239 |
7.Das Verhör vor Pilatus. |
7.The Interrogation before Pilate. |
239 | Bewundernswürdig wie das Geschick, mit dem der Vierte das Verhör vor dem Hohenpriester geleitet hat, ist auch die Kunst, mit der er die Verhandlungen zwischen Pilatus, Jesus und den Juden zu Ende führt.
Obwohl die Juden trotz alles Geredes über das Todes« würdige des Verbrechens Jesu kein Wort über die Natur des Verbrechens selbst hatten fallen lassen, fragt Pilatus drinnen im Prätorium seinen Gefangenen (C. 18, 33), ob er der Judenkönig sey. |
Admirable is the skill with which the Fourth Gospel describes the interrogation of Jesus before the high priest, as well as the artful way in which he concludes the negotiations between Pilate, Jesus, and the Jews.
Although the Jews had not mentioned a word about the nature of Jesus’ crime, despite all their talk about its “worthiness of death,” Pilate asks his prisoner (Ch. 18, 33) whether he is the king of the Jews. |
239/240 | Jesus stellt ihm die Gegenfrage, ob er das von sich selber spreche, oder ob es ihm Andere gesagt haben, d. h. ob er seinen Anspruch auf die Königswürde vom römischen Standpunkte aus betrachte oder von dem Standpunkte aus, von dem ihn seine jüdischen Ankläger betrachteten — nein! nein! er will es wissen, ob Pilatus in der Weise von sich selber spreche, daß in seiner Frage vielleicht ein göttlich gewirkter Glaube sich ausspricht — doch abermals nein! beide Richtungen der Frage, beide Tendenzen gingen dem Vierten durch den Kopf — er ist so reich an Gedanken und weiß die Sprache so meisterhaft zu handhaben, daß die Frage mit der sinnlosen Voraussetzung, der Römer könne als Römer den Anspruch Jesu aus die Königswürde anders betrachten als die Juden, oder die Juden würden dem römischen Beamten, wenn sie mit ihm über die Sache sprachen, sie nicht gerade in dem gefährlichen Lichte gezeigt haben, in dem sie dem Römer erscheinen mußte, zugleich die pretentiöse Wendung verbindet, wonach Jesus mit der angstvollen Sucht, die ihn im vierten Evangelium beständig plagt, selbst jetzt noch im Augenblick der Katastrophe dem entfernten Schein, daß er sich vielleicht einen neuen Anhänger verschaffen könne, entgegenblinzelt. | Jesus responds with a counter-question, asking whether Pilate is saying this of his own accord or whether others have told him, that is, whether Pilate is considering his claim to kingship from the Roman point of view or from the perspective of Jesus’ Jewish accusers. No! No! He wants to know whether Pilate is speaking in such a way that perhaps a divinely wrought faith is expressed in his question. But once again, the Fourth Gospel passes through both directions of the question, both tendencies. He is so rich in thoughts and so masterful in the use of language that the question combines the senseless assumption that the Roman, as a Roman, could view Jesus’ claim to kingship differently from the Jews, or that the Jews would not have shown the Roman officer the dangerous light in which the matter appeared to him if they spoke to him about it, with the pretentious turn according to which Jesus, with the anxious urge that constantly plagues him in the Fourth Gospel, even now, at the moment of catastrophe, blinks at the distant appearance that he might still gain a new follower. |
240 | Mit den Worten: „bin ich ein Jude? dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überliefert”, lehnt Pilatus jede Antwort ab, verläugnet er aber auch zugleich seine amtliche Stellung, die ihm die Untersuchung der vermeintlichen Ansprüche Jesu zur Pflicht machte. Obwohl er somit die Untersuchung von sich hinwegschiebt, fragt er dennoch in demselben Athemzuge: „was hast du gethan?” Jesus soll nämlich Anlaß zu seiner Erklärung erhalten, daß sein Reich nicht von dieser Welt sey — die neugierige Frage des Landpflegers: „also bist du doch ein König?” soll darauf dem Herrn die weitere Gelegenheit verschaffen, ein Paar Formeln seines dogmatischen Systems herzusagen, und da er zu diesem Zwecke auch das Wort „Wahrheit” in den Mund nimmt, so fragt Pilatus: „was ist Wahrheit?” und geht hinaus zu den Juden, damit das Gespräch endlich einmal zu Ende kommt. | With the words “Am I a Jew? Your own nation and the chief priests have delivered you to me,” Pilate refuses to give an answer, but at the same time he denies his official position, which obligated him to investigate the supposed claims of Jesus. Although he thus avoids the investigation, he still asks in the same breath, “What have you done?” Jesus is to receive an opportunity to explain that his kingdom is not of this world – the curious question of the governor, “So you are a king then?” is to provide the Lord with the further opportunity to recite a couple of formulas from his dogmatic system. And since he also uses the word “truth” for this purpose, Pilate asks, “What is truth?” and goes out to the Jews so that the conversation finally comes to an end. |
240/241 | Mit derselben unermüdlichen Ausdauer, die der Vierte bei der Ausarbeitung dieses Gesprächs bewiesen, führt er nun auch die Verhandlung zwischen Pilatus zmd den Juden aus — d. h. er läßt sie sich in die unendliche Langeweile verlaufen, läßt dieselben haltlosen Wendungen sich so oft wiederholen, daß das Machwerk seines Pragmatismus endlich in seiner eignen unfruchtbaren Einförmigkeit zerfallen muß. | With the same tireless perseverance that the Fourth Gospel has shown in crafting this dialogue, he now also leads the negotiation between Pilate and the Jews – that is, he lets it run into endless boredom, lets the same pointless phrases repeat so often that the product of his pragmatism must finally collapse in its own unproductive uniformity. |
241 | Pilatus spricht vor den Zuden (V. 38) seine Ueberzeugung von der Unschuld Jesu aus und schlägt doch nur, um ihn zu retten, den ängstlichen Mittelweg ein, daß er ihnen mit Berufung auf die Paschasitte, wonach er ihnen zu dieser Zeit einen Gefangenen losgab, den Vorschlag macht, ob er ihnen nicht den Judenkönig freigeben solle.
Er will den Angeklagten retten und reizt in unbesonnenem Muth willen die Juden durch die Form seines Antrags — er spricht als Richter und vergißt sich so weit, daß er den Unschuldigen mit dem Titel der von ihm verworfenen Anklage bezeichnet! Nachdem die Sache damit, daß Malus dem Volke, welches den Räuber Barrabas frei haben will, nachgibt, Jesum geißeln läßt und den Soldaten preisgibt, die ihm einen spöttischen Königsanzug anthun und ihn verhöhnen und mißhandeln — ihr Ende erreicht hat, fängt sie von vorn wieder an. Pilatus präsentirt den Juden den vermeintlichen König in seiner schmachvollen Pracht und ist so thöricht, die Hoffnung zu hegen, daß er damit für seine Anträge Gehör gewinnen werde (E. 19, 4)! Als die Hohenpriester und ihre Diener mit wildem Geschrei die Kreuzigung verlangen, erwidert ihnen Matus: „nehmt ihr ihn und kreuzigt ihn!” — und sie haben es ihm doch schon vorher gesagt, daß ihnen das Recht, die Todesstrafe zu vollziehen, nicht zustche! |
Pilate expresses his conviction of Jesus’ innocence before the crowd (v. 38), yet he only takes the anxious middle ground to save him by proposing, with reference to the Passover custom of releasing a prisoner at this time, whether he should not release the King of the Jews to them.
He wants to save the accused and, in his rash courage, provokes the Jews through the form of his proposal – he speaks as a judge and forgets himself so far that he designates the innocent with the title of the charge he has rejected! After the matter has thus reached its end, with Pilate giving in to the people who want to free the robber Barabbas, allowing Jesus to be scourged and handed over to the soldiers who dress him in a mocking royal outfit and ridicule and mistreat him, it starts all over again. Pilate presents the supposed king to the Jews in his shameful splendor and is so foolish as to hope that he will gain a hearing for his proposals (Jn 19:4)! When the chief priests and their servants demand Jesus’ crucifixion with wild cries, Pilate replies to them: “Take him yourselves and crucify him!” – yet they had already told him that they did not have the authority to carry out the death penalty! |
241/242 | In demselben Athemzuge, indem er ihnen den Gefangenen preisgibt, betheuert er nochmals seine Ueberzeugung von dessen Unschuld, damit ihn die Juden durch ihre Antwort: „nach unserm Gesetz ist er schuldig, weil er sich selbst zum Sohne Gottes gemacht hat”, „noch mehr” in Furcht versetzen, — und es ist bisher mit keinem Wort gesagt, daß ihm Jesus und die ganze Angelegenheit Scheu eingeflößt habe. | In the same breath, as he hands over the prisoner to them, he reiterates his conviction of his innocence, so that the Jews may “fear even more” with their response: “According to our law, he is guilty because he made himself the Son of God” – and it has not been said so far that Jesus and the whole matter have made him hesitant. |
242 | Seine wachsende Furcht treibt ihn wieder ins Prätorium zum Herrn und derselbe, der, wie es anfangs den Anschein hat, entschlossen ist, nicht mehr zu antworten, läßt sich endlich, da Pilatus ihm zu bedenken gibt, daß er Gewalt habe, ihn kreuzigen zu lassen oder ihn frei zu geben, zu einer Antwort bewegen, indem er den Spruch von der Macht der Finsterniß, deren augenblickliche Autorisation er in der Schrift des Lukas bei seiner Gefangennehmung (Luk. 22,53) anerkennt, variirt*) — ein drohendes Argument bestimmt ihn also, (so tief hat der Vierte seinen Herrn degradirt), seinen anfänglichen Vorsatz aufzugeben!
Während die Angelegenheit darauf in ihren ersten Anfang zurückfällt, Pilatus „von da an” (C. 19, 12), obwohl er von Anfang an bewiesen hatte, daß er diese Absicht habe, ihn frei zu lassen suchte, zwingt den Vierten die Natur der Sache, zu gleicher Zeit zum Schlußact Überzugehen — er weiß uns Nichts von Schritten zu berichten, die Pilatus versuchte, um seine Absicht zu erreichen — das Geschrei der Juden, daß Dieser sich zum König mache, dasselbe Geschrei also, das ihn vorher ungerührt ließ, bewegt ihn endlich, sich draußen auf den Nichtstuhl zu setzen und——- |
His growing fear drives him back to the Praetorium to the Lord, and the same one who, at first, appears determined not to answer anymore, finally, when Pilate reminds him that he has the power to have him crucified or set him free, is persuaded to respond by varying the phrase of the power of darkness, whose momentary authorization he acknowledges in the Gospel of Luke at his arrest (Luke 22:53) – thus varying the phrase *). So, a threatening argument forces him to abandon his initial intent (so deeply has the Fourth Gospel degraded his Lord). – thus, a threatening argument forces him (so deeply has the Fourth Gospel degraded his Lord) to abandon his initial intent!
While the matter falls back to its beginning, Pilate “from then on” (Jn 19:12), although he had shown from the beginning that he intended to set him free, forces the Fourth Gospel to move to the final act at the same time – it tells us nothing about steps that Pilate attempted to take to achieve his intention – the shouting of the Jews, that he makes himself a king, the same shouting that left him unmoved before, finally moves him to go outside and sit on the judgment seat and… |
242* | *) wie die frühere Antwort an Pilatus (C. 18, 36): „wäre mein Reich von dieser Welt, so würden meine Diener kämpfcn, daß ich nicht den Juden überantwortet würde”, den Spruch des Matthäusevangcliums von den Engels-Legionen variirt. | *) Like the earlier answer to Pilate (Jn 18:36): ‘If my kingdom were of this world, my servants would fight, so that I should not be handed over to the Jews’, varies the phrase from the Gospel of Matthew regarding the legion of angels |
242/243 | das Urtheil auszusprechen? Unmöglich! Der Vierte kann es sich nicht versagen, den längst erschöpften, den unwürdigen Spaß, daß Pilatus Jesum den Juden als ihren König präsentirt, sich wiederholen zu lassen, und nachdem er durch das (wiederum längst erschöpfte) Gezänk zwischen dem Land- pfleger und den Juden das Ende herbeigeführt hat, krönt er sein Werk mit der Bemerkung (C. 19, 16), daß Pilatus den Juden Jesum zur Kreuzigung überantwortete — den Juden, die zur Execution des Urtheils keine Macht besaßen — den Juden, die nach dem strengen Typus des Urberichts (Marc. 10,33) den Herrn vielmehr den Heiden, der Weltmacht überantworten — den Juden, denen Pilatus nach der wohlbedachten Sprache des Urberichts (Marc. 15, 15.16) den Barrabas losgab, während er Jesum zur Geißelung und Kreuzigung überhaupt nur hingab, nämlich den Soldaten, die ihn als die einzig berechtigten Executoren sogleich in Empfang nahmen. | to pronounce the verdict? Impossible! The Fourth Gospel cannot resist the temptation to repeat the long-exhausted and unworthy joke of Pilate presenting Jesus to the Jews as their king. After bringing about the end through the (again long-exhausted) argument between the governor and the Jews, he crowns his work with the remark (Jn 19:16) that Pilate handed Jesus over to the Jews for crucifixion – the Jews who had no power to execute the sentence – the Jews who, according to the strict typology of the original report (Mk 10:33), were supposed to hand the Lord over to the Gentiles, the world power – the Jews to whom Pilate, according to the deliberate language of the original report (Mk 15:15-16), released Barabbas, while he simply handed over Jesus for scourging and crucifixion to the soldiers, who received him as the only rightful executors. |
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243 | Welches Meisterwerk der Composition hat also der Vierte aus der unnatürlichen Simplicität des Urberichts geschaffen!
Wie unklar und verwirrt ist der Urbericht, wenn Pilatus Jesum, als ihm derselbe von der Priesterschaft überliefert wurde, fragt, ob er der Juden König ist, Jesus es bejaht, aber auf alle weitere Anklagen der Priester schweigt, auch da noch schweigt, zur Verwunderung des Pilatus schweigt, als ihn dieser auf das Schwere der Anklagen aufmerksam macht (Marc. 15, 1—5). Wie verfehlt war es also vom Schöpfer des Urberichts, Jesum dem Lamm der Weissagung gleich zu machen, das, wenn es zur Schlachtbank geführt wird (Jes. 53,7), den Mund nicht aufthut! |
The Fourth Evangelist has created a masterpiece of composition from the unnatural simplicity of the original account!
How unclear and confused is the original account, where Pilate asks Jesus, after he was handed over by the priesthood, if he is the king of the Jews, and Jesus affirms it, but remains silent in response to all further accusations of the priests, and continues to remain silent even when Pilate draws attention to the seriousness of the charges (Mark 15:1-5), to Pilate’s amazement. Thus, it was a mistake for the author of the original account to compare Jesus to the Lamb of Prophecy, which, when led to the slaughter (Isaiah 53:7), does not open its mouth! |
244 | Wie leblos und steif dieses Bild der Verlegenheit, in der Pilatus nicht weist, was er zu thun habe! Wie todt die Voraussetzung, daß die Verhandlungen drinnen im Prätorium geschehen, während die Furcht der Juden vor Verunreinigung, die Sorge für ihre Reinheit, die ihnen zum Paschagenuß des Abends nöthig ist, das Theater im vierten Evangelium in zwei Räume theilt und Pilatus aus einem Raum in den andern hin und her läuft.
Wie zusammcnhangslos ist die Composition des Urberichts, wenn den Landpfleger der Umstand, daß der Volkshause zum Prätorium hinaufstürmt *) und ihn daran erinnert, wie er ihnen zur Paschazeit einen Gefangenen loszugeben Pflege, aus der Verlegenheit reißt. Wie ungeschickt fängt es der Schöpfer des Urberichts an, wenn er uns zeigen will, wie Pilatus von der Unschuld des Gefangenen überzeugt war und den gehässigen Neid, der seine Ankläger antrieb, wohl durchschaute! Wie ungeschickt läßt er den Landpfleger handeln, wenn derselbe die Mahnung an die Paschasitte sogleich dazu benutzt, um dem Volke den Vorschlag zu machen, ob er ihnen nicht Jesum steige- ben solle!**) |
How lifeless and stiff is this image of Pilate’s confusion, not knowing what to do! How dead is the assumption that the proceedings take place inside the Praetorium, while the Jews’ fear of contamination, their concern for their purity necessary for the Passover meal in the evening, divides the theater in the fourth gospel into two rooms and Pilate runs back and forth between them.
How disjointed is the composition of the ur-text, when the fact that the crowd is storming up to the Praetorium *) and reminding him of how he is accustomed to releasing a prisoner to them at the Passover, pulls the governor out of his predicament. How clumsily does the creator of the ur-text begin when he wants to show us how Pilate was convinced of the innocence of the prisoner and saw through the malicious envy that drove his accusers! How clumsily he lets the governor act when he immediately uses the reminder of the Passover tradition to make the suggestion to the people that he should release Jesus for them! **) |
244* | *) Marc. 15, 8. ἀναβὰς Der Verfasser, der ohne Weiteres das Regierungsgebäude als die Localität der Scene vorauSsetzt, hat den erklärenden Zusatz V. 16: ὅ ἐστι πραιτώριον einen Zusatz, der als Erklärung des innern Hofraums ohnehin sinnlos ist, nicht geschrieben.
**) Der Spott, den wir auch im Marcusevangelium lesen (C. 15,9): soll ich euch den Judenkönig freigeben? rührt vom Schöpfer des Urberichts nicht her und widerspricht zu grell der ganzen Tendenz der Erzählung. Höchstens hat der erste Bildner etwa geschrieben, was wir im Matthäusevangelium lesen: „Jesum, den sogenannten Christus” (Matth. C. 27, 17). |
*) Mark 15:8. ἀναβὰς The author, who assumes the government building as the location of the scene without further explanation, did not write the explanatory addition in verse 16,ὅ ἐστι πραιτώριον which is senseless as an explanation of the inner courtyard.
**) The mockery that we also read in the Gospel of Mark (15:9), “Do you want me to release for you the King of the Jews?” does not originate from the creator of the original account and contradicts the overall tendency of the narrative. At most, the original author may have written something like what we read in the Gospel of Matthew: “Jesus, who is called the Messiah” (Matthew 27:17). |
244/245 | Kurz, der Urbildner handelte unrecht, als er in dieser einfachen und natürlichen Weise die Ueberzeugung des Pilatus von der Unschuld Jesu schilderte, wenn er ihn somit jenen Fürsten gleich machte, die auch im Gegensatz gegen die rachsüchtigen Priester erklärten, Jeremias (C. 26, 16) sev nicht des Todes schuldig; — er hat nicht recht daran gehandelt, als er Ordnung und wirklichen Zusammenhang schuf und die verhöhnende Ausstattung Jesu mit den Attributen der königlichen Macht den Soldaten überließ, die den Herrn in Empfang nahmen, als ihn Pilatus durch Volk und Priesterschaft gezwungen verurtheilt hatte. | In short, the original author acted wrongly when he depicted Pilate’s conviction of Jesus’ innocence in such a simple and natural way, as it made him like those princes who, also in opposition to vengeful priests, declared Jeremiah (C. 26, 16) not guilty of death. He did not act correctly when he created order and real coherence, and left the soldiers to adorn Jesus with the attributes of royal power, which they received when Pilate was forced to convict him by the people and the priesthood. |
245/246 | Wer so zu siegen weiß, wie der Vierte, hat es nicht nöthig, alle, auch die unbedeutendsten Kleinigkeiten zu beachten — d. h. der Vierte brauchte es uns zum Schlüsse nicht zu melden, daß Pilatus, während er Jesum zur Kreuzigung überantwortete, den Barrabas dem Volke frei gab — wer mit seinem reichen Pragmatismus so große Zwecke wie der Vierte verfolgt, brauchte den unbedeutenden Kontrast, den der Urbildner mit jener Combination beabsichtigte und erreichte, nicht zu beachten. Was kümmerte es ihn, daß Varrabas — „der Sohn des Vaters” — das lügenhafte Abbild dessen ist, den sein Vater vom Himmel herab seinen geliebten Sohn nannte — daß die Juden nach dem Lugbild verlangten*) und das Urbild verwarfen — daß sie denjenigen, der sich in einem Aufstande mit Blut befleckt hatte, dem Herrn des Himmelreichs verzogen, dessen Bürger den Kindlein gleichen müssen — daß endlich in diesem Augenblicke derjenige, der sein Blut für die Sünden des Volks und der Welt vergießen sollte, in ähnlicher Weise gewählt wurde, wie am Versöhnungstage auch über Zweie dasLoos geworfen wurde, Über die zwei Böcke nämlich, von denen der eine dem Herrn als blutiges Opfer für die Sünde des Volks fallen mußte, während der andere frei ausging? | Who knows how to win like the Fourth [Evangelist] does not need to pay attention to all, even the most insignificant details – that is to say, the Fourth did not need to tell us in conclusion that while Pilate handed over Jesus to be crucified, he released Barrabas to the people – someone who pursues great goals with their rich pragmatism, like the Fourth, did not need to pay attention to the insignificant contrast that the archetype intended and achieved with that combination. What did it matter to him that Barrabas – ‘the son of the father’ – is the lying image of the one whom his father called his beloved son from heaven – that the Jews demanded the false image*) and rejected the archetype – that they preferred the one who had stained himself with blood in a rebellion to the Lord of the kingdom of heaven, whose citizens must be like children – that finally, at this moment, the one who was to shed his blood for the sins of the people and the world was chosen in a similar way to the throwing of lots over the two [goats] on the Day of Atonement, where one had to fall as a bloody sacrifice for the sins of the people while the other went free? |
245/246* | *) Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die wirkliche Geschichte von einer Pafchasilte, auf die sich Las Volk berief, Nichts weiß. | *) It hardly needs to be mentioned that actual history knows nothing about a parchment that the people referred to. |
246 | Nur kleine Geister wie der Schöpfer des Urberichts kümmern sich um die Ordnung des Details und glauben es sich selbst schuldig zu seyn, ihren gehaltvollen Anschauungen auch den plastischen Ausdruck zu verschaffen — die Kunst des Vierten ist über Beides erhaben. | Only small-minded individuals, like the creator of the original account, care about the order of details and believe it is their duty to give their meaningful ideas a plastic expression – the art of the Fourth [Evangelist] transcends both. |
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246 | Das verlorene Stichwort im Bericht des Vierten (C. 19,8), daß Pilatus, als er die letzte Anklage der Juden hörte, sich „noch mehr” fürchtete, findet seine Erklärung im Bericht des Matthäus. In dem Augenblicke nämlich, wo Pilatus den Juden die unglücklich gebildete Frage*) vorlegt, ob er ihnen den Barrabas oder Jesum freigeben solle, und wo wir die Entscheidung des Volks erwarten, schiebt Matthäus jene Episode von der Frau des Pilatus ein, die ihn warnte, er möge sich mit diesem Gerechten Nichts zu schaffen machen (C.27,19) — hier also — nur hier wird Pilatus wirklich noch mehr in Furcht gesetzt — erst schreckt ihn der Eindruck, den Jesus auf ihn macht, — jetzt die Botschaft seiner Frau, die um des Gerechten willen in einem Traum dieser Nacht viel hatte leiden müssen; — im Bericht des Vierten schwirrt dagegen das Stichwort unmo- tivirt und folgenlos an uns vorbei. | The missing keyword in the Fourth’s account (Chapter 19,8), where Pilate, upon hearing the Jews’ final accusation, became ‘even more’ afraid, finds its explanation in Matthew’s account. At the moment when Pilate presents the Jews with the poorly formed question*) of whether he should release Barrabas or Jesus, and when we expect the people’s decision, Matthew inserts the episode of Pilate’s wife who warned him not to have anything to do with this righteous man (Chapter 27,19) – it is here, and only here, that Pilate is truly even more frightened – first by the impression that Jesus makes on him, and now by the message from his wife, who had suffered greatly in a dream that night for the sake of the righteous man. In the Fourth’s account, however, the keyword hovers aimlessly and without consequence. |
246 | *) unglücklich gebildet, weil der Landpfleger diesen Vorschlag macht, ehe das Volk ihn an die Paschasitte erinnert und ehe es den Barrabas verlangt hatte. | *) The question was poorly formed because the governor made this proposal before the people reminded him of the Passover custom and before they had asked for the release of Barrabas. |
246/247 | Dem Spätern, der diese Episode gebildet hat, schien im Urbericht die Unschuld Jesu von Malus noch nicht stark und ausdrucksvoll genug bezeugt zu seyn — wahrscheinlich ist es derselbe Spätere, der zum Schluß dieses Erzählungsstückes noch das andere Zeugniß bildete, daß Matus, nachdem er Jesum verurtheilt hat, öffentlich auf dem Markte sich die Hände wäscht und seine Unschuld am Blute dieses Gerechten betheuert (Matth. 27, 24), d. h. sich als Richter und römischer Beamter aus die bedenklichste Weise bloßstellt. | To the later author who formed this episode, it seemed that the innocence of Jesus from the accusations was not strong and expressive enough in the original account – it is likely that the same later author created the other testimony at the end of this narrative, that Pilate, after sentencing Jesus, publicly washed his hands in the market and proclaimed his innocence of the blood of this righteous man (Matthew 27:24), thereby exposing himself as a judge and Roman official in the most questionable way. |
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247 | Was die Verwirrung betrifft, die den Bericht des Lukas zu einer Mißgestalt macht, die Verwirrung, die durch die Absendung Jesu zum Herodes verursacht wird, so ist sie gleichfalls durch die Sucht nach neuen Zeugnissen für die Unschuld Jesu herbeigeführt. Die Spätern sahen nicht, daß der Pilatus des Urberichts, wenn er die Unschuld Jesu betheuert, der gehässigen Priesterschaft gegenüber die gesammte Weltmacht repräsentirt, sein Zeugniß schien ihnen noch nicht genug, und da sie sahen, daß im alttestamentlichen Original die Fürsten sich gegen die Priester für Jeremias erklären, so schleppten sie noch einen Fürsten herbei, den Herodes, damit Pilatus, nachdem er bereits vorher (Luk. 23, 4) seine Ueberzeugung von der Unschuld Jesu ausgesprochen, sie — (zum Ueberfluß) — noch einmal aussprechen und sich zugleich darauf berufen kann (V. 14. 15), daß auch Herodes an ihm keine Schuld gefunden habe. Diese Ueberfüllung des Pragmatismus war schon in früher Zeit in den Urbericht eingedrungen, da auch Justinus in seinen apostolischen Denkwürdigkeiten die Notiz fand*), daß Pilatus aus besonderer Gunst dem Herodes Jesum gefangen zuschickte. | As for the confusion that makes Luke’s account an aberration, the confusion caused by sending Jesus to Herod, it too was brought about by the desire for new testimonies of Jesus’ innocence. The later authors did not see that the Pilate in the original account, when he asserts Jesus’ innocence, represents the entire world power against the hostile priesthood; his testimony was not enough for them, and since they saw in the Old Testament original that the princes declared themselves for Jeremiah against the priests, they brought in another prince, Herod, so that Pilate, after already expressing his conviction of Jesus’ innocence before (Luke 23:4), can express it again – (in addition) – and also refer to the fact (verses 14-15) that Herod had found no guilt in him either. This overflowing pragmatism had already penetrated into the original account in earlier times, as Justin in his Apostolic Memoirs also found the note* that Pilate sent Jesus to Herod as a special favor. |
247* | *) Dial. c Tryph. p. 331. | *) Dial. Trypho ch. 103 |
248 | Herbeigeführt ist diese Episode in der Schrift des Lukas äußerst peinlich, wenn Pilatus das Stichwort Galiläa, als er in der Verhandlung mit den Priestern zu hören bekommt, daß der Angeklagte das Volk aufgewiegelt habe, indem er in ganz Judäa lehrte und in Galiläa anfing (C. 23, 5), sogleich aufgreift, sich erinnert, daß Herodes, der Landesherr des Angeklagten, zufällig in der Hauptstadt anwesend ist, und Jesum zu ihm schickt.
Anfangs scheint cS, als sey das, was zwischen Pilatus und Herodes vor sich ging, nur eine Privatsache, nur eine Gefälligkeit gewesen, die der Landpfleger dem Tetrarchen erweisen wollte, nachher aber, wenn die Sache längst vorüber ist, erfahren wir, daß diese Absendung Jesu zum Herodes einen officiellen Zweck hatte, da Pilatus mit ihm zu gleicher Zeit (E. 23, 45) auch die Priesterschaft abschickte. Anfangs empfängt Herodes Jesum wie einen Menschen, den er seit langer Zeit schon hatte kennen lernen wollen, und bald darauf, wenn die Priester vor Herodes mit ihren Anklagen auftreten, nimmt die Sache die Form eines Verhörs an — d. h. wird die Scene, wie Jesus vor Pilatus steht und die Priester ihm mit ihren Anklagen entgegentreten, einfach wiederholt und copirt — aber unnütz wiederholt, da nachher, wenn Jesus von Herodes zurückkommt, die Sache wieder auf dem alten Fleck steht, Pilatus wiederum die Unschuld des Angeklagten betheuern muß und nun in seiner Verlegenheit den Ausweg einschlägt, daß er Jesum — |
Bringing about this episode in the Gospel of Luke is extremely awkward, as Pilate immediately seizes upon the Galilee keyword when he hears from the priests during the trial that the accused had incited the people by teaching throughout Judea and starting in Galilee (Chapter 23:5), remembers that Herod, the ruler of the accused, happens to be in the capital, and sends Jesus to him.
At first, it seems that what transpired between Pilate and Herod was just a private matter, just a favor that the governor wanted to do for the tetrarch, but later, when the matter is long past, we learn that this sending of Jesus to Herod had an official purpose, as Pilate also sent the priesthood with him at the same time (Chapter 23:45). At first, Herod receives Jesus like a man whom he has long wanted to get to know, and shortly thereafter, when the priests appear before Herod with their accusations, the matter takes the form of an interrogation – that is, the scene where Jesus stands before Pilate and the priests make accusations against him is simply repeated and copied – but uselessly repeated, since later, when Jesus returns from Herod, the matter is back where it started, Pilate must once again assert the innocence of the accused, and now, in his embarrassment, he takes the way out that he will offer Jesus to the crowd – |
248/249 | doch er kann den Vorschlag, daß er Jesum freigeben wolle, nicht wirklich sormuliren, die Erinnerung an die Paschasitte ist nicht vorausgegangen und nachher, wenn das Volk auf dieselbe Bezug nimmt (V. 18), schreit es plötzlich, ohne daß gesagt ist, wie es auf diesen Gedanken kam, der Landpfleger solle Jesum nehmen und den Barrabas freigeben. | However, he cannot really formulate the suggestion that he wants to release Jesus, as there has been no mention of the Passover custom, and afterwards, when the people refer to it (Verse 18), they suddenly cry out, without it being said how they came to this idea, that the governor should take Jesus and release Barabbas. |
249 | Kurz, die Urgestalt des Berichts ist gründlich zerstört, die Ueberfüllung, die die Absenkung Jesu zum Herodes bewirkt, hat das Ganze in Unordnung gebracht und der Compilator wußte den Rhythmus und den gemessenen Gang deS Urberichts so wenig zu würdigen, daß er die Verspottung Jesu in dem Konigsanzuge, die nur den Schluß der Entwicklung bilden, wegen ihres rohen Charakters nur von den Soldaten, als Schluß dieses Actes nur von den römischen Soldaten ausgehen kann, denen der Verurtheilte zur Kreuzigung übergeben ist, schon von Herodes in Gemeinschaft mit seinen — mit seinen (!) Soldaten ausgeführt werden läßt.
Auch hier also hat Lukas dem Vierten Bahn gebrochen und ihm gezeigt, wie man es anfangen müsse, wenn man die’ Plastik eines ursprünglichen Gebildes übertreffen und die correcte Gestaltung durch verschrobene Zusätze verbessern will. |
In short, the original form of the report has been thoroughly destroyed. The excess caused by sending Jesus to Herod has disrupted the entire narrative, and the compiler did not appreciate the rhythm and measured pace of the original account. As a result, the scene of Jesus’ mockery in the royal robe, which should only mark the conclusion of the story, is portrayed as being carried out by Herod and his soldiers, despite the fact that only the Roman soldiers to whom the condemned was handed over for crucifixion could have carried out such an act.
Once again, Luke has paved the way for John and shown how to surpass the plasticity of an original composition and improve its correct structure through convoluted additions. |
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Neil Godfrey
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