245 |
14.Schluß.E. 10, 22-39. |
14.Conclusion.E. 10, 22-39. |
245 | Was hatte es nun dem Herrn geholfen, daß er vom ersten Augenblick seines Auftretens an sich als den Himmlischen de- couvrirt und nur über sich selbst gepredigt, ja, die „Wahrheit”, daß er von seinem Vater droben gesandt sey, den Leuten beinahe aufgedrungen hatte! Es war Alles vergebens! Jetzt, als er am Tempelweihfeste in der Halle Salomo’s wandelte und ihn die Juden im Kreis umgaben, fragen ihn diese, wie lange er denn ihre Gemüther in Spannung erhalten wolle, und fordern sie ihn auf, es ihnen geradezu zu sagen, wenn er der Messias sey. | What had it helped the Lord, that from the first moment of his appearance he had pretended to be the heavenly one and had preached only about himself, yes, had almost forced the “truth” upon the people, that he was sent from his father above! It was all in vain! Now, as he walked in Solomon’s hall on the Feast of the Dedication of the Temple, and the Jews surrounded him in a circle, they asked him how long he would keep their minds in suspense, and challenged him to tell them outright if he was the Messiah. |
245/246 | Bisher hatte der Evangelist die Juden als widerwillig, ungläubig, boshaft dargestellt — gerade die rücksichtslosen Eröffnungen Jesu über seinen himmlischen ursprung und über seinen Zusammenhang mit dem Vater hatten sie empört und ihre Mordlust erweckt. Jetzt sprechen sie auf einmal anders : jetzt setzt ihre Aufforderung nicht jene rücksichtslose Predigt des Herrn über sich selbst, sondern eine rückhaltige Sprache voraus, wenn es darauf ankam, sich über die Bedeutung seiner Person auSzusprechen — jetzt verlangen sie vom Herrn, er solle sich deutlicher als bisher über seine Person erklären, denn bisher habe er sich nur schwankend darüber ausgesprochen oder vielmehr jede bestimmte Erklärung gemieden und umgangen. | Hitherto the evangelist had portrayed the Jews as reluctant, unbelieving, spiteful – it was Jesus’ reckless revelations about his heavenly origin and about his connection with the Father that had outraged them and aroused their murderousness. Now they suddenly speak differently : now their demand presupposes not that reckless sermon of the Lord about himself, but a retentive language, when it was important to speak out about the meaning of his person – now they demand from the Lord that he should explain himself more clearly than before about his person, because up to now he had spoken only vacillatingly about it or rather had avoided and evaded any definite explanation. |
246 | Die Frage der Juden und die Antwort des Herrn, die in einer Klage über ihren unglauben und in einer Wiederholung seines Zeugnisses über sich selbst besteht, stehen miteinander in Widerspruch, schließen einander aus. Leute, die so fragen, wie die Juden, sind nicht ungläubig, haben sich vielmehr mit der Person Jesu bereits lange Zeit und vielfach beschäftigt, haben sie sich zu deuten gesucht, fühlen, daß ihrem Verständniß doch noch Etwas, vielleicht gerade das Wesentliche, Entscheidende fehle, und verlangen nun vomHerrn, er solle der Ungewißheit endlich selbst ein Ende machen und die letzte Deutung geben.
Solche Leute sind im vierten Evangelium ein Ding der Unmöglichkeit, dürften in ihm eigentlich gar nicht, am wenigsten hier am Schluß der öffentlichen Wirksamkeit Jesu auftreten, nachdem die Offenheit und Hartnäckigkeit, mit der Jesus über sich selbst und nur über sich predigt, längst und zu wieder- holtenmalen die Wuth der Leute bis zum Aeußersten gebracht hatte. |
The question of the Jews and the answer of the Lord, which consists in a complaint about their unbelief and in a repetition of his testimony about himself, contradict each other, exclude each other. People who ask such questions, like the Jews, are not unbelievers, but have already been occupied with the person of Jesus for a long time and many times, have tried to interpret it, feel that their understanding is still missing something, perhaps the essential, decisive thing, and now demand from the Lord that he should finally put an end to the uncertainty himself and give the final interpretation.
Such people are an impossibility in the Fourth Gospel and should not appear in it at all, least of all here at the end of Jesus’ public activity, after the openness and persistence with which Jesus preaches about himself and only about himself had long and repeatedly brought the people’s anger to the extreme. |
246/247 | Diese Leute sind vielmehr nur im synoptischen Geschichts- kreis zu Hause, wo Jesus, als er sich dem Ende seiner Laufbahn näherte, die Jünger über die Stimmung und Meinung des Volks befragte und von ihnen hörte, daß sich die Leute vielfach mit der Deutung seiner Person beschäftigt hatten und von der richtigen Deutung nur noch um Eine, freilich die schwierigste und entscheidende Distanz entfernt waren. Kurz, die Frage der Juden war nur unter der synoptischen Voraussetzung möglich, daß Jesus nicht mit der Eintönigkeit und Aufdringlichkeit wie der Herr des Vierten über sich und nur über sich gepredigt habe. Der umstand, daß er hier gleichfalls am Schluß der öffentlichen Wirksamkeit Jesu steht, brachte den Vierten auf diese Voraussetzung, die im synoptischen Geschichtskreis gegen das Ende der öffentlichen Laufbahn Jesu besonders lebhaft hervor- tritt — in seiner Weise konnte er aber diese Voraussetzung, die von seinem Werk ausgeschlossen wird, nur als äußerlichen Hebel benutzen, um eine Antwort des Herrn hervorzurufen, die von der vorhergehenden Frage und ihrer Voraussetzung geradezu der unwahrheit gestraft wird. Leute, die so fragen, wie die Juden in der Halle Salomo’s, sind nicht schlechthin ungläubig. | These people are rather only at home in the synoptic historical circle, where Jesus, when he approached the end of his career, questioned the disciples about the mood and opinion of the people and heard from them that the people had occupied themselves many times with the interpretation of his person and were away from the correct interpretation only by One, admittedly the most difficult and decisive distance. In short, the question of the Jews was possible only under the synoptic condition that Jesus had not preached about himself and only about himself with the monotony and importunity like the Lord of the Fourth. The circumstance that he stands here likewise at the end of the public activity of Jesus, brought the fourth on this presupposition, which appears in the synoptic historical circle particularly vividly towards the end of the public career of Jesus – in his way, however, he could use this presupposition, which is excluded from his work, only as an external lever, in order to cause an answer of the Lord, which is almost punished of the untruth by the preceding question and its presupposition. People who ask like this, like the Jews in the hall of Solomon, are not unbelievers par excellence. |
247 | Sie sind aber vielmehr Nichts! Der Vierte hat sie geschaffen, aber nicht als wirkliche, lebendige Wesen schaffen können. Sie haben nie in der Halle Salomo’s gestanden — der Vierte hat die Existenz dieser Halle erst aus der Apostelgeschichte (C. 3, 11) erfahren, wie er z. B. die Existenz des Gotteskastens, „in” dem Jesus seine Neden nach dem Vorfall mit der Ehebrecherin hielt (C. 8, 20), nur aus der Schrift des Marcus kennt, die er gerade hier zur Ausmalung der Situation benutzt hatte. Der Jesus des Marcus sitzt aber dem Gotteskasten im Tempel einmal gegenüber, als sich ein Vorfall ereignete, in dem dieser Kasten an seiner Stelle ist*). | But they are rather nothing! The fourth one has created them, but has not been able to create them as real, living beings. They have never stood in the hall of Solomon – the Fourth has only learned the existence of this hall from the Acts of the Apostles (ch. 3, 11), as he e.g. knows the existence of the temple(?) of God, “in” which Jesus held his speeches after the incident with the adulteress (ch. 8, 20), only from the writing of Mark, which he had just used here to paint the situation. But the Jesus of Mark is sitting opposite to the temple(?) of God in the temple once, when an incident happened in which this temple(?) is in its place*). |
247* | *’) Joh. 8, 20: ταῦτα ἐλάλησεν ἐν τῶ γαζοφυλακίῳ διδάσκων ἐν τῶ ἱερῶ.
Marc. 13, 35: διδάσκων ἐν τῶ ἱερῶ; V. 41 : καθίσας κατέναντι τοῦ γαζοφυλακίου. [correct: Mark 12…] Joh. 8, 3: καθίσας. |
*) John 8, 20: ταῦτα ἐλάλησεν ἐν τῶ γαζοφυλακίῳ διδάσκων ἐν τῶ ἱερῶ.
Mark 13, 35: διδάσκων ἐν τῶ ἱερῶ; V. 41 : καθίσας κατέναντι τοῦ γαζοφυλακίου. [correct: Mark 12…] John 8, 3: καθίσας [correct: John 8:2] |
247/248 | tlm den unglauben der Juden auf eine für sie recht verständliche Weise zu strafen, sagt Jesus, indem er sie ausdrücklich an die frühere Bilderrede über seineHeerde erinnert: „ihr seyd nicht von meinen Schafen, wie ich euch sagte” (V. 26), als ob er damals, als er von dem wahren und von dem falschen Hlrten sprach, auf einen Gegensatz der Schafe auch nur mit Einem Worte hingedeutet hatte! Der Evangelist bringt jetzt erst in das Gleichniß, welches Jesus zur Zeit des Lauberhütten- festes vortrug, diesen neuen Gegensatz, er erweitert das Gleichniß und bildet es in einer neuen Richtung fort, indem er so thut, als ob er in eine frühere, vollständig durchgeführte Wendung wieder ein trete, und außerdem das unmögliche vorausgesetzt, daß jetzt dieselben Leute Jesum umgeben, zu denen er zur Zeit des Lauberhüttenfestes sprach, und daß in ihrem Geist die Schwingungen, die das Gleichniß vom Hirten erzeugt hatte, nach einem Vierteljahre noch so lebendig vibrirten, wie es nur im Augenblick des ersten Eindrucks möglich gewesen wäre — und doch hat der Evangelist selbst diese Möglichkeit geläugnet, als er am Schluß der Rede Jesu die Leute so sprechen ließ, als hätte der Herr von allem Andern, von den gleichgültigsten Dingen und nur nicht vom Opfertod des wahren Hirten und von der Aufnahme der Heiden in dessen Heerde gesprochen! Der Evangelist thut, als wären die Zuhörer Jesu die Leser seiner Schrift und selbst diesen muthet er eine Erinnerung und Voraussetzung zu, die ernicht einmalmöglich und ausführbar gemacht hatte! | In order to punish the unbelief of the Jews in a way that is quite understandable to them, Jesus says, explicitly reminding them of the earlier metaphorical speech about His flock: “You are not of My sheep, as I told you” (v. 26), as if at that time, when He spoke of the true and the false Lord, He had indicated a contrast of the sheep even with one word! The evangelist now brings this new contrast into the simile that Jesus presented at the time of the Feast of Tabernacles, he expands the simile and continues it in a new direction, acting as if he were re-entering an earlier, fully executed turn, and moreover, assuming the impossible, that now the same people surround Jesus to whom he spoke at the time of the Feast of Tabernacles, and that in their minds the vibrations that the simile of the Shepherd had in the past are still present, And yet the evangelist himself denied this possibility when, at the end of Jesus’ speech, he had the people speak as if the Lord had spoken of everything else, of the most indifferent things, and only not of the sacrificial death of the true Shepherd and of the reception of the Gentiles into his fold! The evangelist acts as if the listeners of Jesus were the readers of his Scripture, and even to them he presumes a remembrance and a precondition that he had not once made possible and feasible! |
248 | Diesen haltlosen und in sich selbst zerfallenden Boden hat der Vierte geschaffen, damit er auf demselben seinen abstrakten Reflexionsausdruck für die Wesenseinheit des Herrn und des Vaters stellen konnte — Jesus muß den Juden zurufen (V. 30): ich und der Vater sind Eins, damit die Steinmenschen in ihrer Weise nach den Steinen greifen, und die Juden müssen zu ihrer gewöhnlichen Waffe ihre Zuflucht nehmen, damit der Herr, während sie zum Wurf ausholend und drohend dastehen, aus dem Schriftwort: ihr seyd Götter! den Beweis führe, daß es keine gotteslästerliche Anmaßung sey, wenn er sich Gott gleich setze (V. 33—37). | The Fourth created this untenable and self-disintegrating ground so that he could place on it his abstract expression of reflection for the unity of the essence of the Lord and the Father – Jesus must call out to the Jews (v. 30): I and the Father are One, so that the stone-men reach for the stones in their own way, and the Jews have to take recourse to their usual weapon, so that the Lord, while they stand there lunging and threatening, may lead the proof from the scriptural word: you are gods! that it is no blasphemous presumption when he equates himself with God (v. 33-37). |
249 | Der Evangelist wollte nämlich zu guter Letzt zeigen, daß sein Herr gleich geschickt wie der synoptische Jesus aus dem Psalmbuch seine göttliche Hoheit beweisen könne (Marc. 12, 36) — nur hat er es nicht bedacht, daß zu einer Erörterung dieser Art eine ruhige Situation vorausgesetzt wird, eine Situation, wie sie Marcus wirklich gebildet hat, wenn er den Herrn mit dem Schriftwort seine Gegner angreifen läßt, nachdem er ihre Angriffe zurückgewiesen und ihre versuchenden Fragen schlagend beantwortet hat — er hat ferner unglücklich gewählt, wenn er aus dem Psalmbuch jene Stelle Herausgriff, die eine Menge Wesen neben Gott mit der Ehre und dem Titel der Gottheit bekleidet, also auch mit dem vorausgesetzten Anlaß, daß Jesus sich wesentlich und ausschließlich dem Vater gleichsetzt, Nichts zu thun hat. | The evangelist wanted to show that his Lord could prove his divine majesty as skillfully as the synoptic Jesus from the book of Psalms (Mark 12, 36) – only he did not consider that for a discussion of this kind a calm situation is presupposed, a situation as Mark really formed it when he lets the Lord attack his opponents with the Scriptural word after he has rejected their attacks and answered their trying questions strikingly – he further chose unhappily, when he took out of the Psalm book that passage which clothes a multitude of beings besides God with the honor and the title of the Godhead, thus also with the presupposed occasion that Jesus essentially and exclusively equates himself with the Father, nothing to do with it. |
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Neil Godfrey
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