he summons to find out where to look for the mortal enemy of his rule, the opponent of the secularized Judaism, stands aside in rigid bondage and powerless and apathetic leaves the two powers of this tragedy to their fate. That is, he neither shows sympathy for the new, nor is he able to see through the plans of the worldly tyrant or to thwart them. Here, on the soil of Judaism, the Messiah child stands alone, only his star shines above him, strangers pay homage to him and even the children of Bethlehem fall as victims of the enmity that his homeland alone could devote to him. This enmity finally drives the child from his home into foreign lands, just as, according to the pragmatism of the later view, the persecutions that the first church found in Jerusalem became the occasion for the scattered confessors of Jesus to bring the Gospel to the Gentiles. When the child was called back from Egypt, where, like the people in whose destinies his own were foreshadowed, he had lived in hiding until he could take possession of his inheritance, the catastrophe was repeated so that its seriousness might come to the fore in all its fatal force and develop. It is really so, it shall not find rest in his home – the danger threatens anew – Herod is indeed dead, but the demonic spirit of persecution continues to work over the grave of the departed enemy, still lives in his successor – the child must take leave of his cradle forever and seek a new home in a foreign land. |
319/320 | Das Interesse der Vorgeschichte deö Matthäus ist also das Interesse der späteren Gemeinde, die ihren Bruch mit dem Judenthum, ihre gewaltsame Verstoßung aus dem Verband des gesetzlichen Lebens und ihre Ansiedlung unter den Völkern als göttliche Fügung erkannte, wenn sie denselben Bruch, dieselbe uebersiedlung schon in der Kindheitsgeschichte ihres Herrn anschaute. Der Stern, der die Magier zu dem neugeborenen Kinde leitet, bezeugt die Nothwendigkeit, die die Heiden zu dem verherrlichten Christus des Glaubens zog, — die Nothwendig keit, die als inneres Schicksal von Anfang an mit der Person des Messias verwachsen war. Jn den Wanderungen des Kindes und in den Verfolgungen, mit denen es Herodes und der fortwirkende Geist seiner Rache bedroht, sieht die Gemeinde ihre eigenen Schicksale und die Erbitterung des alten jüdischen Wesens abgebildet, welches von der neuen Erscheinung seinen vntergang fürchtete und um sich zu retten, seine eigne Frucht verstieß, die Gemeinde aus ihrer Heimath verjagte und dazu zwang, in der heidnischen Welt sich einzuwohnen. Judäa ist ihr und ihres Herrn gemeinsames Geburtsland, der „Kreis der Heiden” ihre neue Heimath. | The interest of the prehistory of Matthew is therefore the interest of the later church, which recognized its break with Judaism, its forcible expulsion from the association of the legal life and its settlement among the nations as divine providence, when it saw the same break, the same resettlement already in the childhood history of its Lord. The star, which leads the magi to the newborn child, testifies to the necessity, which drew the Gentiles to the glorified Christ of faith, – the necessity, which as an inner destiny from the beginning was interwoven with the person of the Messiah. In the wanderings of the child and in the persecutions with which Herod and the continuing spirit of his vengeance threatened him, the community sees its own fate and the bitterness of the old Jewish being depicted, which feared its demise from the new appearance and, in order to save itself, rejected its own fruit, drove the community out of its home and forced it to dwell in the pagan world. Judea is their and their Lord’s common birth country, the “circle of the Gentiles” their new home. |
320 | Flucht und Verbannung, wenn sie auch einem höhern Zwecke dienen, ja, die Weltherrschaft des neuen Princips herbeiführen müssen, bleiben bei alle dem für den Augenblick doch immer noch eine Erniedrigung — die Erwürgung ihrer Angehörigen, ihrer Kinder, deren Schwäche sie zu einer Beute der weltlichen Stärke macht, ist ein Quell des Schmerzes für die Gemeinde, die sich als substantielle Einheit zwar über dem Kampf der Erscheinung erhält, aber doch auch ein mütterliches Mitgefühl mit den Leiden der Ihrigen hat und durch den Tod derselben gekränkt wird — das Messiaskind selbst wird zwar gerettet, während seine Wiege in einem Strom von Blut steht, aber es muß bei alle dem fliehen, dem Andrängen der weltlichen Macht ausweichen und findet erst Ruhe, als es fern von der Heimath seiner königlichen Ahnen, in den Winkel eines verachteten Landes — (in Galiläa, den Kreis der Heiden) — versteckt wird. | Flight and banishment, even if they serve a higher purpose, even if they must bring about the world domination of the new principle, still remain a humiliation for the moment – the strangulation of their relatives, their children, whose weakness makes them a prey of worldly strength, is a source of pain for the community, which, as a substantial unity, maintains itself above the struggle of appearance, The Messiah child himself is saved, while his cradle stands in a river of blood, but he has to flee from all this, to evade the pressing of the worldly power and finds peace only when he is hidden far away from the home of his royal ancestors, in the corner of a despised country – (in Galilee, the circle of the Gentiles). |
320/321 | Gegenüber dieser Erniedrigung, die sich als das unvermeidliche Schicksal des Kindes erweist, erhält Herodes eine neue Bedeutung. Er ist nun nicht nur die feindliche Macht des Ju- denthumS, welches die Gemeinde unter die Heiden treibt, die weltliche Macht, über die er gebietet, entspricht nicht nur dem harten und irdischen Sinn der verweltlichten jüdischen Satzung — er ist mehr: — die Gewalt, die die Gemeinde zwang, ihre Anhänger unter den Niedern und Geringen zu sammeln und ihr Reich in verborgener Zurückgezogenheit zu gründen. D. h. er repräsentirt nun die weltliche Macht und Herrlichkeit überhaupt, sein Reich ist das Weltreich und die niedrige Umgebung, in der das Messiaskind aufwächfl, die Umgebung, wie sie sich für den Stifter einer Gemeinde ziemte, die auf weltliche Herrlichkeit Verzicht geleistet hatte und im Leiden und Entbehren vielmehr die Waffe besaß, mit der sie das Reich dieser Welt bekämpfte. | In the face of this humiliation, which turns out to be the inevitable fate of the child, Herod gets a new meaning. He is now not only the hostile power of Judaism, which drives the community among the Gentiles, the worldly power, over which he commands, does not only correspond to the hard and earthly sense of the secularized Jewish statute – he is more: – the power, which forced the community to gather its followers among the lowly and lowly and to found its kingdom in hidden seclusion. I.e. he represents the worldly power and glory in general, his kingdom is the worldly kingdom and the lowly environment in which the Messiah’s child grows up, the environment as it was befitting for the founder of a community that had renounced worldly glory and in suffering and privation rather possessed the weapon with which it fought the kingdom of this world. |
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321 | Und doch betrachtete sich die Gemeinde als die Herrin der Welt. Selbst die Schätze, die das Heidenthum aufgehäuft hatte, gehörten ihr an und waren nur für sie gesammelt. Dieß ihr Obereigenthumsrecht machte derjenige geltend, der in ihrem Namen die Abgesandten der heidnischen Welt den Tribut ihrer Unterwerfung vor die Wiege des Messiaskindes niederlegen ließ und die Kühnheit, die zur Entwerfung dieses Bildes gehörte, nur aus dem Selbstgefühl schöpfen konnte, mit dem die Gemeinde sich als den Erben des ganzen Alterthums betrachtete und welches sie ahnen ließ, daß sie einst Alles, was dasselbe Kostbares und Edles erzeugt hatte, in Besitz nehmen und zu ihrer eignen Verherrlichung anwenden werde. | And yet the church considered itself the mistress of the world. Even the treasures that the pagan world had accumulated belonged to it and were collected only for it. This right of supreme ownership was asserted by the one who had the emissaries of the pagan world lay down the tribute of their submission before the cradle of the Messiah child in her name and who could only draw the boldness that belonged to the design of this image from the self-feeling with which the community regarded itself as the heir of the whole antiquity and which made it foresee that it would one day take possession of everything that had been produced by it, precious and noble, and use it for its own glorification. |
321/322 | Ja, der Anschauung, die sich in diesem Bild des Heiden- thumS, wie es vor dem Messiaskinde sich niederwirft und ihm seine köstlichsten Schätze zu Füßen legt, ausgedrückt hat, schwebte sogar die Ahndung vor, daß auch das Heidenthum nicht ganz von Gott verlassen war und daß seine Weisheit, die Mächte, unter denen es lebte, im Grunde doch nur auf das Christenthum Hinwiesen und richtig aufgefaßt und gedeutet dasselbe zum Ziele hatten. | Yes, the view expressed in this picture of paganism, as it prostrates itself before the Messiah and lays its most precious treasures at his feet, even had in mind that even paganism was not completely abandoned by God and that its wisdom, the powers under which it lived, basically only pointed to Christianity and, correctly understood and interpreted, had the same as its goal. |
322/323 | Ohne daß der Bildner dieser Anschauung davon wußte und über seinen Fund sich selbst Rechenschaft geben konnte, hat er es doch so getroffen, daß er den Zug der Naturreligion und des Heidenthums überhaupt zum Christenthum zur Darstellung brächte, als er dem Stern, der die Magier zum göttlichen Kinde führte, diese wunderbare Anziehungskraft und die Bedeutung eines Wegweisers zum Messias gab. Allerdings ist der Stern unmittelbar von Gott gewirkt und den Magiern als Zeichen der Geburt des Messias sowie als Führer zu seiner Wiege gegeben — allein die Geschenke, die die religiöse Anschauung dem Menschen von außen zukommen läßt, kann sie doch nirgend anderswoher entnehmen als aus seinem Jnnern, aus seinen Wünschen und seinem schon vorhandenen Besitz — auch die Mittel, die Gott gebraucht, um die Menschen zu führen, darf er nicht willkührlich, muß er stets passend wählen, d. h. kann er nur und immer nur aus dem Herzen derer nehmen, die er leiten will. Der Bildner jener Anschauung hat aber in der That den Heiden ins Herz gegriffen, — tief ins Herz gegriffen und — (wiederum! ohne die ganze Bedeutung seines Fundes zu übersehen) eine merkwürdige Bewegung der damaligen heidnischen Welt, die Ausbreitung des Gestirndienstes, sein unwiderstehliches Vordringen vom Osten nach dem Westen in christlichem Sinne gedeutet. Die Ausbreitung des Gestirndienstes war eine der eigenthümlichsten Erscheinungen des untergehenden Heidenthums — ein Zeichen, daß die heidnische Mythologie mit der Menge ihrer mannichfachen Gebilde ihre Bedeutung verloren hatte und sich zur Reinheit einer einfachen Anschauung zu idea-lisiren strebte. Der christliche Evangelist ging der Bewegung bis auf ihren Grund nach und führte mit glücklichem Jnstinct die heidnische Weisheit durch das Gestirn zum Heiland. | Without the creator of this view knowing about it and being able to give an account of his finding himself, he nevertheless met it in such a way that he would represent the attraction of natural religion and of paganism in general to Christianity, when he gave the star, which led the magicians to the divine child, this wonderful attraction and the meaning of a signpost to the Messiah. To be sure, the star is directly wrought by God and given to the magi as a sign of the birth of the Messiah as well as a guide to his cradle – but the gifts which the religious view sends to man from outside, it cannot take from anywhere else than from his inside, from his wishes and his already existing possessions – also the means which God uses to guide men, he must not choose arbitrarily, he must always choose suitably, i.e. he can only and always take from the heart of those whom he wants to guide. The creator of this view has indeed reached into the hearts of the pagans, – reached deeply into their hearts and – (again! without overlooking the whole meaning of his finding) interpreted a strange movement of the pagan world of that time, the spread of the service of the stars, its irresistible advance from the East to the West in a Christian sense. The spread of the service of the stars was one of the most peculiar phenomena of the declining paganism – a sign that the pagan mythology had lost its meaning with the multitude of its manifold creations and was striving for the purity of a simple idea. The Christian evangelist followed the movement to its bottom and led with happy instinct the pagan wisdom through the stars to the Savior. |
323 | Nur die Allmacht des religösen Bewußtseyns hat diesen Stern geschaffen: in der Wirklichkeit ist er eben so unmöglich wie die Sterne, die andern Helden der Geschichte angehören und ihre Geburt der Welt ankündigen. | Only the omnipotence of religious consciousness has created this star: in reality it is just as impossible as the stars which belong to other heroes of history and announce their birth to the world. |
323/324 | Er ist und bleibt ein Wunderstern und Keplers Berech-nung, daß um die Zeit, in welche die Evangelien Christi Geburt verlegen, eine merkwürdige Conjunction von Planeten statt- gefunden habe, kann den Stern, der die Magier leitete, nicht in die Natur der Dinge einfügen — eine Planeteneonjunetion ist kein Stern und wird nie der Stern der Magier werden. | It is and remains a miracle star, and Kepler’s calculation that around the time in which the Gospels place Christ’s birth, a strange conjunction of planets took place, cannot fit the star that guided the magicians into the nature of things – a planetary conjunction is not a star and will never become the star of the magicians. |
324 | Gegen die Tiefe der Erfindung, der der Stern des Matthäusevangeliums entsprungen ist, kann auch die vermeintliche Weisheit, die die Schwäche des modernen Glaubens Gott zu- schreibt, — die Weisheit, mit der er es zugelassen oder so gefügt habe, daß die Magier durch eine selbstersonnene astrologische Theorie zum Messias nach Judäa geführt seyen, nicht aufkommen: — mit der Nothwendigkeit, die dem Gestirn des biblischen Berichts inwohnt, und dem unwiderstehlichen und gewaltigen Zuge, mit dem dasselbe das Heidenthum zum Christenthum leitet, kann sich der Zufall, daß die Gottheit den Irrthum einiger Weisen zu ihrem Besten benutzen konnte, nicht messen.
Wie Keplers Berechnung dem biblischen Bericht gleichgültig ist, wie die schwachgläubigen Bitten um Zulassung einer natürlichen Vermittlung der Begebenheit durch die Astrologie des Orients an dem tiefen Gehalt des Berichts und an seiner plastischen Natur machtlos zerschellen, so ist es auch unmöglich, die Kunde, die die Magier vom Messias haben, auf natürliche Weise aus einer Erwartung herzuleiten, die in ihrem Vaterlande, dem Orient schon vor dem Aufgang des Christenthums verbreitet gewesen sey. |
Against the depth of the invention, from which the star of Matthew’s gospel has sprung, also the supposed wisdom, which the weakness of the modern faith attributes to God, – the wisdom, with which he has allowed or so arranged it, that the magicians were led to the Messiah in Judea by a self-invented astrological theory, cannot arise: – The coincidence that the Godhead was able to use the error of some wise men for its own good cannot measure up to the necessity inherent in the star of the biblical account and the irresistible and powerful pull with which it leads paganism to Christianity.
As Kepler’s calculation is indifferent to the biblical report, as the weakly believing requests for the admission of a natural mediation of the event by the astrology of the Orient shatter powerlessly at the deep content of the report and at its plastic nature, so it is also impossible to derive the message, which the magicians have of the Messiah, in a natural way from an expectation, which would have been widespread in their fatherland, the Orient, already before the rise of Christianity. |
324/325 | Derjenige, der den Stern geschaffen hat, gab ihnen auch die Deutung desselben — d. h. die spätere christliche Anschauung, die ihnen den Stern als Wegweiser zum Messias ent- gegenschickte, deutete ihnen auch seinen Sinn oder setzte es vielmehr voraus, daß der Stern durch seine eigene Klarheit ihnen sagen müsse, was er zu bedeuten habe. | The one who created the star also gave them the interpretation of it – i.e. the later Christian view, which sent the star to them as a signpost to the Messiah, also interpreted its meaning to them or rather presupposed that the star had to tell them by its own clarity what it had to mean. |
325 | Zwar spricht Suetonius von einer alten und unverändert überlieferten Erwartung, die den ganzen Orient durchlief und auf die sich die letzte Empörung der Juden stützte, da es nach ihr vom Schicksal bestimmt seyn sollte, daß zu jener Zeit, da der Aufstand ansbrach, von Judäa aus die Weltherrschaft angetreten werden würde*) — allein woher hat er diese Kenntniß von den Traditionen des Orients?
Aus dem Geschichtswerk des Tacitus, der von einer jüdischen Parthei berichtet, die während der Belagerung Jerusalems durch Titus sich darauf stützte, daß es in ihren heiligen Schriften geweissagt sey, gerade zu dieser Zeit würde der Orient zu Kräften kommen und von Männern, die von Judäa ausgehen würden, die Weltherrschaft in Besitz genommen werden**). Er hat die Schrift des Tacitus mechanisch ausgeschrieben: während dieser in der Mehrheit von Weltherrschern spricht, die von Judäa ausgehen würden, weil nach seiner Erklärung Vespasian und Titus es sind, von denen die zweideutige und von den Juden falsch erklärte Weissagung gesprochen habe, behält er die Mehrheit bei, obwohl er, da er in diesem Augenblick mit der Biographie des Vespasian beschäftigt ist, ausdrücklich nur sagt, jene Erwartung habe sich auf den römischen Kaiser — natürlich den Vespasian bezogen. Zu gleicher Zeit hat er die Notiz seines Vorgängers eigenmächtig erweitert — an oie Stelle der schriftlichen Weissagung, die die jüdischen Empörer in ihrem Widerstand bestärkte, eine alte Erwartung des Orients gesetzt. |
It is true that Suetonius speaks of an old and unchanged expectation that ran through the whole Orient and on which the last revolt of the Jews was based, since according to it it should be determined by fate that at that time, when the revolt started, the world domination would be started from Judea*) – but from where does he have this knowledge of the traditions of the Orient?
From the historical work of Tacitus, who reports about a Jewish party, which, during the siege of Jerusalem by Titus, relied on the fact that it was prophesied in their holy writings, that just at this time the Orient would come to strength and world domination would be taken possession of by men, who would start from Judea**). He has mechanically written out the writing of Tacitus: while the latter speaks in the majority of world rulers who would go out from Judea, because according to his explanation it is Vespasian and Titus of whom the ambiguous and by the Jews wrongly explained prophecy had spoken, he keeps the majority, although he, since he is busy at this moment with the biography of Vespasian, expressly says only that that expectation had referred to the Roman emperor – of course to Vespasian. At the same time he has extended the note of his predecessor arbitrarily – put an old expectation of the Orient in the place of the written prophecy, which strengthened the Jewish indignants in their resistance. |
325* | *) Vespas. c. 4. Perorebuerat Oriente toto vetus et constans opinio, esse in fatis, ut eo tempore Judaea profecti rerum potirentur.
**) Hist. 5, 13. so ipso tempore fore, ut valesceret Oriens profectique Judaea rerum potirentur. |
*) Vespas. c. 4. An ancient and unwavering opinion had prevailed throughout the East that it was in fate that at that time Judaea had set out to take possession of the property.
**) Hist. 5, 13. so that it would be at that very time that the East might have strength, and, departing, would take possession of the property of Judaea. |
326 | Und Tacitus? Woher hat er seine Kunde von der Weissagung, die die jüdischen Empörer täuschte? Aus dem Geschichts- werk des Josephus.
Dieser berichtet nämlich, die jüdische Kriegsparthei sey besonders durch eine zweideutige Weissagung der heiligen Schriften, wonach zu jener Zeit von ihrem Lande aus ein Weltherrscher ausgehen würde*), zu ihrem verzweifelten unternehmen verleitet worden, aber sie hätten sich sehr getauscht, als sie die Weissagung auf sich bezogen und im Jnteresse ihres Volks erklärten, da sie sich vielmehr auf Vespasian und dessen Proklamation zum Weltherrscher in Judäa bezogen habe. Und Josephus? Woher hat er seine Nachricht? Gibt er uns wirklich Geschichte? sagt er uns in der That, was die jüdische Parthei, die den Kampf mit Rom unternommen hatte, ins Verderben stürzte? Nicht weniger als das. |
And Tacitus? Where did he get his knowledge of the prophecy that deceived the Jewish outrages? From the historical work of Josephus.
He reports that the Jewish war party had been led to their desperate enterprise by an ambiguous prophecy of the holy scriptures, according to which a world ruler would emanate from their country at that time*), but they had been very wrong when they referred the prophecy to themselves and explained it in the interest of their people, since it had rather referred to Vespasian and his proclamation as world ruler in Judea. And Josephus? Where does he get his news from? Does he really give us history? Does he indeed tell us what brought the Jewish party, which had undertaken the fight with Rome, to ruin? No less than that. |
326* | *) Bell. jud. 6, 5, 4: κατὰ τὸν καιρὸν ἐκεῖνον ἀπὸ τῆς χώρας αὐτῶν τις ἄρξει τῆς οἰκουμένης. | *) Bell. jud. 6, 5, 4: κατὰ τὸν καιρὸν ἐκεῖνον ἀπὸ τῆς χώρας αὐτῶν τις ἄρξει τῆς οἰκουμένης. |
326/327 | Als er sich nach der Einnahme von Jotapota dem Vespasian als Gefangenen stellte, that er es eigentlich, um sich der Rache der Kriegsparthei in Jerusalem zu entziehen, die mit seiner schlaffen Vertheidigung der ihm anverwauten Provinz längst unzufrieden war und aus der Art und Weise, wie er sich zuletzt in Jotapata benommen und bei dem letzten Sturm der Römer keine seiner Feldherrnpflichten erfüllt hatte, nothwendig den Schluß ziehen mußte, daß er mit Vespasian in geheimem Einvernehmen stand. Als er später sein Geschichtswerk abfaßte und zu der Katastrophe von Jotapata kam, mußte es ihm daran gelegen seyn, sein zweideutiges Benehmen zu bemänteln, die unglückliche Rolle, die er als Feldherr spielte, unter das Gebot einer Art von tragischer Nothwendigkeit zu stellen und seine sträfliche Halbheit interessant zu machen, indem er sie in eine innere Gebrochenheit umwandelte, der er sich nicht entziehen konnte, da ihm aus viel zu viel Zeichen der Beginn der neuen Weltordnung, wonach die römische Herrscherkraft auch als Meister des Heiligthums von Jerusalem dastehen sollte, klar geworden war. Sein Gewissen sagte es ihm, daß er Verräther sey, und dieser innere Ankläger spricht aus ihm, wenn er sogar in einem Gebet, welches er vor seinem llebergang zu den Römern gehalten haben will, versichert, daß er nicht als Verräther zu ihnen übergehe*); aber die wiederholten Träume, in denen Gott ihm die Zukunft seines Volks und der römischen Kaiser angedeutet und die Kenntniß, die er als Priester und Sproß eines prie- sterlichen Geschlechts von den Weissagungen der heiligen Schriften hatte — alles das, sagt er in demselben Gebet an seinen Gott, habe ihm die ueberzeugung gegeben, daß derselbe beschlossen habe, das jüdische Volk niederzuwerfen, und daß alles Glück zu den Römern gewandert sey **). Gegen die Nothwendigkeit, meint er daher, habe er nicht ankämpfen können und er gehorche ihr sogar freiwillig und gern, ja, erfülle nur seine göttliche Bestimmung, wenn er als der Bote der Zukunft und Ausleger des Schicksals zu den Römern übergehe und statt in einem unnützen Kampfe den Tod zu suchen, sich am Leben erhalte. | When he surrendered to Vespasian as a prisoner after the capture of Jotapata, he actually did it to avoid the revenge of the war party in Jerusalem, which had long been dissatisfied with his slack defense of the province entrusted to him and from the way he had behaved at Jotapata and had not fulfilled any of his general duties during the last storm of the Romans, had to draw the conclusion that he was in secret agreement with Vespasian. When he later wrote his work of history and came to the catastrophe of Jotapata, he must have been interested in covering up his ambiguous behavior, in putting the unfortunate role he played as a commander under the precept of a kind of tragic necessity and in making his criminal half-measures interesting, by transforming it into an inner brokenness that he could not escape, since from far too many signs it had become clear to him the beginning of the new world order, according to which the Roman ruling power was also to stand as master of the sanctuary of Jerusalem. His conscience told him that he was a traitor, and this inner accuser speaks from him, when he even assures in a prayer, which he claims to have held to the Romans before his death, that he would not go over to them as a traitor*); but the repeated dreams in which God indicated to him the future of his people and of the Roman emperors, and the knowledge he had as a priest and scion of a priestly family of the prophecies of the holy scriptures – all this, he says in the same prayer to his God, had given him the conviction that the same had decided to cast down the Jewish people, and that all luck had gone to the Romans **). He therefore thinks that he could not fight against necessity and that he even obeys it voluntarily and gladly, yes, he only fulfills his divine destiny if he goes over to the Romans as the messenger of the future and interpreter of destiny and instead of seeking death in a useless fight, he keeps himself alive. |
327* | *) Bell. jud. 3, 8, 3. μαρτύρομαι δὲ ὡς οὐ προδότης απειμι.
**) Ibid. |
*) Bell. jud. 3, 8, 3. μαρτύρομαι δὲ ὡς οὐ προδότης απειμι.
**) Ibid. |
327/328 | Als dieser Bote der Zukunft verkündete er dem Vespasian, indem er sich ihm als Gefangenen stellte, daß er und sein Sohn Titus Kaiser werden würden. Mochte er nun sogleich nach den unglücklichen Tagen von Jotapata den Feldherrn, nachdem er ihm durch seinen ungehorsam gegen die Centralgewalt zu Jerusalem die wesentlichsten Dienste geleistet hatte, durch eine leichte Weissagung vollends für sich gewonnen — mochte er in seinem Geschichtswerk, welches er als Flavier in die Clientel und Familie des Vespasian ausgenommen, unter den Augen und gewiß auch mit Beihülfe des Titus ausarbeitete, dessen Glaubwürdigkeit und Authenticität Titus mit eigner Hand bezeugte*), dem Erfolg durch seine Combination mit den Weissagungen der Propheten seine höhere Weihe gegeben haben — in jedem Falle mußte er doch eine bestimmte Weissagung im Sinne haben, die einzige aber, die dazu fähig war, auf den Jmperator bezogen zu werden, der in Judäa seinen Beruf zur Weltherrschaft bewies, indem er durch den Sturz des Heiligthums der Theokratie ein Ende machte, war die Weissagung des Daniel (C. 9, 26.) von dem Volk eines kommenden Fürsten, welches die Stadt und das Heiligthum zerstören würde. | As this messenger of the future he announced to Vespasian, presenting himself to him as a prisoner, that he and his son Titus would become emperor. May he now, immediately after the unhappy days of Jotapata, after he had rendered him the most essential services by his disobedience against the central power at Jerusalem, completely won over the commander by an easy prophecy – may he, in his work of history, which he, as a Flavian, except in the clientele and family of Vespasian, worked out under the eyes and certainly also with the help of Titus, whose credibility and authenticity Titus testified with his own hand*), In any case, he must have had a certain prophecy in mind, but the only one that was capable of being related to the emperor, who proved his vocation to world domination in Judea by putting an end to the theocracy through the overthrow of the sanctuary, was the prophecy of Daniel (C. 9, 26) about the people of Judea. 9, 26.) of the people of a coming prince who would destroy the city and the sanctuary. |
328* | *) Vita Josephi C. 65 χαράξας τῇ ἑαυτοῦ χειρὶ | *) Vita Josephi C. 65 χαράξας τῇ ἑαυτοῦ χειρὶ |
328 | Nur diese Weissagung enthält eine chronologische Andeutung, aus welcher Josephus schließen konnte, der Endtermin werde in die römische Zeit auslaufen — Josephus erklärt sie in seinen Alterthümern**) ausdrücklich von der Verwüstung des gelobten Landes durch die Römer, unterscheidet sie von den Weissagungen, die sich auf Antiochus Epiphanes beziehen und konnte sie auch nur meinen, wenn er von der Weissagung der heiligen Schriften spricht, die die Empörer zu ihrem Ausstand verleitete und — täuschte. | Only this prophecy contains a chronological hint, from which Josephus could conclude that the end date would run into the Roman time – Josephus explains it in his Antiquities**) expressly from the desolation of the promised land by the Romans, distinguishes it from the prophecies that refer to Antiochus Epiphanes and could also only mean it when he speaks of the prophecy of the holy scriptures, which tempted and – deceived the rebels to their revolt. |
328** | **) Antiq. 10, 11, 7. | **) Antiq. 10, 11, 7. |
329 | Erst in Rom, in der glänzenden Muße, die die Gunst der Flavier ihm schenkte, als er unter den Augen des Titus seinen historischen Roman componirte, hat Josephus den Aufständischen das trügerische Vertrauen zu jener Weissagung des Daniel eingeflößt, um das Fatum, dem er sich freiwillig fügte, in seiner ganzen zwingenden Gewalt zu zeigen. Dieselbe Weissagung — auf diesen Pragmatismus hat er es abgesehen — derselbe Gottesspruch, der ihm den Untergang des jüdischen Volkswesens als himmlische Fügung deutete und ihm die ueberzeugung gab, daß es vergeblich sey, der römischen Kraft zu widerstehen, gelangte dadurch zur Ausführung, daß die Aufrührer sich durch ihn zum Krieg verleiten ließen. Er hat sich dem Fatum freiwillig unterworfen: — im tragischen Kampf zu Jerusalem bewies es seine Nothwendigkeit, indem es sich durchsetzte, obwohl es sich durch den Propheten bereits angekündigt hatte*), — ja, seine Vorausverkündigung mußte sogar zum Mittel seiner Ausführung werden.
Die uralte Erwartung des Orients, von der Suetonius spricht, gehört also der Geschichte nicht mehr an und wenn die Magier aus dem Aufgang des Sterns die Geburt des Königs, dem ihre Huldigung gebührte, erkennen sollten, so mußte ihnen der Schöpfer des Sterns seinen Sinn erklären. Dieser Schöpfer und Ausleger war die christliche Anschauung und ihr evangelischer Bildner. |
Only in Rome, in the brilliant leisure which the favor of the Flavians gave him, when he composed his historical novel under the eyes of Titus, did Josephus instill in the rebels the deceptive confidence in that prophecy of Daniel, in order to show the fate, to which he voluntarily submitted, in all its compelling force. The same prophecy – on this pragmatism he was aiming – the same God’s saying, which interpreted the downfall of the Jewish nation as a heavenly providence and gave him the conviction that it would be in vain to resist the Roman power, was carried out by the rebels allowing themselves to be seduced by it to war. He submitted to the fate voluntarily: – in the tragic battle at Jerusalem it proved its necessity by asserting itself, although it had already announced itself through the prophet*), – yes, its proclamation in advance even had to become the means of its execution.
The ancient expectation of the Orient, of which Suetonius speaks, therefore no longer belongs to history and if the magicians were to recognize from the rising of the star the birth of the king to whom their homage was due, the creator of the star had to explain its meaning to them. This creator and interpreter was the Christian view and its evangelical creator. |
329* | *) Bell. jud. 6, 5, 4: ἐδήλου δ’ ἄρα τὴν Οὐεσπασιανοῦ . . . . Ἀλλὰ γὰρ οὐ δυνατὸν ἀνθρώποις τὸ χρεὼν διαφυγεῖν οὐδὲ προορωμένοις. | *) Bell. jud. 6, 5, 4: ἐδήλου δ’ ἄρα τὴν Οὐεσπασιανοῦ . . . . Ἀλλὰ γὰρ οὐ δυνατὸν ἀνθρώποις τὸ χρεὼν διαφυγεῖν οὐδὲ προορωμένοις. |
330 | Dieser Bildner war aber derjenige nicht, von dem die Com- position des gegenwärtigen Matthäusevangeliums herrührt.
Ein Schriftsteller, der in einen gegebenen und festgeschlossenen Typus Bestandtheile einschob, die durch denselben geradezu ausgeschlossen werden, der streng gegliederten Redestücken, die ihm in seinen Quellenschriften Vorlagen, Sprüche einfügte, die mit ihren Voraussetzungen zu der Richtung ihrer neuen Umgebung in den schneidendsten Widerspruch treten, ohne von dieser Dissonanz das Geringste zu ahnen, ist kein Schöpfer mehr, sondern ein Compilator. Ein Mann, der z. B. im Stande war, in die Jnstructionsrede, die Jesus bei der Aussendung der Apostel hielt, das Gebot einzufügen: „gehet nicht auf den Weg der Heiden, noch in eine samaritische Stadt”, besaß nicht die Kraft dazu, um eine Kindheitsgeschichte zu bilden, in welcher die Heiden zuerst dem Messias huldigen und die Schicksale des MessiaskindeS sogar den Bruch der Gemeinde mit dem Judenthum und ihre Einwohnung unter den Heiden prophetisch vorbilden. Ging vielmehr seine Abhängigkeit von seinen verschiedenen Quellen so weit, daß er ihnen die widersprechendsten Dinge entlehnte und das Disparateste, als gehörte es wirklich zusammen, verband, so kann seine Combination einer Vorgeschichte mit einem Evangelium, dessen Voraussetzungen zum Theil ihr geradezu Widerstreiten, nur daraus erklärt werden, daß er sie ebenso wie die widersprechenden Bestandtheile seines Evangeliums verschiedenen Quellenschriften entlehnt hat. |
But this creator was not the one from whom the com- position of the present Gospel of Matthew originates.
A writer, who inserted into a given and fixed type parts which are virtually excluded by the same, who inserted strictly structured pieces of speech, which he had received in his source writings, sayings, which step with their premises into the most cutting contradiction to the direction of their new environment, without suspecting the slightest of this dissonance, is no longer a creator, but a compiler. A man who, for example, was able to insert the commandment “do not go into the way of the Gentiles, nor into a Samaritan city” into the speech of instruction that Jesus gave at the sending out of the apostles, did not have the power to form a history of childhood in which the Gentiles first pay homage to the Messiah and the destinies of the Messiah’s child even prophetically model the break of the church with Judaism and its dwelling among the Gentiles. If his dependence on his various sources went so far that he borrowed the most contradictory things from them and combined the most disparate things as if they really belonged together, then his combination of a prehistory with a gospel, the presuppositions of which partly contradict it, can only be explained by the fact that he borrowed them as well as the contradictory parts of his gospel from various source writings. |
330/331 | Zu dem Beweis, den das innere Verhältniß der einzelnen Bestandtheile des Matthäusevangeliums liefert, kommt noch der andere, auf den die Vergteichung desselben mit den Evangetien- citaten des Justinus führt. Justinus kennt die ganze Vorgeschichte des Matthäus — von dem Plane, an, mit dem Joseph umging, als er die Schwangerschaft der Maria bemerkte, bis auf den Traum, der ihn aus Aegypten nach Judäa zurückbe- rief*) — er citirt ferner die beiden Sprüche des Micha über die hohe Bestimmung Bethlehems und des Jeremias über den Jammer der Nahet wegen der Ermordung ihrer Kinder, seine griechische uebersetzung des alttestamentlichen Textes stimmt wörtlich mit der des vermeintlichen Matthäus überein, d. h. weicht in derselben Weise wie diese von der uebersetzung der Siebenzig ab, er muß also seine Kenntniß dieser Vorgeschichte aus dem gegenwärtigen Matthäusevangelium entnommen oder der Verfasser des letzteren mit ihm dieselbe Quelle benutzt haben. Das jetzige Matthäusevangelium hat er aber nicht gekannt. Die Sprüche Jesu, die er seinen Quellen entnimmt, sind wie ihre Abweichung von den Parallelen des Matthäus beweist, dem Evangelium desselben nicht entnommen: — er hat mit dem vermeintlichen Matthäus dieselben Quellen benutzt, da, wo seine Citate von den Parallelen desselben abweichen und durch die Bestimmtheit der Ausdrücke wie durch die Harmonie ihres Gefü- ges sich zu ihrem Vortheil von demselben unterscheiden, ist er seinen Quellen nur treuer und sorgfältiger gefolgt als derjenige, den die Kirche Matthäus genannt hat, — er hat also auch seine Vorgeschichte nicht dem Evangelium des letzteren zu verdanken und dieser hat die seine bereits vorgefunden, wie seine Behandlung und Gruppirung der Sprüche Jesu auf Quellen zurück- führt, die dieselben richtiger gegliedert enthielten, und seine Combination von Sprüchen, die sich mit ihren Voraussetzungen geradezu widersprechen und einander ausschtießen, nur aus der mechanischen Benutzung vvn Schriften, die ganz verschiedenen Standpunkten ihren Ursprung verdanken, erklärlich ist. | In addition to the proof provided by the inner relationship of the individual parts of the Gospel of Matthew, there is another one, to which the comparison of it with the Gospel citations of Justin leads. Justin knows the whole prehistory of Matthew – from the plan Joseph had when he noticed Mary’s pregnancy to the dream that called him back from Egypt to Judea*) – he also cites the two sayings of Micah about the high destiny of Bethlehem and of Jeremiah about the lamentation of the Naheth because of the murder of their children, his Greek translation of the Old Testament text agrees literally with that of the supposed Matthew, i.e. deviates in the same way as Matthew’s translation. Therefore, he must have taken his knowledge of this prehistory from the present Gospel of Matthew or the author of the latter must have used the same source with him. But he did not know the present Gospel of Matthew. The sayings of Jesus, which he takes from his sources, are not taken from the Gospel of Matthew, as their deviation from the parallels of Matthew proves: – he has used the same sources with the alleged Matthew, where his citations deviate from the parallels of the same and differ from the same by the definiteness of the expressions as well as by the harmony of their feeling to their advantage, he has only followed his sources more faithfully and carefully than the one whom the church has called Matthew, – he therefore also does not owe his prehistory to the gospel of the latter and the latter has already found his, How his treatment and grouping of the sayings of Jesus can be traced back to sources that contained them more correctly structured, and his combination of sayings, which virtually contradict each other with their premises and excluded each other, can only be explained by the mechanical use of writings that owe their origin to completely different points of view. |
331* | *) Dial. c. Tryph. p. 303, 304. | *) Dial. c. Tryph. p. 303, 304. |
331/332 | Das letzte Traumgesicht, in welchem Joseph nach seiner Rückkehr aus Aegypten den Befehl erhielt, Judäa immer noch zu meiden und nach Galiläa zu ziehen, erwähnt Justinus nicht; es ist aber nicht wahrscheinlich, daß es seiner Quellenschrift gefehlt habe, da eine so reiche Composition, wie seine Vorgeschichte bereits ist, unmöglich mit der Rückkehr der heiligen Familie nach Judäa sich beruhigen konnte und die unentbehrliche uebersiedlung nach Galiläa, wenn Alles bisher durch Traumgesichte geleitet und geordnet war, gleichfalls die Folge einer göttlichen Weisung seyn mußte. Wir müßten also bereits für die Quellenschrift des Justinus die ganze Vorgeschichte, wie sie gegenwärtig in dem Matthäusevangelium enthalten ist, voraussetzen. | The last dream-face, in which Joseph after his return from Egypt received the order to still avoid Judea and to move to Galilee, Justin does not mention; But it is not probable that his source writing lacked it, since such a rich composition, as his prehistory already is, could not possibly have calmed down with the return of the holy family to Judea and the indispensable resettlement to Galilee, if everything was so far guided and ordered by dream visions, must likewise be the consequence of a divine instruction. We would have to presuppose therefore already for the source writing of Justin the whole prehistory, as it is contained at present in the gospel of Matthew. |
332/333 | Ob nun auf den Verfasser des jetzigen Evangeliums wenigstens die Combination der uebersiedlung Josephs nach Galiläa und seiner Niederlassung in Nazareth mit der Weissagung der Propheten (C. 2, 23) zurückzuführen ist? Wie er hier, in der Vorgeschichte, den umstand, daß Jesus in einer verachteten Provinz und kleinen Landstadt austvuchs, bedeutend findet und darin das Wort der Propheten: „er soll Nazaräer heißen” d. h. die Weissagung des Iesaias*) und anderer Propheten von dem niedrigen Ursprung des Messias erfüllt sieht, so macht er später, wenn er das erste Auftreten Jesu in Galiläa beschreibt, allerdings wieder darauf aufmerksam, daß dieser Aufgang des Lichts im „heidnischen Galiläa” (C. 4, 12—16) die Erfüllung einer Weissagung des Iesaias ist. Allein ist es denn so gewiß, daß diese letztere Deutung von ihm, dem Compilator herrührt? Im Gegentheil! Die außerordentliche Verwirrung dieser letzteren Stelle, die abentheuerliche Voraussetzung, daß Jesus Nazareth verlassen und sich nach Kapernaum begeben mußte, um nach Galiläa zu gelangen, die noch abentheuerlichere Folge dieser Beziehung des prophetischen Spruchs auf die uebersiedlung Jesu, wonach Kapernaum zu gleicher Zeit im Lande Sebulon und im Lande Naphthali liegt — das Asses findet jetzt erst seine Auflösung und Erklärung, wenn einmal die Frage gestellt ist und die Verwirrung sich als einfache Folge davon verräth, daß der Compilator die Beziehung des prophetischen Spruchs auf das Auftreten Jesu im heidnischen Galiläa von ihrem wahren Anlaß getrennt und mit der uebersiedlung von Nazareth nach Kapernaum verbunden hat. | Can the author of the present Gospel at least attribute the combination of Joseph’s migration to Galilee and his settlement in Nazareth with the prophecy of the prophets (C. 2, 23)? How he finds significant here, in the prehistory, the circumstance that Jesus grew out in a despised province and small country town, and in it the word of the prophets: “he shall be called a Nazarene” i.e. The prophecy of Isaiah*) and other prophets about the lowly origin of the Messiah is fulfilled. Later, when he describes the first appearance of Jesus in Galilee, he again points out that this rising of the light in “Gentile Galilee” (C. 4, 12-16) is the fulfillment of a prophecy of Isaiah. But is it so certain that this latter interpretation comes from him, the compiler? On the contrary! The extraordinary confusion of this latter passage, the absurd assumption that Jesus had to leave Nazareth and go to Capernaum in order to reach Galilee, the even more absurd consequence of this relation of the prophetic saying to the transmigration of Jesus, according to which Capernaum is located at the same time in the land of Zebulun and in the land of Naphtali – all this only now finds its resolution and explanation, once the question is asked and the confusion is revealed as a simple consequence of the fact that the compiler has separated the relation of the prophetic saying to the appearance of Jesus in the Gentile Galilee from its true cause and connected it with the transmigration from Nazareth to Capernaum. |
332* | *) Nach Iesaias 11, 1 gleicht der Messias in seinen Anfängen dem schwachen Reis On), das aus dem Stumpf eines abgehauenen Baumstammes hervorwächst. | *According to Isaiah 11, 1 the Messiah in his beginnings resembles the weak shoot (נצר) which grows out of the stump of a cut tree trunk. |
333 | Er ist also auch nicht der Urheber jener Deutung der Übersiedelung Josephs nach Nazareth — er mag ihr die jetzige unklare Haltung gegeben haben, aber er hat sie nicht erfunden, sie gehört seiner Ouelle an und stand hier wahrscheinlich in nahem Zusammenhänge mit dem wirklichen Auftreten Jesu in Galiläa und mit der Reflexion über die Bedeutung, welche dieses Auftreten im heidnischen Bezirk, im Reich des Todesschattens für die Erfüllung der Weissagung hatte. | So he is not the author of that interpretation of Joseph’s moving to Nazareth – he may have given it the present unclear attitude, but he did not invent it, it belongs to his manual and was here probably in close connection with the real appearance of Jesus in Galilee and with the reflection on the meaning which this appearance in the Gentile district, in the kingdom of the shadow of death had for the fulfillment of the prophecy. |
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333 | Nun noch ein Wort über das Verhältniß, in welchem die beiden Vorgeschichten des Lukas- und des Matthäusevangeliums der Zeit nach zu einander stehen. | Now a word about the relation in which the two prehistories of Luke’s and Matthew’s gospels stand to each other in time. |
333/334 | Wenn wir aus der Natur der Collisionen, welche die letztere voraussetzt und verarbeitet, schließen mußten, daß sie nicht nur einem entwickelteren, sondern auch einem spätern Standpunkte angehört, so kann damit durchaus noch nicht gesagt seyn, daß das Lukasevangelium in seiner jetzigen Gestalt älter ist als das des Matthäus. Die beiden Vorgeschichten gehörten Ursprüngelich zu andern Evangelicnschriften, können also in ihrer jetzigen Combination mit dem Lukas- und Matthäusevangelium für den früheren oder spätern Ursprung derselben Nichts beweisen. Die Frage, welche dieser beiden Schriften die spätere ist, wird sich erst nach der untersuchung ihres Gesammtinhalts beantworten lassen. | If we had to conclude from the nature of the collisions, which the latter presupposes and processes, that it belongs not only to a more developed, but also to a later point of view, then it can by no means be said that the Gospel of Luke in its present form is older than that of Matthew. The two prehistories originally belonged to other gospel writings, so in their present combination with Luke’s and Matthew’s gospel they cannot prove anything for the earlier or later origin of the same. The question, which of these two writings is the later one, can only be answered after the examination of their total content. |
334 | Aus jenem Ergebniß folgt nicht einmal, daß die Vorgeschichte des Lukasevangeliums in ihrer jetzigen Gestalt älter ist als die des Matthäus. Mag ihr Kern und ihre Grundanschauung immerhin älter seyn, so kann ihre Frucht — die Vorgeschichte des Matthäusevangeliums — bereits völlig gezeitigt seyn, während sie selbst in ihrer Art noch wuchs, ihre Anlage erweiterte und durch äußere Zusätze vergrößert wurde. Was wir hiemit als Möglichkeit setzen und setzen mußten, wenn wir die Behutsamkeit behaupten wollen, die in untersuchungen dieser Art zu beobachten ist, scheint sich auch wirklich als Thatbestand zu ergeben, wenn wir darauf achten, wie Justinus die vollständige Vorgeschichte des Matthäus kennt, von der des Lukas nur den Grundstamm — ein umstand, durch den die Sicherheit jenes Ergebnisses, welches wir der gegenwärtigen Frage voran- stellten, nicht im Geringsten gefährdet wird, da die spätere, gehaltvollere Conception ihren innern Reichthum entwickeln, ihre streng zusammenhängenden Collisionen zum Abschluß bringen konnte, während die ursprüngliche Conception durch ihren allmähligen Anwuchs sich noch erweiterte und selbst über das Maaß hinaus, welches ihr die eigene Natur verschrieb, erweitert wurde, nachdem die spätere Schöpfung, deren strenges Ebenmaaß und glücklicher Zusammenhang alle weiteren Zusätze zurückwieS, bereits ihren Abschluß erhalten hatte.
Aus diesem Verhältniß beider Kindheitsgeschichten erklärt sich nun endlich einer der chronologischen Widersprüche, die sich in der Schrift des Lukas fanden. |
From this result it does not even follow that the prehistory of the Gospel of Luke in its present form is older than that of Matthew. Its core and its basic concept may be older, but its fruit – the prehistory of the Gospel of Matthew – may already have been fully realized, while it itself was still growing in its nature, expanding its structure and being enlarged by external additions. What we herewith set and had to set as a possibility, if we want to assert the caution that is to be observed in investigations of this kind, seems to really result as a fact, if we pay attention to how Justin knows the complete prehistory of Matthew, of that of Luke only the basic trunk – a circumstance, by which the security of that result, which we put before the present question, is not endangered in the least, since the later, more substantial conception was able to develop its inner richness, to bring its strictly coherent collisions to a conclusion, while the original conception, through its gradual growth, still expanded and was expanded even beyond the measure which its own nature prescribed for it, after the later creation, whose strict symmetry and happy coherence outweighed all further additions, had already received its conclusion.
From this relation of both childhood stories one of the chronological contradictions, which were found in the writing of Luke, is finally explained. |
335 | Als der Componist des gegenwärtigen Lukasevangeliums seine Kindheitsgeschichte seiner Compilation voranstellte, war durch die Kindheitsgeschichte, die wir jetzt im Matthäusevangelium lesen, die Voraussetzung, daß die Geburt Jesu in die Zeit des Herodes fiel, schon verbreitet, zur Geltung gekommen*) und jener Lukas von ihr so abhängig, daß er sie seiner Kindheitsgeschichte voranstellte, obwohl sie durch die chronologischen Voraussetzungen derselben auf das entschiedenste ausgeschlossen wird. | When the composer of the present Gospel of Luke prefixed his childhood history to his compilation, by the childhood history, which we read now in the Gospel of Matthew, the presupposition that the birth of Jesus fell into the time of the Herod, had already spread, had come to the validity*) and that Luke so depended on it that he prefixed it to his childhood history, although it is excluded by the chronological presuppositions of the same in the most decided way. |
335* | *) Hegtsippus kannte Liese Voraussetzung gleichfalls und mußte ferner von einer Begebenheit wissen, in der sich das Entsetzen des Hero- dcs über die Geburt des Messias kund gab. Wie uns Eusebius (Kirch. Gesch. 3, 20) berichtet, kam nämlich in seinem GeschichtSwcrk die Bemerkung vor, daß Domitian die Erscheinung (παρουσίαν) Christi eben so fürchtete wie Herodes. | *) Hegisippus knew this presupposition likewise and must have known furthermore of an incident, in which the Herod’s horror of the birth of the Messiah made itself known. As Eusebius (Kirch. Gesch. 3, 20) tells us, in his Ecclesiastical History the remark occurred that Domitian feared the appearance (παρουσίαν) of Christ as much as Herod. |
335/336 | Uebrigens ist es wahrscheinlich, daß auch die Kindheitsgeschichte des Matthäusevangeliums allmählig entstanden, durch verschiedene Gestalten und Versuche hindurchgegangen ist, bis der Glückliche kam, der ihr die jetzige Vollendung gegeben hat. Jn dem Brief des Jgnatius an die Epheser”) wird auch ein Stern beschrieben, der bei der Ankunft Jesu aufging und „alle Sterne überglänzte”. Der Verfasser jenes Briefs seht von diesem Stern voraus, daß er dazu diente, den Messias der Welt an- zukündigen und offenbar zu machen*”), er sagt ferner geradezu, daß der Stern das Erstaunen und Befremden der Leute erregte, macht also auch den Aufgang des Sterns zu einer bestimmten Begebenheit, in deren Verlauf der Eindruck, den der Stern auf die Menschen machte, an den Tag kam — aber ist diese Begebenheit dieselbe, die im jetzigen Matthäusevangelium geschildert wird? Die Sache ist sehr fraglich. Nicht einmal der Stern kann geradezu mit dem des Matthäus identificirt werden, da Ignatius die Pracht des seinigen dadurch erhöht, daß er alle andern Gestirne sammt Sonne und Mond einen Chorreigen um ihn bilden läßt. Wenn derselbe als Folge von dem Aufgang seines Wunderstern bezeichnet, daß alle Magie ihre Auflösung fand*), jede Fessel der Bosheit gesprengt, die unwissenheit aufgehoben, das alte Königthum vernichtet wurde — so ist es wiederum fraglich, ob er diese Bedeutung des Sterns, daß er das Ende aller Magie war, der Geschichtsdarstellung entlehnte, die wir gegenwärtig im Matthäusevangelium lesen, oder ob sie einer der Keime ist, aus welchen das plastische Gebilde unseres Evangeliums hervorwuchs. Gewiß ist nur, daß JgnatiuS die Bekanntschaft mit einer Begebenheit voraussetzt, in der der Eindruck, den der Stern machte, wirklich an den Tag kam — seine Beschreibung des Sterns macht es ferner sehr unwahrscheinlich, daß er die Darstellung unseres Evangeliums kannte, und mehr als die Möglichkeit, daß die Anschauung, auf die er sich bezog, einer der Versuche seyn kann, durch welche die Vollendung des Bildes, welche uns das Matthausevangelium erhalten hat, all- mählig erreicht ist, können wir für jetzt, ehe der Verlauf unserer untersuchung uns nicht die Entstehungszeit der ignatianischen Briefe gelehrt hat, nicht behaupten. | By the way, it is probable that also the infancy story of Matthew’s Gospel came into being gradually, passed through different forms and attempts until the happy one came who gave it the present completion. In the letter of Ignatius to the Ephesians**) there is also described a star that rose at the coming of Jesus and “outshone all the stars”. The author of that letter foresees from this star that it served to announce and reveal the Messiah to the world and to make him manifest***), he also says that the star aroused the astonishment and amazement of the people, so he also makes the rising of the star a certain event, in the course of which the impression that the star made on the people came to light – but is this event the same that is described in the present Gospel of Matthew? The matter is very doubtful. Not even the star can be identified with the one of Matthew, since Ignatius increases the splendor of his by making all other stars together with the sun and the moon form a chorus around it. If he describes as a consequence of the rising of his miracle star that all magic found its dissolution*), every fetter of wickedness was burst, ignorance was abolished, the old kingship was destroyed – so it is again questionable whether he borrowed this meaning of the star, that it was the end of all magic, from the historical representation, which we read at present in the gospel of Matthew, or whether it is one of the seeds, from which the plastic structure of our gospel grew out. It is certain only that Ignatius presupposes the acquaintance with an event in which the impression made by the star really came to light – his description of the star makes it further very improbable that he knew the representation of our Gospel, and more than the possibility that the view to which he referred may be one of the attempts by which the completion of the picture which the Gospel of Matthew has preserved for us has been achieved, we cannot assert for now, until the course of our investigation has taught us the time of origin of the Ignatian letters. |
335** | **) §. 19. Die Frage nach der Aechtheit des Briefs braucht hier noch nicht aufgeworfen zu werden.
***) Den Uebergang zu seiner Beschreibung des Sternes macht er nämlich mit der Frage: wie ward er also (der Messias) der Welt offenbar ? πως ουν εφανερωθη τοις αιωσιν |
**) § 19 The question about the authenticity of the letter does not need to be raised here.
***) The transition to his description of the star he makes with the question: how was he (the Messiah) revealed to the world? πως ουν εφανερωθη τοις αιωσιν |
336* | *) οθεν ελυετο πασα μαγεια | *) οθεν ελυετο πασα μαγεια |
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Neil Godfrey
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