193 |
11.Dir Ehebrecherin.C. 7, 53- 8, 11. |
11.The adulteress.C. 7, 53- 8, 11. |
193/194 | Wenn die Erzählung von der Ehebrecherin die Ahndung einer höhern Welt-Ordnung erweckt, in welcher die Gegensätze dieser Welt ihren Werth verloren haben, und die Collision zwischen dem positiven Gesetz und einer Abschätzung des innern Werths, die nach einem unendlich weiter und tiefer greifenden Maaßstab, als dem geschriebenen, gesetzlichen Buchstaben geschieht, in der That und in reeller Weise gelöst zu werden scheint, da die Lösung in dem Willen und Bewußtseyn Jesu, dieser wirklichen und doch über die Schranken der Wirklichkeit unendlich erhabenen Person, ihren Grund und ihre Bürgschaft besitzt, so ist der Eindruck des Berichts doch nur im ersten Augenblick dieser ergreifende, scheint die Collision nur im ersten Augenblick nicht haltlos und die Lösung gründlich und natürlich herbeigeführt zu seyn. Sobald der erste Eindruck verklungen ist und die Worte, mit denen Jesus die Ankläger und Versucher entwaffnet: „wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie,” ihre erste Wirkung gehabt und das unbestimmte Gefühl von der Erhabenheit der himmlischen Justiz über der juristischen, so wie die Ahndung eines Maaßstabs erweckt haben, der über die Gegensätze der gesetzlichen Werthbestimmung unendlich hinübergreift, macht sich auch sogleich das Gefühl geltend, daß die Collision im Grunde doch haltlos und eben so unver- haltnißmäßig ist wie die Lösung, in der der Widerspruch ihrer beiden Seiten sein Ende finden soll. Denn kann das wirklich eine Lösung der Collision genannt werden, wenn die eine Seite, das offenbare Gesetz und das Recht der Wirklichkeit in der Idealität einer höhern Welt schlechthin nur aufgelöst und verflüchtigt wird? Jst das Recht der wirklichen Wett in der That auf erschöpfende Weise gewürdigt, wenn daran erinnert wird, daß es sich durch die einzelne Person als solche nicht ausführen lasse, und wenn es dann von der Person, die mehr als ein bloß einzelner Mensch seyn will und als solche gilt, schlechthin aufgehoben wird? Handelt denn der Richter, der nach dem offenbaren Gesetz Recht spricht, als diese einzelne Person? Kann also seine persönliche Sündhaftigkeit wirklich ein Grund seyn, der ihn von der Ausführung des Gesetzes abhalten müßte — ein Grund, seinem Ausspruch die Rechtskraft abzuspre- chen? und der höhere Maaßstab, der über alles Maaß der wirklichen Verhältnisse hinausgehen, den irdischen und gesetzlichen Richter entwaffnen, den Verbrecher der Strafe deS Gesetzes entziehen soll — ist er. nicht verhältnißlos, Nichts sagend, da er Nichts mehr mißt und nur die leere Aufhebung des Maaßes überhaupt ist? | If the story of the adulteress awakens the perception of a higher world order, in which the opposites of this world have lost their value, and the collision between the positive law and an estimation of the inner value, which takes place according to an infinitely wider and more profound standard than the written, legal letter, seems to be solved in fact and in a real way, Since the solution has its reason and its guarantee in the will and consciousness of Jesus, this real person who is infinitely above the limits of reality, the impression of the report is only in the first moment this gripping, the collision seems only in the first moment not to be untenable and the solution to be brought about thoroughly and naturally. As soon as the first impression has faded away and the words with which Jesus disarms the accusers and tempters: “He who is without sin among you, let him cast the first stone at her,” have had their first effect and have awakened the vague feeling of the sublimity of heavenly justice above juridical justice, as well as the perception of a standard of measure that infinitely transcends the contradictions of the legal determination of values, the feeling immediately asserts itself that the collision is basically untenable and just as unsustainable as the solution in which the contradiction of its two sides is to find its end. For can this really be called a solution of the collision, if one side, the obvious law and the right of reality, is only dissolved and evaporated in the ideality of a higher world? Is the right of the real bet in fact appreciated in an exhaustive manner when it is recalled that it cannot be executed by the individual person as such, and when it is then abolished par excellence by the person who wants to be more than a mere individual human being and is regarded as such? Does then the judge, who gives justice according to the revealed law, act as this individual person? Can, then, his personal sinfulness really be a reason that should prevent him from carrying out the law – a reason to deny his pronouncement the force of law? and the higher standard of measure, which is to go beyond all measure of the real circumstances, to disarm the earthly and legal judge, to withdraw the criminal from the punishment of the law – is it not unrelated, saying nothing, since it no longer measures anything and is only the empty abolition of the measure in general? |
194/195 | Kurz, der Mißklang, der den Bericht durchzieht, der die Collision haltlos und übertrieben macht und in der unverhält- nißmäßigkcit des Schlusses als zerreißende Dissonanz endet, ist schon in der ersten Anlage des Berichts begründet, liegt schon darin, daß der streitige Fall die Form des äußersten Vergehens seiner Art hat, beginnt damit, daß die Pharisäer und Schriftgelehrten einen Fall, der so klar ist, daß er zum Zweifel nicht einmal Anlaß geben konnte, zu ihrer Versuchung benutzen wollen — er erhält sich, so lange die Pharisäer dastehen und auf die Lösung einer Schwierigkeit warten, die sie von vornherein selbst schon gelöst haben, als sie das geoffenbarte Gesetz anführten, welches auf den Ehebruch die Todesstrafe setzt — und er kann nur damit enden, daß er zum leeren Schrei wird und jeden Gedanken an Harmonie und Zusammenhang zerstört. Konnte der Schein einer Schwierigkeit nur dadurch erweckt und behauptet werden, daß die Pharisäer ihre eigne Voraussetzung, wonach der Fall ohne alle Widerrede entschieden war, vergessen, daß sie das Gesetz, auf welches sie sich selbst berufen, von vornherein außer Wirksamkeit setzen, so war das unbestimmte Nichts, in dem die Wirklichkeit mit ihren Gesetzen verschwindet, das leere Dunkel, in dem es keine Verhältnißmäßigkeit mehr gibt, die unbegreifliche Aufhebung des geoffenbarten Gesetzes die einzig angemessene Lösung. | In short, the dissonance that pervades the report, that makes the conflict untenable and exaggerated and ends in the disproportionate conclusion as a tearing dissonance, is already founded in the first layout of the report, already lies in the fact that the disputed case has the form of the extreme offense of its kind, begins with the fact that the Pharisees and scribes want to use a case that is so clear that it could not even give rise to doubt to their temptation – it is preserved as long as the Pharisees stand there and wait for the solution of a difficulty that they themselves have already solved in advance, It is maintained as long as the Pharisees stand and wait for the solution of a difficulty which they themselves have already solved from the beginning, when they invoked the revealed law which imposes the death penalty on adultery, and it can only end by becoming an empty cry, destroying all thought of harmony and coherence. If the appearance of a difficulty could only be aroused and asserted by the Pharisees forgetting their own presupposition, according to which the case was decided without any contradiction, that they put the law, on which they themselves refer to, out of effect from the beginning, then the indeterminate nothingness, in which reality disappears with its laws, the empty darkness, in which there is no relationship any more, the incomprehensible abolition of the revealed law was the only adequate solution. |
195/196 | Das Gefühl der Schwierigkeiten, die den Bericht durchziehen und endlich zersprengen, hat schon im Alterthum der Kirche die Gläubigen beunruhigt und dazu aufgefordert, sich nach wirksamen Hilfsmitteln umzusehen, namentlich war es die peinlich- juristische uebertreibung, daß eine auf der That ergriffene Ehebrecherin als Gegenstand der Streitfrage auf den Schauplatz geführt wird, und die grelle Aushebung des Gesetzes und der richterlichen Autorität, was die Bedenken der Gläubigen erregte und endlich bewirkte, daß man den anstößigen Bericht ganz und gar strich. Die gläubige Kritik, die von der Voraussetzung ausgeht, daß die Schrift, in der sich diese Erzählung findet, nur von einem Augenzeugen herrühren und dieser Augenzeuge immer nur Gotteswürdiges berichten könne, diese Kritik, die die Entstehung des Berichts weder untersuchen kann, noch untersuchen will, die noch weniger im Stande ist, die Schwierigkeiten des Berichts klar aufzufaffen und sich zum Bewußtseyn zu bringen, die also auch nicht auf die Frage kommen kann, ob die unverhält- nißmäß igkeit, die der Eollision und ihrer Lösung eigen ist, nicht deruebertreibung und Haltungslosigkeit entspricht, mit der der vierte Evangelist auch sonst immer seine Gegensätze und Collisionen bis zur Verhältnißlosigkeit hinaufschraubt, — diese gläubige Kritik kann sich nur mit dem Gewaltstreich helfen, daß sie behauptet, der anstößige Bericht könne nicht von dem Verfasser des Evangelium herrühren. | The feeling of difficulties, which pervade the report and finally break it up, has already in the antiquity of the church worried the faithful and prompted them to look for effective remedies, especially it was the embarrassing legal exaggeration, In particular, it was the embarrassing juridical exaggeration, that an adulteress caught in the act was brought to the scene as the subject of the controversy, and the blatant exaltation of the law and the judicial authority, which aroused the concerns of the faithful and finally caused that the objectionable report was deleted altogether. The believing criticism, which starts from the premise that the scripture in which this account is found can only come from an eye-witness and that this eye-witness can only ever report what is worthy of God, this criticism, which can neither examine nor wants to examine the origin of the account, which is even less able to clearly comprehend the difficulties of the account and to bring them to consciousness, which therefore cannot come to the question either, This faithful criticism can only help itself by the violent stroke of claiming that the objectionable report could not have come from the author of the Gospel. |
196 | Trotz des Widerspruchs nicht weniger und darunter ausgezeichneter Handschriften gehört der Bericht dem vierten Evangelium ursprünglich an. Er darf ihm nicht fehlen — darf ihm gerade hier nicht fehlen. | Despite the contradiction of not a few and among them excellent manuscripts, the report originally belongs to the fourth Gospel. It must not be missing from it – must not be missing from it just here. |
196/197 | Als der Evangelist im vorhergehenden Abschnitt die Sitzung des Synedrium eröffnete, hatte er Alles berichtet, was er vom Volke zu sagen hatte, war das Volk entlassen und konnte es nach Hause gehen. Er gab jetzt den Schluß des Berichts, indem er zeigte, wie dieselbe Spaltung, die den Volkshaufen durchzog, auch im Synedrium und zwar in der Theilnahme, die Nikodemus dem bedrängten Herrn schenkte, und im Hohn und Spott der Priester und Pharisäer sich äußerte. Der Abschnitt ist mit dieser Wiederholung der Spaltung, die den Volkshaufen trennte, ja mit dieser Steigerung der Spaltung abgeschlossen — das Jnteresse, das den Bericht durchzieht, ist durch alle Stufen und Verhältnisse, bis zur Spitze des jüdi- chen Lebens hindurchgeführt und damit vollständig befriedigt. Der Streit, der C. 8, 12 nach der Erzählung von der Ehebrecherin beginnt, hat wieder seine eigene Bewegung, steigert sich wieder zu seiner eigenthümlichen Spitze, bis zum Ausbruch der Wuth, mit der die Juden nach den Steinen greisen, um dem Herrn ans Leben zu gehen. So wenig der Vierte die Gesetze der Proportion kennt, so hatte er doch noch ein Gefühl, welches ihm sagte, wo er seinen Streitreden und Zänkereien eine Art von Gränze zu setzen habe, fühlte er doch wenigstens, daß da, wo das Gewirre des Streits bis zur letzten Spitze gestiegen, eine Art von Schluß unumgänglich nothwendig sey — mit andern Worten: ein Schriftsteller, der in dem Grade wie der Vierte sich abmüht, dem Zank zwischen dem Volk und dem Herrn immer neue Nahrung und eine neue eigenthümliche Bewegung zu geben, ermattet auch zuletzt, hat das Bedürfniß, sich auch einmal auszuruhen, und wird sich gewiß ausruhen, die Partheien nach Hause schicken und neuen Athem schöpfen, wenn er den Zank bis zu seiner letzten Spitze oder bis zu dem Punkte geführt hat, wo die Gegner seines Herrn nach den Steinen greifen. Wenn daher am Schluß des zweiten Abschnitts C. 8, 59 der Herr sich zurückzieht, so mußte dasselbe auch am Schluß des ersten Abschnitts berichtet seyn: — nachdem das Synedrium das Volk des ersten Abschnitts in Vergessenheit gebracht hat und die haltlose unbestimmtheit des Schlusses C. 7,53: „jeder begab sich nach Hause”, nur daher entstanden ist, weil der Verfasser jetzt, wo er die Mitglieder des Synedrium nach Hause schickt, nach einer so weiten Formel suchte, daß auch das längst vergessene Volk in dieselbe zur Noth eingefügt werden konnte, mußte auch das Volk von neuem auf den Schauplatz geführt werden d. h. die Erzählung von der Ehebrecherin, welche Jesum von neuem mit dem Volk umgibt (C. 8, 2) und ihm somit das Auditorium für den neuen Zank über seine messianische Hoheit zuführt, gehört dem Evangelium ursprünglich an und ist demselben in seinem eigenen Jn- teresse nothwendig und unentbehrlich. | When the evangelist opened the meeting of the synod in the previous section, he had reported all that he had to say of the people, the people were dismissed and they could go home. He now gave the conclusion of the report by showing how the same division that pervaded the crowd also manifested itself in the synod, namely in the sympathy that Nicodemus gave to the afflicted Lord and in the scorn and derision of the priests and Pharisees. The section is concluded with this repetition of the division that separated the crowd, indeed with this heightening of the division – the interest that runs through the report is carried through all stages and circumstances, to the top of Jewish life, and is thus completely satisfied. The quarrel that begins ch. 8, 12 after the story of the adulteress has its own movement again, rises again to its peculiar peak, until the outbreak of rage, with which the Jews reach for the stones to go to the life of the Lord. As little as the fourth knows the laws of proportion, he still had a feeling that told him where he had to set a kind of limit to his speeches and quarrels, he at least felt that where the tangle of quarrels had risen to its final peak, some kind of conclusion was inevitable – in other words: a writer who to the same degree as the fourth one labors to give the quarrel between the people and the lord ever new nourishment and a new characteristic movement also tires at last, feels the need to rest once in a while, and will certainly rest, send the parties home, and draw new breath when he has led the quarrel to its final climax or to the point where his lord’s opponents reach for the stones. Therefore, if at the end of the second section ch. 8, 59 the Lord withdraws, the same must have been reported at the end of the first section: – after the Synedrium has made the people of the first section forget and the groundless indefiniteness of the conclusion ch. 7,53: “everyone went home”, only arose because the author, now that he sends the members of the Synedrium home, was looking for such a broad formula that also the long forgotten people could be inserted into it, the people had to be led anew to the scene, i.e. the narrative of Ephesians had to be continued. The story of the adulteress, which surrounds Jesus anew with the people (ch. 8, 2) and thus provides him with the audience for the new dispute about his messianic sovereignty, originally belongs to the gospel and is necessary and indispensable to it in its own interest. |
197/198 | Der Vierte hat dießmal wie immer bisher gearbeitet, so, wie er bis zum Schluß seiner Schrift arbeiten wird. Er hat einen Contrast, den er nicht selbst geschaffen, in seiner Weise vollendet, indem er ihn übertrieben, verwirrt und entstellt hat — er hat Voraussetzungen, die im synoptischen Ge- schichtskreise ihre Heimath haben, in seiner Weise fortgebildet und wie er auch sonst thut, im Augenblick dieser Fortbildung nicht einmal in seine Darstellung mitherüberge- nommen, sondern die Grundgestalt, die jenseits seiner Schrift stehen bleibt und doch ein wesentliches Element seiner Darstellung ist, ohne Weiteres als bekannt, ja, als einen Bestandtheil seiner eignen Arbeit vorausgesetzt. UM es kurz zu sagen: warum halten die Pharisäer und Schristgelehrten einen Fall, der vom Gesetz so bestimmt vorausgesehen und ohne Widerrede entschieden ist, für einen passenden Anlaß zu einer Versuchung? Warum rechnen sie darauf, daß Jesus an die ausdrückliche Entscheidung des Gesetzes sich nicht kehren und die Ehebrecherin frei sprechen werde? Warum rechnet der Evangelist darauf, daß der Leser die Eollision sogleich und ohne Wink von seiner Seite verstehen und wissen werde, welche bestimmte Macht und Maxime des Messias dießmal dem strengen Buchstaben des Gesetzes gegenüberstehe? | The fourth has worked this time as always before, as he will work until the end of his writing. He has completed a contrast in his own way, which he did not create himself, by exaggerating, confusing and distorting it – he has developed in his own way presuppositions, which have their home in the synoptic historical circle, and as he does otherwise, at the moment of this further development, he has not even included them in his presentation, but has taken the basic form, which remains beyond his writing and is nevertheless an essential element of his presentation, for granted as known, yes, as a component of his own work. To put it briefly: why do the Pharisees and the scholars of Christ consider a case, which is so definitely foreseen by the law and decided without contradiction, as a suitable occasion for a temptation? Why do they count on Jesus not to turn back on the explicit decision of the Law and to acquit the adulteress? Why does the evangelist count on the reader to understand the collision immediately and without a hint from his side and to know which certain power and maxim of the Messiah is opposed to the strict letter of the law? |
198/199 | Darum — das ist die Antwort — halten sich die Pharisäer für berechtigt, darauf zu rechnen, daß sich Jesus nicht gegen die Sünderin erklären, ja, daß er sie frei sprechen werde, weil ihnen der Vierte die Kenntniß von dem Charakter Jesu, die er aus der Schrift des Lukas gewonnen, von vornherein mitgetheilt hat. Darum rechnet der Evangelist darauf, daß der Leser, wenn die Pharisäer die Sünderin herbeiführen, sogleich wissen werde, um was eS sich handelt, weil er voraussetzt, der Leser werde in seiner Ehebrecherin augenblicklich die Sünderin des LukaS erkennen. Aus dieser Sünderin hat er die Ehebrecherin geschaffen — jenseits seiner Schrift steht die urgestalt, draußen die Voraussetzung, daß Jesus die Sünder annehme, draußen das Grundgesetz des Himmelreichs, daß die Sünder angenommen, die Gerechten verworfen werden, — und was draußen stehen bleibt, vom Evangelisten ohne Weiteres vorausgesetzt wird, übertreibt, entstellt und vernichtet er in demselben Augenblick, in dem er es voraussetzt und sogar des Glaubens lebt, es sey in seinem Bericht in der Klarheit und Durchsichtigkeit der Urgestalt vorhanden. Wenn die Sünder, mit denen der Jesus des Marcus E. 2, 15 nach der Berufung des Zöllners Levi zum Aergerniß der Pharisäer und Schriftgelehrten zusammen ißt, die Sünder, die er (ebend. V. 18) zur Buße zu rufen gekommen ist, während die Gerechten seines Bußerufs nicht bedürfen, — wenn diese Sünder des Marcus die wahren Sünder sind, die in der Urgestalt dieses Spruchs den richtigen und ursprünglichen Gegensatz zu den Gerechten bilden, die Sünder nämlich, die mit den Zöllnern in Einer Linie stehen — die Sünder, die nur in den Augen der Welt und nach dem urtheil derjenigen, die bisher im Besitz der geschichtlichen Privilegien standen, als Sünder und als verworfen gelten — hat Lukas (C. 7, 36—50) diese evangelische Kategorie aus dem Gegensatz der geschichtlichen Geltung und Verworfenheit herausgeführt und in den Gegensatz der gesetzlichen Schuld und Gerechtigkeit versetzt, indem er eine wirkliche Sünderin zum Aergerniß eines Pharisäers mit Jesus in Berührung brächte——-aber er hat sich doch we> nigsteS noch gehütet, das bestimmte gesetzliche Vergehen der Sünderin zu specialisiren und den umstand, daß Jesus sich für sie erklärte und sich ihrer gegen die pharisäische Härte annahm, durch die rührende Art, mit der sie ihm ihre Liebe bewies, motivirt————dem Vierten erst war es Vorbehalten, die Kategorie, die ursprünglich mit der Bestimmtheit der gesetzlichen Schuld Nichts zu thun hatte, in das Gebiet des Eriminali- stischen und Hochnothpeinlichen zu verlegen und Jesus dahin zu bringen, daß er die Verbrecherin aus einem Grunde begnadigte, der, wenn er ernsthaft genommen würde und auf Geltung Anspruch machen wollte, alle Gerichte der Welt zum Stillstand bringen müßte. | Therefore – this is the answer – the Pharisees consider themselves entitled to count on the fact that Jesus will not declare himself against the sinner, yes, that he will absolve her, because the Fourth has communicated to them from the beginning the knowledge of the character of Jesus, which he gained from Luke’s writing. Therefore the evangelist counts on the fact that the reader, when the Pharisees bring the sinner, will immediately know what it is about, because he assumes that the reader will immediately recognize the sinner of Luke in his adulteress. From this sinner he has created the adulteress – beyond his writing stands the original figure, outside the presupposition that Jesus accepts the sinners, outside the basic law of the kingdom of heaven that the sinners are accepted, the righteous rejected – and what remains outside, presupposed by the evangelist without further ado, he exaggerates, distorts and destroys at the same moment in which he presupposes it and even lives in the belief that it is present in his report in the clarity and transparency of the original figure. When the sinners with whom the Jesus of Mark ch. 2, 15 eats together after the calling of the tax collector Levi to the annoyance of the Pharisees and scribes, the sinners whom he (ibid. V. 18) to repentance, while the righteous do not need his call to repentance, – if these sinners of Mark are the true sinners, who in the original form of this saying form the correct and original contrast to the righteous, namely the sinners who stand in one line with the tax collectors – the sinners who are only considered sinners and rejected in the eyes of the world and according to the judgment of those who until now were in possession of the historical privileges – Luke (ch. 7, 36-50) takes this evangelical category out of the opposition of historical validity and depravity and puts it into the opposition of legal guilt and righteousness by bringing a real sinner into contact with Jesus to the annoyance of a Pharisee——-but he has still been careful to specialize the particular legal offense of the sinner and the circumstance that Jesus declared himself for her and took care of her against the Pharisaic harshness, The fourth was reserved to transfer the category, which originally had nothing to do with the definiteness of the legal guilt, into the realm of the criminal and highly embarrassing, and to bring Jesus to the point that he pardoned the criminal for a reason which, if it were taken seriously and wanted to claim validity, would have to bring all the courts of the world to a standstill. |
199/200 | Der Vierte hat nicht nur übertrieben und die Voraus setzung, die er entstellt, zugleich außerhalb seines Berichts stehen lassen: — er hat auch in seiner gewöhnlichen Manier Interessen, die miteinander Nichts zu thun haben zusam in eng ehäuft, und ineinander gewirrt; während nur das Aergerniß, welches die Pharisäer und Schriftgelebrten an seiner Vertrautheit mit den Sündern nehmen, den Jesus des Marcus zu seinem Spruch über die Nothwendigkeit des Arztes für die Kranken und des Buß- predigers für die Sünder bringt, während auch Lukas dabei bleibt, daß nur das pharisäische Aergerniß an der Duldung, die Jesus der Sünderin widerfahren läßt, die Aeußerungen des Herrn hervorruft, hat der Vierte das — als bekannt vorausgesetzte — Benehmen Jesu gegen die Sünder zu einer Colli- sion benutzt, läßt er die Pharisäer den bestimmten Fall der Ehebrecherin und die bekannte Gesinnung Jesu zu einer Versuchung benutzen — zu einer Versuchung, wahrend der Fall von ihm so grell bestimmt gebildet ist und die Pharisäer die ganze Angelegenheit selbst so sicher entscheiden, daß jeder Anlaß zu einer Kollision und Versuchung verschwindet. | The fourth has not only exaggerated and at the same time left the premise he distorts outside his report: – he has also, in his usual manner, heaped together interests that have nothing to do with each other, and confused them with each other; While only the annoyance, which the Pharisees and scribes take at his familiarity with sinners, brings the Jesus of Mark to his saying about the necessity of the physician for the sick and the penitential preacher for sinners, while Luke also sticks to the fact that only the Pharisaic annoyance at the toleration, which Jesus gives to the sinner, causes the remarks of the Lord, If the Fourth has used Jesus’ behavior against sinners – presupposed as known – for a collision, he lets the Pharisees use the particular case of the adulteress and the known attitude of Jesus for a temptation – for a temptation, while the case has been formed by him so glaringly determined and the Pharisees decide the whole matter themselves so surely that every occasion for a collision and temptation disappears. |
200 | s ist klar: der Vierte hat die Versuchungen, denen der Jesus der Synoptiker nach seinem Einzug in Jerusalem ausgesetzt ist, im Auge und ein Interesse, welches erst im Augenblick des letzten Kampfes an seiner Stelle ist, in einen Bericht verwebt, mit dessen Grundvoraussetzung es Nichts zu thun hat. Die Worte: „das sagten sie aber, um ihn zu versuchen, damit sie eine Sache zu ihm hätten,” hat er sogar nur den synoptischen Schriften zu verdanken*). | It is clear: the Fourth has in mind the temptations to which the Jesus of the Synoptics is exposed after his entry in Jerusalem, and has woven an interest, which is only in its place at the moment of the last struggle, into a report with whose basic premise it has nothing to do. The words: “but they said this to try him, that they might have a cause to him,” he owes even only to the synoptic writings*). |
200* | *) Joh. 8, 6: τοῦτο δὲ ἔλεγον πειράζοντες αὐτόν, ἵνα ἔχωσιν κατηγορεῖν αὐτοῦ
Marc. 12, 13: . . . . . ἵνα αὐτὸν ἀγρεύσωσιν λόγῳ. V. 15: τί με πειράζετε Marc. 3, 2: . . . . . ἵνα κατηγορήσωσιν αὐτοῦ. Luk. 20, 20: . . . . . ἵνα ἐπιλάβωνται αὐτοῦ λόγου, εἰς τὸ παραδοῦναι αὐτὸν τῇ ἀρχῇ |
John 8:6 τοῦτο δὲ ἔλεγον πειράζοντες αὐτόν, ἵνα ἔχωσιν κατηγορεῖν αὐτοῦ
Mark 12:13 . . . . . ἵνα αὐτὸν ἀγρεύσωσιν λόγῳ. v. 15: τί με πειράζετε Mark 3:2 . . . . . ἵνα κατηγορήσωσιν αὐτοῦ. Luke 20:20. . . . . ἵνα ἐπιλάβωνται αὐτοῦ λόγου, εἰς τὸ παραδοῦναι αὐτὸν τῇ ἀρχῇ |
201 | Er, der Nichts weniger kannte, als die Gerichtsverfassung der Juden zur Zeit Jesu und nicht daran dachte, daß seine spätern Leser daran Anstoß nehmen würden, daß die Pharisäer nicht von der Erdrosselung sprechen, die nach dem fast einstimmigen Zeugniß der Rabbiner die spätere Strafe für den Ehebruch war, laßt die Pharisäer von der alt-gesetzlichen Strafe der Steinigung sprechen, weil er jene letzten synoptischen Versuchungen im Auge hat und, ebenso wie Marcus im Verlauf derselben thut, bei einem Gespräch über Ehesachen auf das Gesetz Mose’s die Rede kommen lassen wollte*).
Während Marcus in seiner Einfachheit jene letzten Versuchungen entweder mit der schlagenden Antwort Jesu erledigt oder nur bemerkt, wie die Versucher über die treffende und überraschende Genauigkeit der Lösung sich verwunderten, und zuletzt nur berichtet, daß Niemand ihn mehr fragen durfte — da ist der Vierte, dem Alles Einfache als arm und dürftig gilt, allerdings reicher: — er beschreibt es genau, wie die Versucher nach der abfertigenden Antwort Jesu hinwegschlichen „einer nach dem Andern von den Aeltesten an”. Schade nur, daß er uns nicht auch sagt, wer denn die jüngere und niedere Ehrenklasse dieser jüdischen Clerisey war und welche Ehren- und Altersclasse den Zug schloß. Schade, daß er mit dem Schein der Anschaulichkeit beginnt und sogleich nach dem Beginn aufhören muß — schade, daß er von den Rangstufen dieser Clerisey, die er recht malerisch abtreten lassen möchte, keine Ahndung hat! |
He, who knew nothing less than the judicial system of the Jews at the time of Jesus and did not think that his later readers would take offense at the fact that the Pharisees do not speak of strangulation, which according to the almost unanimous testimony of the rabbis was the later punishment for adultery, let the Pharisees speak of the old-legal punishment of stoning, because he has in mind those last synoptic temptations and, just as Marcus does in the course of the same, wanted to bring up the law of Moses in a conversation about marriage matters*).
While Mark in his simplicity either finishes those last temptations with the striking answer of Jesus or only notices how the tempters were astonished about the striking and surprising accuracy of the solution, and finally only reports that no one was allowed to ask him anymore – the fourth, to whom everything simple is considered poor and meager, is richer, however: – he describes it exactly how the tempters, after the dismissive answer of Jesus, slipped away “one after the other from the elders on”. It is a pity that he does not also tell us who were the younger and lower class of honor of this Jewish clerisy and which class of honor and age closed the procession. It is a pity that he begins with the appearance of vividness and must stop immediately after the beginning – it is a pity that he has no idea of the ranks of this clerisy, which he would like to let pass quite picturesquely! |
201* | *) Joh, 8, 5: ἐν δὲ τῶ νόμῳ ἡμῖν μωϊσῆς ἐνετείλατο.
Marc. 10, 3: τί ὑμῖν ἐνετείλατο μωϊσῆς. |
*) John 8:5 ἐν δὲ τῶ νόμῳ ἡμῖν μωϊσῆς ἐνετείλατο.
Mark 10:3 τί ὑμῖν ἐνετείλατο μωϊσῆς. |
201/203 | Die Synoptiker werden ihm seinen Reichthum von Herzen gönnen. Hat er es doch nur dem Marcus*) nachgeschrieben, daß Jesus dießmal beim Lehren sitzt — stellen seine Pharisäer doch nur deshalb die Ehebrecherin in die Mitte, weil der Jesus der Synoptiker auch einmal, als die Pharisäer auf eine Gelegenheit lauern, um ihn anzuklagen, als sie nämlich Acht gaben, ob er den Menschen mit der verdorrten Hand am Sabbath heilen würde, dem Kranken befahl: stell dich in die Mitte!**) — ist das Wort, mit dem sein Jesus die Ehebrecherin entläßt: „gehe!” doch nur dasselbe, mit dem der Jesus des Lukas die Sünderin entläßt, und der Zusatz seines Jesus: „und sündige nicht mehr!” nur die paränetische Abschwächung des synoptischen Kraftworts: „dir sind deine Sünden vergeben”***) — sind die Schriftgelehrten, die er sonst nicht erwähnt, doch nur deshalb mit den Pharisäern in Verbindung getreten, weil er den Abschnitt der synoptischen Evangelien im Auge hat, wo die Pharisäer und Schristgelehrten auftreten, um Jesum durch Fragen zu fangen — verdankt er doch endlich nur dem Lukas „das ganze Volk” als Auditorium, während er sonst nur „die Haufen” kennt. Wenn nämlich Lukas, während Marcus den Leser nur sehen, aber deutlich genug sehen läßt, daß Jesus, als ep Jerusalem besuchte, in Bethanien eine Herberge haben müsse, das Tagebuch soweit bis ins Einzelne führt, daß er berichtet (C. 21, 37. 38), wie „Jesus des Tags im Tempel lehrte, des Nachts aber hinausging und über Nacht am Oelberge blieb, und wie das ganze Volk sich frühe aufmachte, um ihn im Tempel zu hören”, hat der Vierte, was LukaS zur Gewohnheit Jesu gemacht hat, wörtlich zur Ausbildung Einer Scene benutzt. | The synoptics will grant him his wealth from the bottom of their hearts. He has only copied Mark*) that Jesus sits this time while teaching – his Pharisees only put the adulteress in the middle, because the Jesus of the Synoptics also once, when the Pharisees were waiting for an opportunity to accuse him, when they were careful whether he would heal the man with the withered hand on the Sabbath, ordered the sick man: stand in the middle!**) – is the word, with which his Jesus dismisses the adulteress: “go! “is only the same with which the Jesus of Luke dismisses the sinner, and the addition of his Jesus: “and sin no more! “(3) – if the scribes, whom he does not mention otherwise, are connected with the Pharisees only because he has in mind the passage of the Synoptic Gospels, where the Pharisees and the scholars of Christ appear to catch Jesus by questions – he owes finally only to Luke “the whole people” as an audience, while he knows otherwise only “the heaps”. If Luke, while Marcus only lets the reader see, but clearly enough, that Jesus, when he visited Jerusalem, had to have an inn in Bethany, he carries the diary so far into detail that he reports (ch. 21, 37. 38), how “Jesus taught in the temple during the day, but went out at night and stayed overnight at the Mount of Olives, and how all the people rose early to hear him in the temple”, the Fourth, which Luke made Jesus’ habit, literally used to form a scene. |
202* | *) V. 3. Marc. 12, 41: καὶ καθίσας.
**) Joh. 8, 3: στήσαντες αὐτὴν εἰς τὸ μέσῳ Luk. 6, 8: ἔγειρε καὶ στῆθι εἰς τὸ μέσον· Marc. 3, 4: ἔγειρε εἰς τὸ μέσον. ***) Joh. 8, 11: πορεύου, καὶ μηκέτι ἁμάρτανε. Vergleiche C. 5, 14. Luk. 7, 50: πορεύου εἰς εἰρήνην. Ferner Luk. 7, 48. Marc. 2, 11. 5. Luk. 5, 20.24. |
*) v. 3. Mark 12:41 καὶ καθίσας.
**) John 8:3 στήσαντες αὐτὴν εἰς τὸ μέσῳ Luke 6:8 ἔγειρε καὶ στῆθι εἰς τὸ μέσον· Mark 3:4 (sic.) ἔγειρε εἰς τὸ μέσον. (=Mark 3:3) ***) John 8:11 πορεύου, καὶ μηκέτι ἁμάρτανε. Compare ch 5:14 Luke 7:50 πορεύου εἰς εἰρήνην. Futher Luke 7:48. Mark. 2:11. 5. Luke 5:20. 24. |
203 | Kurz, der Abschnitt von der Ehebrecherin theilt nicht nur mit allen vorhergehenden Abschnitten des vierten Evangelium denselben allgemeinen Charakter, sondern er stimmt mit ihnen auch darin übcrein, daß ihn eben so wie alle andern Reminiscenzen aus den synoptischen Evangelien durchziehen. Er ist zugleich Plagiat und maaßlose Uebertreibung. Wie alle andern Abschnitte findet er seine Erklärung erst in der synoptischen Darstellung, deren Proportionen der Vierte zum Dank dafür, daß er sie benutzt, ins unverhältnißmäßige hinaustreibt. | In short, the passage about the adulteress not only shares the same general character with all the preceding passages of the Fourth Gospel, but it also agrees with them in the fact that all the other reminiscences from the Synoptic Gospels run through it. It is at the same time a plagiarism and an exaggeration without measure. Like all other passages, it finds its explanation only in the synoptic representation, the proportions of which the fourth, in gratitude for using them, drives out into the disproportionate. |
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Neil Godfrey
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